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Einigkeit im Bundestag: Gemeinnützigkeitsrecht überprüfen

Der Bundestag hat uns ein Weihnachtsgeschenk gemacht: In einer Debatte über die Gemeinnützigkeit haben Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen am vergangenen Donnerstagabend (15. Dezember 2016) angekündigt, das Gemeinnützigkeitsrecht und insbesondere den Zweck-Katalog überarbeiten zu wollen – auch die CDU/CSU, deren Finanzfachleute bisher noch nicht mit uns sprechen wollten. Die Vorschläge der Abgeordneten reichen von fraktionsübergreifender Verständigung über Debatte im Finanzausschuss bis Vertagung auf das Jahr 2018.

Mehrere Abgeordnete bekräftigten den wichtigen Beitrag des politischen Engagements in zivilgesellschaftlichen Organisationen für die Demokratie und thematisierten die unterschiedlichen Interpretationen der Finanzämter.

CDU/CSU: Anschauen, ob Abgabenordnung zeitgemäß ist

Natürlich gibt es Unterschiede in Nuancen. Frank Steffel von der CDU/CSU-Fraktion sagte: „Auch wir sind der Auffassung, dass wir uns die Abgabenordnung anschauen müssen, … ob da alles noch zeitgemäß ist.“ Er möchte sich im Finanzausschuss damit beschäftigen. Allerdings teilt er auch aus: „Es ist nicht jede NGO, die sich politisch engagiert, nur weil sie eine Vorfeldorganisation der Grünen ist, gleich gemeinnützig.“ Dennoch erkennt er, dass „sehr viele NGOs und sehr viele Organisationen im vorpolitischen und im gesellschaftlichen Raum in der Tat gemeinnütziges Engagement zeigen und sich auch für das Wohl des Gemeinwesens einsetzen“.

Sein Fraktionskollege Christian von Stetten möchte 2018 nach der nächsten Bundestagswahl Gesetze ändern, aber schon „in den nächsten Monaten darüber diskutieren …, wie wir die Vereine und die ehrenamtlich engagierten Bürger … noch stärker unterstützen können“. Allerdings denkt er bei Vereinen offenbar nicht an bundesweit tätige Organisationen, die (auch) mit bezahlten Profis arbeiten, sondern eher an „Wärme“, „familiäre Atmosphäre“ und „Heimatersatz“.

Und während der Rede von Lisa Paus (Grüne) riefen Mitglieder der Unions-Fraktion, dass der Entzug der Gemeinnützigkeit von Attac „sehr sinnvoll“ und „richtig“ sei, die gegenteilige Entscheidung des Finanzgerichtes „falsch“ sei; die Unions-Redner dagegen betonten, dass die Gerichtsentscheidung zeige, dass falsche Entscheidungen aufgehoben werden können. Die lange Belastung von Attac ignorierten sie.

Grüne: Stark unterschiedliche Beurteilungspraxis der Finanzämter

Die drei anderen Fraktionen waren noch deutlicher:

Lisa Paus von Bündnis 90/Die Grünen verlangte: „Die Gemeinnützigkeit muss modernisiert und konkretisiert werden.“ Sie sieht „deutlichen Änderungsbedarf“ insbesondere im „langen, aber veralteten Zweckkatalog der Abgabenordnung“ und kritisierte die „stark unterschiedliche Beurteilungspraxis der Finanzämter“. Sie stellte die Belastung von Attac trotz des Siegs vor Gericht dar und berichtete von der „ständigen Furcht“ zahlreicher Vereine, „dass man ihnen die Gemeinnützigkeit entziehen könnte, wenn sie zum Beispiel eine Demonstration oder eine Kampagne zu viel wagen“.

SPD: Weitere Zwecke aufnehmen

Frank Junge, für die SPD im Finanzausschuss, sagte: „Wir wollen, dass sich gemeinnützige Organisationen politisch engagieren.“ Er hält „den vorhandenen Zweckkatalog der Abgabenordnung … für schon lange nicht mehr zeitgemäß“. Den wolle die SPD sich vornehmen, „weitere und klug abgewogene Zweckbestimmungen aufnehmen“ und „vorhandene Zweckbestimmungen einfach klarer und präziser formulieren, damit der Interpretationsspielraum für Finanzämter eingeschränkt wird und es über diesen Weg zu mehr Rechtssicherheit kommt“. Er wünscht: „Dieser Aufgabe sollten wir uns fraktionsübergreifend in Kürze annehmen.“ Allgemeines politisches Handeln sei jedoch nur „Aufgabe der Parteien, die dem Parteiengesetz unterliegen“.

Seine Fraktionskollegin Svenja Stadler, engagementpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, forderte, die Regeln für Gemeinnützigkeit zu verbessern. Engagement sei „Ausdruck eines aktiven Mitgestaltungsanspruchs der Zivilgesellschaft, einer Zivilgesellschaft, die aktiv zur politischen Willensbildung beiträgt, unsere Demokratie bereichert, gestaltet und stärkt.“ Ein Problem sei der „Flickenteppich unterschiedlicher Auslegungen von Gemeinnützigkeit“ durch verschiedene Finanzämter. Das verhindere Planungssicherheit der Organisationen.

Linksfraktion: Welchen Stellenwert misst unsere Gesellschaft politischem Engagement bei?

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, sagte: „Die Förderung des Friedens, der Schutz der Menschenrechte, die Förderung des informationellen Selbstbestimmungsrechts sind heute zweifellos von extrem hoher Bedeutung. Aber die Abgabenordnung erkennt sie nicht als steuerbegünstigt an.“ Die Bundesregierung zeige ein „vordemokratisches Verständnis von Politik bzw. politischer Willensbildung“. Sie forderte zu klären: „Welche Tätigkeiten schätzen wir als gemeinnützig ein? Welchen Stellenwert misst unsere Gesellschaft politischem Engagement bei?“ Die Demokratie lebe von von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die dafür sorgen, dass Politik nicht nur in Parteien und Parlamenten stattfinde. „Der politische Einsatz für demokratische Ziele trägt im besten Sinne des Wortes zur Schaffung mündiger Bürgerinnen und Bürger bei.“

Anlass der Debatte war eine Große Anfrage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen vom Mai 2016 zu Gemeinnützigkeit und dem gefährdeten gleichberechtigten Einfluss aller Bürger auf die politische Willensbildung. Die Regierung hatte auf die Fragen im September geantwortet. Die Große Anfrage hatte ein breites Spektrum umfasst, neben der Gemeinnützigkeit auch Fragen der Parteienfinanzierung, der Wählergemeinschaften, Berufsverbänden und Kita-Vereinen. In der Debatte ging es ausschließlich um Gemeinnützigkeit.

Video der Debatte (30 Minuten)