Exakt ein Jahr, nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) sein Attac-Urteil veröffentlichte, verhandelt am Mittwoch, 26. Februar, das Hessische Finanzgericht in Kassel erneut über die Gemeinnützigkeit von Attac. Denn das Verfahren war mit dem BFH-Urteil nicht abgeschlossen. Attac befindet sich nun seit sechs Jahren in einem unklaren Zustand. Die grundsätzliche Entscheidung zur Gemeinnützigkeit hatte große Verunsicherung in zivilgesellschaftlichen Organisationen verursacht und hektische, aber bisher ergebnislose Aktivitäten in Parteien und Regierungen ausgelöst.
Die öffentliche Verhandlung beginnt um 10.30 Uhr im Hessischen Finanzgericht, Sitzungssaal 2, Königstor 35 (Eingang Hermannstraße), Kassel.
Bei der Verhandlung in Kassel wird es juristisch unter anderem darum gehen, ob die Tätigkeiten von Attac auch anderem gemeinnützigen Zwecken als dem der (politischen) Bildung zuzuordnen sind und ob der 5. Senat des BFH mit seiner einschränkenden Interpretation von Bildung von anderen BFH-Urteilen hätte abweichen dürfen, ohne den Großen Senat anzurufen.
Erstes Urteil im November 2016
In der ersten Instanz hatte das Hessische Finanzgericht Attac die Gemeinnützigkeit zugesprochen und dabei unter anderem den gemeinnützigen Zweck der Förderung des demokratischen Staatswesens weit interpretiert. Auf Anweisung des Bundesfinanzministeriums wurde gegen das Urteil Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der BFH befasste sich in seinem Urteil lediglich mit dem Zweck der (politischen) Bildung und forderte dafür unter anderem „geistige Offenheit“. Dabei setzte das Gericht einen unabhängigen und weitgehend durch Spenden finanzierten Verein wie Attac gleich mit ausdrücklich parteinahen Stiftungsvereinen wie der Konrad-Adenauer-Stiftung und deren direkter staatlicher Finanzierung.
Zugleich spielte der BFH den Ball zurück ins Parlament, da dieses für neue Zwecke zuständig ist, die das Gesetz derzeit nicht abdeckt.
Der BFH verpasste allerdings in seinen Attac-Urteil die Chance, den nötigen Abstand gemeinnütziger Organisationen zu politischen Parteien zu definieren, den Begriff politischer Tätigkeiten zu schärfen und den Zweck der Förderung des demokratischen Staatswesens genauer zu betrachten.
Folgen des BFH-Urteils von 2020 für tausende Vereine
Im Sommer 2019 wurde das Attac-Urteil vom Bundesfinanzministerium amtlich veröffentlicht, so dass Finanzämter angewiesen sind, es in ihren Entscheidungen anzuwenden. In der Folge wurde vergangenes Jahr mindestens zwei Vereinen mit Bezug auf das Attac-Urteil die Gemeinnützigkeit aberkannt. Falls der Bundestag nicht zügig das Gesetz ändert oder der Bundesfinanzminister mit einem Erlass eingrifft, wird es in diesem Jahr weit mehr Aberkennungen geben. Denn im Sommer 2019 war für viele Vereine die Prüfung bereits erledigt. Alle, die dieses Jahr ihre Gemeinnützigkeit prüfen lassen und sich mangels anderer gesetzlicher Zwecke mit politischer Bildung gesellschaftlich einmischen, sind gefährdet.
Der BFH hatte sich in seinem Attac-Urteil vor allem mit der Interpretation des gemeinnützigen Zwecks der (politischen) Bildung beschäftigt. Dabei legte er unter anderem fest:
- Politische Bildung müsse in „geistiger Offenheit“ erfolgen. Was genau diese Offenheit bedeutet, ist unklar. Der Präsident des BFH hatte Anfang des Jahres 2020 in einem Interview mit der FAZ erklärt, dies bedeute parteipolitische Neutralität.
- Unter dem Zweck der Volksbildung dürften zwar politische Forderungen erarbeitet werden, diese dürften jedoch nicht in den Prozess der politischen Willensbildung eingebracht werden, außer, es handle sich um bildungspolitische Forderungen.
- Bildung dürfe nicht dazu dienen, „die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen“.
Hier mehr zum am 26. Februar 2019 veröffentlichten BFH-Urteil …
Wie geht es weiter?
Das Verfahren vor dem Finanzgericht kann auf verschiedene Weise enden:
a) Auf Basis der BFH-Entscheidung Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac.
b) Auf Basis von Tatsachenfeststellungen Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Attac.
c) Aussetzen des Verfahrens, um die Abgabenordnung dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, falls das Gericht meint, das Gesetz schränke Rechte von Attac oder von Einzelpersonen verfassungswidrig ein, etwa wegen des Gleichbehandlungs-Gebots des Grundgesetzes.