Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V.
- Fördermittel für Demokratie sind Schritt 2 vor Schritt 1
- Appell: Gemeinnützigkeit ins 21. Jahrhundert bringen
- Blockade bei Jahressteuergesetz unverständlich
Laut einer Meldung der FAZ von heute (25.11.2020) wurde die Verabschiedung des Jahressteuergesetzes im Bundestag erneut verschoben. CDU/CSU würden sich gegen Reformen bei der Gemeinnützigkeit stemmen, die das Engagement für Demokratie und Grundrechte absichern würden. Gleichzeitig beschließt das Bundeskabinett, genau dieses Engagement fördern zu wollen.
Dazu erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 180 Vereinen und Stiftungen:
„Alle Mitglieder der Regierungsfraktionen wollen die Demokratie stärken und dafür zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen. Doch diesen Vereinen und Stiftungen fehlen wichtige Grundlagen im Gemeinnützigkeitsrecht. Es ist unverständlich, dass bereits im Bundesrat die CDU/CSU-mitregierten Länder dieser Formulierung nicht zustimmen wollten:
‚Elementare Bestandteile einer lebendigen Demokratie sind eine kritische Zivilgesellschaft und starke Organisationen, die politische Entscheidungsprozesse aktiv begleiten, sich einmischen und Stellung beziehen. Die selbstlose Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung sowie der politischen Willensbildung sind Kennzeichen des zivilgesellschaftlichen Engagements und ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Gemeinwesens.‘
Fördermittel für Demokratie-Engagement sind Schritt 2 vor Schritt 1. Schritt 1 ist, Demokratieförderung und Engagement gegen Rassismus gemeinnützigen Organisationen zu ermöglichen. Dazu braucht es passende gesetzliche Zwecke und die Möglichkeit, auch als Sportverein oder Karnevalsgesellschaft über das Kernthema hinaus für das Grundgesetz aufzustehen. Wenn sich so ein Verein zu einem antisemitischen Anschlag äußert, riskiert er derzeit seine Gemeinnützigkeit. An Zwecken fehlen in der Abgabenordnung zum Beispiel die Förderung von Grund- und Menschenrechten, das Engagement gegen Diskriminierung als gemeinnütziger Zweck.
Wir appellieren an die Regierungsparteien, dringend Rechtssicherheit für demokratisches Engagement zu schaffen, damit anti-demokratisches Engagement nicht unwidersprochen bleibt. Es ist überfällig, das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert zu bringen.
Dass Vereine zur Förderung ihrer gemeinnützigen Zwecke auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen können, hat der Bundesfinanzhof mehrfach bestätigt. Diese politischen Tätigkeiten machen gemeinnützige Vereine nicht zu Parteien – dazu müssten sie zu Wahlen antreten. Es ist ein großes Missverständnis einiger Parteipolitiker, dass politische Aktivität stets auf den Erfolg oder Misserfolg einer Partei gerichtet sei. Das Gemeinnützigkeitsrecht verbietet bereits, Parteien zu fördern.
Bei den derzeit diskutieren Änderungen geht es weder um ein allgemeinpolitisches Mandat noch würden sie tatsächlich Attac helfen. Im Fall Attac hatte der Bundesfinanzhof den Zweck der politischen Bildung sehr eng ausgelegt. Die aktuellen Vorschläge würden weder diesen Zweck weder weiten noch fehlende Zwecke wie Soziale Gerechtigkeit oder Frieden aufnehmen. Dennoch wären die Vorschläge der Landesfinanzminister ein erster großer Schritt, um das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert zu bringen. Sie würden dem Engagement vieler Vereine für Demokratie, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Rechtsstaatlichkeit eine sicherere Grundlage geben.“
Eine Vielzahl von Vereinen und Stiftungen fühlt sich durch das unklare Gemeinnützigkeitsrecht bedroht. Mittlerweile mehr als 180 Vereine und Stiftungen haben sich in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ zusammen geschlossen, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren und die selbstlose politische Einmischung etwa für Grundrechte und gemeinnützige Zwecke abzusichern. Mitglied sind unter anderem Amnesty International, Brot für die Welt, Transparency International und Terre des Hommes.
Weitere Infos: https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de
Hintergrund-Infos
Das Bundesfinanzministerium kündigt seit mehr als einem Jahr an, ein Gesetz zu Reformen in der Gemeinnützigkeit vorzulegen. Die Finanzminister der Länder drängen schon länger auf Änderungen. Zahlreiche Änderungen hatten sie als Stellungnahme zum Jahressteuergesetz angeregt. Die Bundesregierung befürwortete in ihrer Gegenäußerung die meisten Änderungen. Im Bundesrat durchgefallen war ein Formulierungsvorschlag zu politischen Tätigkeiten für gemeinnützige Zwecke. Seitdem verhandeln die Regierungsfraktionen darüber.
- Chronologie zum Jahressteuergesetz und Gemeinnützigkeit
- Bundesrats-Vorlage zum Jahressteuergesetz, darin die Ziffer 53 ohne Mehrheit
- Überblick der vorgeschlagenen Änderungen
- Unsere Stellungnahme zur Anhörung im Bundestags-Finanzausschuss
In einer heute veröffentlichten Pressemitteilung fordert mehrere Mitglieder des Trägerkreises der Initiative Transparente Zivilgesellschaft eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020.
Ähnliche Forderungen hatten zuvor bereits zwölf Dachverbände und Netzwerke erhoben, darunter fast alle Mitglieder des Trägerkreises des Bündnis für Gemeinnützigkeit, etwa der Deutsche Olympische Sportbund und der Bundesverband Deutscher Stiftungen.
Prof. Dr. Sebastian Unger (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschafts- und Steuerrecht der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum) hatte in einem Rechtsgutachten dargelegt, dass es keine verfassungsrechtlichen Grenzen für die politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen zugunsten ihrer Zwecke gibt.
Mehrere Organisationen haben vor einigen Tagen einen Appell „Engagement gegen Rassismus ist gemeinnützig: Der Bundestag muss dies garantieren!“ gestartet, in dem sie darauf hinweisen, dass antirassistisches und antifaschistisches Engagement nicht nur passende Zwecke in der Abgabenordnung braucht, sondern auch eine Klarstellung zum politischen Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen.