Zum zweiten Mal legt die EU-Kommission einen Bericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Kommission vor. Für die EU spielt die Zivilgesellschaft (als Summe ihrer Organisationen) „eine zentrale Rolle im System von Kontrolle und Gegenkontrolle“, zusammen mit unabhängigem Journalismus. In dem Bericht schaut die Kommission besorgt auf „schwerwiegende Herausforderungen“ für die Zivilgesellschaft in einigen Ländern, hebt positive Beispiele hervor, die „ein förderliches und unterstützendes Umfeld für die Zivilgesellschaft“ stärken, und stellt im Landesbericht für Deutschland fest, dass „die Unsicherheit in Bezug auf die Steuerbefreiung zivilgesellschaftlicher Organisationen“ ein Problem ist. Die Sorge über den Verlust der Gemeinnützigkeit könne dazu führen, dass Vereine und Stiftungen „davon absehen, zu potenziell sensiblen Fragen Stellung zu nehmen“. In „erheblicher Unsicherheit“ seien vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen. Die rechtliche Unklarheit führe dazu, dass „die Androhung rechtlicher Schritte im Zusammenhang mit dem Steuerstatus auch als politische Taktik genutzt werden kann“.
Der deutsche Blick muss sich auch nach innen richten. Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie müssten stets verteidigt und entwickelt werden. Sie müssen auch Themen der Innenpolitik sein. Die Bundesregierung muss die Warnungen ernst nehmen und handeln! (Siehe auch unsere Pressemitteilung vom 21. Juli 2021)
Inhaltsverzeichnis
Aus dem Länderbericht (Länderkapitel zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland)
Auf Seite 2 des „Länderkapitel zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland“ steht in der Zusammenfassung:
„Die Zivilgesellschaft profitiert nach wie vor von einem soliden Rahmen, ist jedoch mit Unsicherheit hinsichtlich des Steuerbefreiungsstatus gemeinnütziger Organisationen konfrontiert. Nach Ansicht der Interessenträger kann die Besorgnis über den Verlust dieses Status dazu führen, dass sie davon absehen, zu potenziell sensiblen Fragen Stellung zu nehmen.“
Die Zusammenfassung 2020 war kürzer:
„Es sind günstige Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft vorhanden, und der Informationszugang für die Bürgerinnen und Bürger wird politisch aktiv gefördert. Zivilgesellschaftliche Organisationen können in Deutschland frei agieren.“
Ausführlich auf Seite 20 im Länderkapitel 2021:
„Die Unsicherheit in Bezug auf die Steuerbefreiung zivilgesellschaftlicher Organisationen stellt trotz einiger leichter Verbesserungen des Rahmens nach wie vor ein Problem dar. Alles in allem wird der zivilgesellschaftliche Raum weiterhin als ‚offen‘ angesehen, und es besteht nach wie vor ein solider Rahmen für die Zivilgesellschaft. Nach einer Reform der Abgabenordnung im Dezember 2020 fallen weitere Kategorien zivilgesellschaftlicher Akteure mit ihren Tätigkeiten unter die Steuerbefreiung für gemeinnützige Organisationen. Diese Reform hat jedoch nicht die Unsicherheit beseitigt, die mit einem Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2019 geschaffen und durch ein Urteil vom Dezember 2020 zum Anwendungsbereich der Steuerbefreiung bestätigt worden war. Nach der Rechtsprechung dürfen sich zivilgesellschaftliche Organisationen nicht allgemein in politischen Angelegenheiten engagieren, sondern nur, wenn dies für die Ausübung der in der Abgabenordnung genannten Tätigkeiten unbedingt erforderlich ist.
Obwohl sie die Öffentlichkeit in neutraler Weise informieren können, führt die Auslegung dieser Bedingungen in der Praxis zu einer erheblichen Unsicherheit für zivilgesellschaftliche Organisationen, insbesondere für diejenigen, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen. Interessenträger berichten, dass die Furcht vor dem Verlust der Steuerbefreiung dazu führen kann, dass zivilgesellschaftliche Organisationen davon absehen, zu potenziell sensiblen Fragen Stellung zu nehmen, und sie legen dar, wie die Androhung rechtlicher Schritte im Zusammenhang mit dem Steuerstatus auch als politische Taktik genutzt werden kann.“
Zum Vergleich aus dem Bericht 2020:
„Zivilgesellschaftliche Organisationen können in Deutschland frei agieren.“ (Seite 1)
„Es sind günstige Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft vorhanden, und der Informationszugang für die Bürgerinnen und Bürger wird politisch aktiv gefördert. Zivilgesellschaftliche Organisationen können in Deutschland frei agieren. Diskussionen gibt es über ein Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2019, in dem es um die Kriterien geht, nach denen zivilgesellschaftliche Organisationen Steuerprivilegien für gemeinnützige Organisationen ohne Erwerbszweck in Anspruch nehmen können. Interessenträger wie z. B. das Deutsche Institut für Menschenrechte sind der Ansicht, dass dieses Urteil den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft einschränkt.“ (Seite 13)
Gesamtbericht der Kommission und EU-Verständnis von Zivilgesellschaft
Im Gesamtbericht über die „Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union“ (Mitteilung der EU-Kommission an das Parlament, den Rat und weitere Institutionen) kommen diese Befürchtungen nicht vor, da sie verblassen angesichts der „schwerwiegenden Herausforderungen“, denen „in manchen Mitgliedstaaten .. Organisationen der Zivilgesellschaft jedoch … ausgesetzt“ sind.
Dennoch wäre die Bundesregierung gut beraten, diesen Abschnitt gründlich zu lesen, da er Warnungen, aber auch positive Beispiele zum Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft bringt. Dann würde die Bundesregierung in ihrem nächsten „Beitrag“ zum Bericht der Kommission vielleicht nicht mehr Einschätzungen zu „Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft“ zusammenziehen mit individuellen Möglichkeiten, staatliche Entscheidungen gerichtlich zu überprüfen. Wobei es hier durchaus einen Zusammenhang gibt: So klagt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) immer wieder darauf, dass Länder und Kommunen staatliche Regeln umsetzen. Teilweise wurden Gerichtsurteile von Behörden ignoriert. Und die DUH wird für diesen Beitrag zur Rechtsstaatlichkeit öffentlich attackiert. Die Regierungspartei CDU hat sich dabei nicht schützend vor den Verein gestellt, sondern per Parteitagsbeschluss selbst in die Attacken eingestimmt.
Lesenswert für die Bundesregierung und für die Parteien ist auch, was die EU-Kommission mit Zivilgesellschaft meint und in Deutschland nicht gut umgesetzt ist:
„Das demokratische Gefüge zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit stützt sich auch auf die Medien und die Zivilgesellschaft, deren Arbeit durch pandemiebedingte Einschränkungen stark beschnitten wurde.“ (Seite 4)
„Die Rechtsstaatlichkeit in einer Demokratie beruht auf einer institutionellen Kontrolle und Gegenkontrolle zwischen staatlichen Organen, wodurch ihre Funktionsweise, Zusammenarbeit und die gegenseitige Kontrolle garantiert werden, sodass die Macht von einer staatlichen Stelle unter der Kontrolle der anderen in Einklang mit der politischen und rechtlichen Tradition des einzelnen Mitgliedsstaats ausgeübt wird. Die Zivilgesellschaft spielt eine zentrale Rolle im System von Kontrolle und Gegenkontrolle. … Ein förderlicher Rahmen für die Zivilgesellschaft ermöglicht Debatten und die Kontrolle der Regierungsverantwortlichen, und wenn ihr Handlungsspielraum eingeengt wird, ist dies als Zeichen zu sehen, dass die Rechtsstaatlichkeit gefährdet ist.“ (Seite 24)
Weitere Themen und Folgen
In einem Zusatzdokument erklärt die Bundesregierung auf Nachfrage der EU, dass es derzeit keine weiteren Pläne gebe, etwa eine eigene Steuer-Kategorie für vorwiegend politisch tätige gemeinnützige Organisationen zu schaffen – darüber müsse die nächste Regierung nach den Bundestagswahlen entscheiden.
Im EU-Bericht geht es auch um Regeln der Parteienfinanzierung, Transparenz Gesetzgebungsverfahren und Einfluss von Lobbyorganisationen. Hier gibt es, übertragen auf Deutschland, zahlreiche Zusammenhänge mit dem Recht der Zivilgesellschaft.
Das European Civic Forum (ECF), ein pan-europäisches Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen, hat aus dem Rechtsstaatsbericht Schlussfolgerungen gezogen und fordert die Kommission zu sechs Handlungen auf, unter anderem zu einem besseren Monitoring des zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraums (civic space). In einer ausführlichen Stellungnahme für den Bericht hatte das ECF im März 2021 auch auf die Mängel im Gemeinnützigkeitsrecht hingewiesen.