Am Dienstag, 26. Oktober, 9 Uhr, findet eine Online-Podiumsdiskussion zu nötigen Reformen des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts aus dem Blickwinkel der europäischen Menschenrechte statt, veranstaltet von Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ und weiteren Organisationen. Eine kostenfreie Anmeldung ist möglich. Anlass ist ein Gutachten der Jura-Professorin Patricia Wiater zu „Menschenrechtlichen Rahmenbedingungen für die Behandlung gemeinnütziger Organisationen“ im Auftrag der GFF.
Wiater, Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht (Schwerpunkt Grund- und Menschenrechtsschutz) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, kommt in dem Gutachten zum Schluss, dass es ein Eingriff in die Freiheitsrechte der Organisation ist, der eine besondere Rechtfertigung benötigt, wenn der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt wird. Denn der Staat greife damit sowohl in die Finanzierung der Organisation wie auch in ihre öffentliche Anerkennung ein. Wiater hat untersucht, welche Voraussetzungen sich für das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht aus der EU-Grundrechtecharta ergeben.
Das Gutachten legt dar, dass der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung zivilgesellschaftlichen Organisationen für den demokratischen Diskurs die selbe Bedeutung gibt wie politischen Parteien und der Presse. Daher hätten sie ein Recht darauf, sich politisch zu betätigen und mit rechtmäßigen und demokratischen Mitteln politische Ziele zu verfolgen. Wenn das Gemeinnützigkeitsrecht wegen politischer Betätigung Unterschiede zwischen Organisationen macht oder sie schlechter stellt, sei das ein Eingriff in politische Freiheitsrechte.
Die EU-Kommission hatte im Rechtsstaatsbericht 2021 das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht bereits kritisch erwähnt und ihre Besorgnis ausgedrückt, dass Organisationen dadurch unter Druck geraten.
„Das Gutachten zeigt, dass es im Gemeinnützigkeitsrecht nicht nur um steuerrechtliche Vorteile geht, die der Staat gemeinnützigen Organisationen auch jederzeit wieder entziehen kann“, erklärt Dr. Vivian Kube, Juristin und Projektkoordinatorin bei der GFF. „Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit infolge einer politischen Betätigung stellt vielmehr einen Eingriff in europäisch garantierte Freiheitsrechte darstellen.“ Damit sei klar, dass Deutschland die politischen Betätigungsmöglichkeiten von NGOs und Vereinen rechtlich anerkennen und gesetzlich absichern muss, wenn es nicht in Konflikt mit EU-Recht geraten will.
Am Dienstag, 26. Oktober 2021, 9 Uhr, stellt Prof. Dr. Dr. Wiater das Gutachten vor. Anschließend erläutern Dr. Vivian Kube (Gesellschaft für Freiheitsrechte) und Stefan Diefenbach-Trommer (Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“), was das Gutachten für die deutsche Reformdebatte bedeutet und welche Schritte zur Wahrung europäischer Menschenrechte nun geboten sind. Dr. Siri Hummel (Maecenata Institut) wird aufzeigen, wie es Demokratien gefährdet, wenn die Zivilgesellschaft in ihrer politischen Handlungsfähigkeit beschnitten wird. Die Diskussion ist bis 10 Uhr geplant. Sie wird von GFF, Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, Open Society Foundations und Maecenata Institut veranstaltet.