Die Bürgerbewegung Finanzwende plant den Ausstieg aus der Gemeinnützigkeit. Dieser Schritt ist selten, doch die Risiko-Abwägungen davor sind Alltag bei vielen gemeinnützigen Vereinen: Soll eine sinnvolle, selbstlos die Allgemeinheit fördernde Aktivität durchgeführt werden oder lieber nicht, weil sie den Status der Gemeinnützigkeit gefährden könnten? So eine Aktivität kann etwa der Aufruf eines Sportvereins sein, anlässlich des Jahrestags des rassistischen Anschlags von Hanau zu demonstrieren. Oder das politische Engagement eines Umweltvereins für seine Ziele. Oder wenn ein Jugendverband über den Bereich von eindeutig nur Jugendliche betreffende Themen hinaus aktiv werden will, etwa zum Wahlrecht. Die Anlässe sind vielfältig.
Diese alltägliche und anstrengende Abwägung kann drei mögliche Ergebnisse haben:
- Erstens: Die Aktivität wird unterlassen.
- Zweitens: Die Aktivität wird durchgeführt mit der Hoffnung, dass sie keine Folgen für die Gemeinnützigkeit hat, dass das Finanzamt sie gar nicht bemerkt oder nicht kritisch würdigt.
- Drittens: Der Status der Gemeinnützigkeit wird endgültig aufgegeben, um nötige Aktivitäten durchführen zu können, ohne ständig abwägen zu müssen, ohne den Verein in ein Risiko zu führen.
Eintrittswahrscheinlichkeit gering, Folgen fatal
Die möglichen Folgen (Entzug der Gemeinnützigkeit oder zumindest langwieriger Streit darum mit hohen Kosten und hohem Zeitaufwand, mit Gefahren für das Image des Vereins) sind sehr hart für den Verein.
Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist allerdings eher niedrig. Das Finanzamt, das die Gemeinnützigkeit prüft, bemerkt die konkrete Aktivität überhaupt nicht unter der Vielzahl von Aktivitäten. Oder das Finanzamt hat Zweifel an der Gemeinnützigkeit, aber sieht darüber hinweg, weil es ja eine „gute Sache“ ist. Oder das Finanzamt prüft, aber kommt zur Entscheidung, dass die Aktivität zulässig ist. Und selbst, wenn das Finanzamt zunächst die Aktivität bemängelt, kann es eventuell von einer anderen Auffassung überzeugt werden.
Risiko ist ein Produkt aus möglichen Folgen und Eintrittswahrscheinlichkeit: Obwohl die Eintrittswahrscheinlichkeit so gering ist, entscheiden sich viele Vereine ständig gegen Aktivitäten, weil die Folgen so extrem für den Verein wären, dass sie das Risiko als zu hoch bewerten. Der Verein entscheidet sich dann für seine individuelle Sicherheit, was völlig verständlich ist. Er sichert damit den Kern seiner Aktivitäten ab.
Doch die Summe dieser Entscheidungen ist schlecht für die demokratische Gesellschaft. Denn dadurch finden viele wichtige Aktivitäten überhaupt nicht statt oder werden nur von wenigen Gruppen getragen, wirken so als weniger bedeutsam. Das Schweigen gemeinnütziger Organisationen ist nicht gut für die Demokratie. Es ist nicht gut, wenn der Steuerstatus der Gemeinnützigkeit demokratische Einmischung verhindert.
Die bekannt gewordenen Fälle des Entzugs der Gemeinnützigkeit sind nur die Spitze eines riesigen Eisbergs, dessen Fuß die ständige Sorge und ständige Abwägung von Vereinen bildet.
Gemeinnützigkeit ist ein Service für die Gesellschaft
Wenn viele Vereine sich für die Abgabe der Gemeinnützigkeit entscheiden würden, wäre das auch nicht gut für die Gesellschaft. Denn dieser Status ist nicht nur hilfreich für die einzelnen Vereine, er ist ein Service für die Gesellschaft. Durch den Status wissen alle, dass dieser gemeinnützige Verein selbstlos das Allgemeinwohl fördert. Daran knüpfen andere ihre individuellen Förderentscheidungen: Die Spenderin, die Stadtverwaltung, ein Landesministerium oder eine private Förderstiftung, auch eine Richterin, die ein Bußgeld zuweist. Andere gemeinnützige Vereine dürfen ihre Räume kostenlos nur an andere gemeinnützige Vereine überlassen.
Wäre der Status der Gemeinnützigkeit nicht quasi der Normalfall, müssten all diese Stellen einzeln prüfen, ob die Vereine etwa selbstlos tätig sind oder ob Geld nicht in privaten Taschen landet. Sie müssten selbst Kriterien entwickeln, was das Allgemeinwohl fördert. Und dabei würde jede Stadtverwaltung, jedes Ministerium, jedes Amtsgericht vielleicht eigene Kriterien entwickeln.
Enge Regeln werfen verschiedene Vereine in einen Topf
Statt die Gemeinnützigkeit zu beschränken, müsste sie über weitere Zwecke und mögliche Tätigkeiten erweitert werden. Dann könnte der Status der Gemeinnützigkeit noch klarer die Trennlinie sein zwischen selbstlos und eigennützig, zwischen gemeinwohlorientiert oder der Orientierung an Einzelinteressen, auch zwischen der Förderung von Parteien und der Unabhängigkeit von Parteien. Die Trennlinie ist wichtig – so kleiden sich etwa immer wieder private Gewinn-Interessen in das Kleid vermeintlich zivilgesellschaftlicher Organisationen, wie Greenpeace gerade am Beispiel von Anti-Windrad-Initiativen nachgewiesen hat. Solche Gruppen sind oft Vereine, aber nicht gemeinnützig, weil sie nicht an der Prüfung der Zwecke, aber an der Prüfung der Selbstlosigkeit scheitern würden.
Jetzt schließen die zu engen Regeln der Gemeinnützigkeit zu viele Organisationen aus und werfen sie zusammen in einen Topf, in den sie nicht gemeinsam gehören. Organisationen wie Finanzwende, Attac, Pegida, Journalistenwatch, CNetz, MWGFD (Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie), die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN/BdA) und ein betrügerischer Spendensammel-Verein sind aus ganz verschiedenen Gründen nicht als gemeinnützig anerkannt, obwohl einige davon sehr wohl selbstlos die Allgemeinheit fördern.
Weil andere Vereine nicht in diesen Topf wollen, schweigen sie. Und das beschädigt die Demokratie. Ein demokratisches Gemeinnützigkeitsrecht muss die selbstlosen Einmischungen zulassen.