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Gemeinnützigkeit vor Gericht

Am kommenden Freitag (28. Oktober 2016) verhandelt das Finanzgericht Düsseldorf über die Gemeinnützigkeit des Frauenverbandes Courage e.V., teilt der Verein mit. Die Verhandlung beginnt um 10 Uhr in der Ludwig-Erhard-Allee 21.

Anders als im Gemeinnützigkeits-Verfahren von Attac geht der Streit nicht darum, ob der Verein politische Ziele habe, ob gemeinnützig Zwecke im engeren Sinn verfolgt werden oder ob die Zwecke mit angeblich zu politischen Mitteln verfolgt werden. Vielmehr bezweifelt das Finanzamt Wuppertal die Verfassungstreue des Vereins, weil der in Verfassungsschutzberichten erwähnt wurde. Die Abgabenordnung mischt in Paragraph 51 materielle Regelungen mit Verfahrensrecht und verlangt von gemeinnützigen Organisationen, die Behauptung der Verfassungsschutz-Ämter zu widerlegen. Damit wird die Beweislast umgekehrt.

Der Beweis, nicht verfassungsfeindlich zu sein, ist kaum zu erbringen, während der Verfassungsschutz seine Behauptungen und Folgerungen nicht belegen muss. Deshalb gehört es zu den Forderungen der Allianz, den Bezug auf den Verfassungsschutz zu streichen. Beibehalten möchte die Allianz die Anforderung an Gemeinnützige, sich an die Verfassung zu halten. Damit können Rechtspopulisten und Nazis aus der Gemeinnützigkeit ausgeschlossen werden – wenn die Verfassungsfeindlichkeit bewiesen wird.

Der Frauenverband Courage

Der Frauenverband Courage e. V. ist Mitglied der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“. Die Frauenorganisation wurde 1991 gegründet, die Bundesgeschäftsstelle sitzt in Wuppertal.

Das Finanzamt Wuppertal hatte dem Verein im Dezember 2012 die Gemeinnützigkeit rückwirkend ab dem Jahr 2010 aberkannt. Erst neun Monate später entschied das Finanzamt über den Einspruch des Frauenverbandes – ablehnend. Woraufhin der Verein im Dezember 2013 Klage erhob, die erst jetzt, fast drei Jahre später, verhandelt wird.

Zwischenzeitlich hatte der Frauenverband vor dem Verwaltungsgericht gegen das Land Nordrhein-Westfalen geklagt und gefordert, den Verband nicht mehr im Verfassungsschutzbericht aufzuführen und die Berichte von 2013 und 2014 entsprechend zu korrigieren. Diese Klage wurde am 16. Juni 2015 vom Gericht abgewiesen – nach „erstaunlich kurzer Beratung“, wie der Frauenverband kommentierte.

Verfassungstreue und Verfassungsschutz im Gemeinnützigkeits-Recht

Das Finanzamt stützt sich darauf, dass Verfassungsschutz-Ämter in ihren Berichten den Verein als beeinflusst oder dominiert von der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) bezeichnen Im Wikipedia-Artikel über den Verein werden unter anderem Erwähnungen des Frauenverbandes im Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen von 2009, im Bericht 2007 aus Baden-Württemberg, im Bericht 2004 aus Niedersachsen und im Bericht 2002 aus Brandenburg genannt. Neuere Berichte werden nicht zitiert.

Der Frauenverband Courage erklärt dazu, er sei „keiner Partei, sondern nur den Interessen der Frauen verpflichtet“. Dass „unter den Mitgliedsfrauen in Courage auch MLPD-Mitgliedsfrauen sind, ist kein Geheimnis“, ebenso nicht, „dass bei uns auch viele parteilose Frauen und Frauen aus anderen Parteien organisiert sind. Würden wir Frauen wegen ihrer politischen Überzeugung oder Parteizugehörigkeit ausgrenzen, würden wir damit unser eigenes Prinzip der Überparteilichkeit aushebeln und die Frauenbewegung schwächen.“

Im Grundrechtereport von 2014, einem alternativen Verfassungsschutzbericht zivilgesellschaftlicher Organisationen, schrieb Volker Eick zu dem Fall: „Es bleibt eine bedenkliche Volte im Demokratieverständnis der Bundes- und Landesregierungen Deutschlands, dass seit 2009 … dazu (zur Verteidigung der Grundrechte) auch der Kampf gegen die Meinungen von Geheimorganisationen gehören muss.“ Die Geheimdienste sollten nicht mehr an Entscheidungen über die Gemeinnützigkeit mitwirken. Die Demokratie lebe vom Widerspruch und der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Realitäten. Dies mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit zu bestrafen, schränke das Recht auf Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit ein. Eick kritisiert eine Beweislastumkehr: Die Organisation muss ihre Unschuld beweisen.

Nach Paragraph 51, Absatz 3 der Abgabenordnung kann nur gemeinnützig sein, wer „keine Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt“ – soweit so gut, damit werden Verfassungsfeinde und Rassisten von der Gemeinnützigkeit ausgeschlossen oder Organisationen, die Wahlen behindern wollen, gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte agitieren oder eine Willkürherrschaft herstellen wollen. Doch der Paragraph mischt zur materiellen Regel eine Verfahrensregel: „Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.“ Diesen zweiten Satz möchte die Allianz aus dem Gesetz streichen.

Der Frauenverband Courage ist nicht der einzige Verein, der wegen einer Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht um seine Gemeinnützigkeit kämpfen muss, siehe dazu unsere Beispielsammlung.


Aktualisierung 31. Oktober 2016 – nach der Verhandlung

Laut Frauenverband Courage waren sich am Ende der Verhanldung alle Beteiligten einig, dass der Verband keine extremistische Organisation sei. Dem Gericht hätten die vorgelegten Beweise nicht ausgereicht. Selbst der Verfassungsschutz habe in einem Schreiben den Verein nur als „Verdachtsfall“ und nicht als extremistische Organisation eingestuft. Ein Urteil wurde noch nicht gefällt. Der Senat habe dem Finanzamt emfpohlen, die Gemeinnützigkeit für 2010 und 2011 anzuerkennen, da für den Zeitraum bereits Freistellungsbescheide erlassen wurden. Das Finanzamt solle den Sachverhalt ab dem Jahr 2012 weiter ermitteln.

Der Verein bleibt damit weiter belastet – und ist es seit Jahren.