Seit Wochen wird im ganzen Land gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit demonstriert. Die Zivilgesellschaft ist aktuell besonders aktiv sichtbar und gefragt – aber stolpert manchmal an den Grenzen des Gemeinnützigkeitsrechts. Darf mein gemeinnütziger Verein zu einer Demo gegen Rechtsextremismus aufrufen? Darf er so eine Demo veranstalten oder unterstützen?
Dieser Text gibt dazu, knapp und handlich einige hilfreiche Hinweise zur aktuellen Situation.
Inhaltsverzeichnis
Hintergründe zum Thema
Eine Einordnung, wie die momentanen Demonstrationen und dazu aufrufende Vereine mit der bitter nötigen Reform der Gemeinnützigkeit zusammenhängen, wo auch Grenzen des gemeinnützigen Engagements hängen und welche Probleme der unsicheren Situation zugrunde liegen, könnt ihr hier in einer ausführlicheren Einordnung dieses Textes lesen.
Hinter der Langfassung dieses Textes stehen viel Mühe und die Arbeit von Jahren – entsprechend tief geht er ins Thema für alle, die verstehen wollen, was auch konkret hinter der Arbeit der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ und den hier aufgeführten Möglichkeiten und Hinweisen steckt.
Dieser Text mit Stand vom 29. Januar 2024 stellt keine rechtliche Beratung dar, sondern ist ein unverbindlicher Hinweis zu aktuellen Regelungen.
Möglichkeit 1: Der Verein ruft auf, an einer Demo teilzunehmen
… oder zeigt dort eindeutig Präsenz oder organisiert eine gemeinsame Teilnahme, ist Mitveranstalter, wendet dabei auch eigene Mittel auf: Dieses Engagement über den eigenen gemeinnützigen Satzungszweck hinaus bei Gelegenheit ist unproblematisch.
Denn: Anfang 2022 hat das Bundesfinanzministerium in Absprache mit den Landesfinanzministerien in den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) geschrieben:
„In Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist es nicht zu beanstanden, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt (z.B. ein Aufruf eines Sportvereins für Klimaschutz oder gegen Rassismus).“
(Mehr zu dieser Änderung des AEAO)
Möglichkeit 2: Ein Verein hat (neuerdings) Engagement für Demokratie als Schwerpunkt
Wenn ein Verein seine Tätigkeit verändert, sollte er immer seine Satzung anpassen – insbesondere, wenn er dadurch andere gemeinnützige Zwecke verfolgt als bisher.
Das gilt, wenn ein Verein sich aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen anpasst und etwa die Demonstration für Demokratie nicht mehr eine vereinzelte, sondern eine wiederkehrende Tätigkeit sind. Dann sollte ein entsprechender Zweck in die Satzung aufgenommen und vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt werden. Das gilt beispielsweise für einen Sportverein, der sich neuerdings grundsätzlich für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einsetzen möchte. Damit ein neuer Zweck in die Satzung geschrieben wird, muss diese neue Tätigkeit nicht überwiegen. Es gilt sonst das Ausschließlichkeitsprinzip: Der Verein darf nur seine Satzungszwecke verfolgen.
Möglichkeit 3: Ein Verein möchte entsprechende Demonstrationen etc. als Hauptzweck organisieren
Ergänzend zur zweiten Möglichkeit braucht es Organisationen, die sich nicht nur nebenbei solchen Tätigkeiten widmen: Jemand muss diese Demonstration organisieren, Gelder verwalten, vielleicht dafür Spenden einwerben, entsprechendes Equipment haben. Es ist gut, wenn es so eine Organisation gibt, bevor ein aktueller Anlass schnelles Handeln verlangt. Es ist gut, wenn Themen wie Rechtsstaatlichkeit dauerhaft behandelt werden.
Dabei gibt es aktuell für als gemeinnützig anerkannte Vereine jedoch zwei Probleme: Es gibt keinen passenden Zweck für Demokratieförderung im Gesetz. Nach Auffassung der Finanzverwaltung dürfen politische Mittel für einen gemeinnützigen Zweck andere Tätigkeiten nicht überwiegen, sollen sogar im Hintergrund stehen.
Theoretisch ist eine solche Betätigung als Hauptzweck kaum möglich. Praktisch sehen die Finanzämter die Abweichung oft nicht – oder wollen sie nicht sehen, weil sie die Lücke zwischen Gesetz und gesellschaftlichem Anspruch zu schließen versuchen. So ein Verein muss mit dem Risiko des Streits um die Gemeinnützigkeit leben. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit kann einen Verein zerstören, führt aber in aller Regel zu keiner persönlichen Haftung von Menschen.
Weitere praktische Hinweise
Nicht das Thema, sondern die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist die Grenze
Jeder gemeinnützige Verein kann aus einem aktuellen Anlass über seine Satzungszwecke hinaus handeln – demonstrieren, sich äußern. Das ist unabhängig von der Richtung, in die das geht.
Diese Äußerungen sind immer erlaubt – wenn sie sich im Rahmen von Strafgesetzen und der allgemeinen Rechtsordnung bewegen, insbesondere des Grundgesetzes und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Zugespitzte Formulierungen sind erlaubt
Eine mehrseitige Analyse zur Haltung einer Partei zu Rechtsstaatlichkeit kann in einem Demoschild „Partei X ist eine Nazi-Partei“ münden. Idealerweise sollte die Analyse der Zuspitzung voraus gehen.
Welche Zuspitzung vielleicht nicht mehr klug ist oder nicht zum eigenen Image, zur Vereinskultur passt, ist spezifisch. Wichtig ist, dass die Parole, die Forderung eine sachliche Begründung oder Herleitung hat. Die muss nicht lang sein. Wer sich unsicher ist, schreibt so eine Einschätzung vorher auf und beschließt sie im Vorstand oder in der Mitgliederversammlung.
Klug ist ein Parteienabstand
In Paragraf 55 der Abgabenordnung (Gesetz) steht: „Die Körperschaft darf ihre Mittel weder für die unmittelbare noch für die mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwenden.“
Im Anwendungserlass der Finanzverwaltung zur Abgabenordnung steht: „wenn dies … parteipolitisch neutral bleibt“ und „Parteipolitische Betätigung ist immer unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit.“
Der hintere Satz ist eindeutig und richtig, das mit der Neutralität nicht ganz. Doch werden Finanzbeamt:innen dies eventuell einfordern.
Es gibt im Gemeinnützigkeitsrecht kein Neutralitätsgebot: Kein Verein muss neutral sein zu Menschenrechten, zu politischen Entscheidungen oder dazu, wie er seinen Zweck verfolgt.
Nicht für, aber gegen eine Partei demonstrieren?
Hier gibt es keine klare Grundlage! Ob Lob oder Kritik an einer Partei, es muss an der Sache entlang laufen und nicht an der grundsätzlichen Sympathie oder Antipathie einer Partei. Wenn es um ein konkretes Anliegen geht, welches auch grade parteipolitisch relevant ist, wie die Einstellung zu Zuwanderungen nach Deutschland, wird sich die Bewertung in der Regel in einem Spektrum von gut bis schlecht, von dafür und dagegen bewegen. Auch wenn eine Partei zu einem Thema völlig konträre Ansichten hat zu meinem Verein, kann der Verein das aussprechen, ohne damit parteipolitisch zu handeln. Wenn es dabei auch um Zwecke des Vereins geht, kann er sich dazu laufend äußern. Das Motiv ist nicht Pro oder Kontra einer Partei, sondern ist ein Thema.
Wenn es allgemein um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geht, kann ein Verein auf sachlicher Grundlage zu dem Schluss kommen, dass eine Partei sich außerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegt und zum Beispiel die Kriterien eines Parteiverbots erfüllt. Diese Auffassung kann er natürlich aussprechen – mindestens als „vereinzelte“ Äußerung bei Gelegenheit. Es geht dabei nicht um die Förderung einer anderen Partei, sondern um die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Problemlos: Mittelweitergabe
Die eigenen Mittel darf eine gemeinnützige Organisation nur für ihre eigenen satzungsmäßigen Zwecke verwenden. Seit Ende 2020 können gemeinnützige Organisationen Mittel aber nahezu unbegrenzt an andere gemeinnützige Organisationen weitergeben. Ein Umweltschutzverein kann also Geld an einen anderen gemeinnützigen Verein geben, der eine Demo organisiert.
Nicht eindeutig geklärt ist, ob ein gemeinnütziger Verein für solche Mittelweitergaben selbst einen Spendenaufruf starten oder nur vorhandene Mittel weitergeben darf.
Mit dem Finanzamt sprechen
Wenn Ihr Euch unsicher seid, ruft Euer zuständiges Finanzamt an. Die sind nicht Euer Feind, sondern versuchen, hilfreich zu sein. Vielleicht haben die eine gute Idee, auf die Ihr nicht gekommen seid, wie etwas zu formulieren ist, was in deren Finanzverwaltungs-Welt gut passt.
Aber: Ein Anruf kann auch die Aufmerksamkeit auf Euch lenken. Sagt die Finanzbeamtin „Nö, geht nicht“, und Ihr macht es doch, werdet Ihr viel begründen müssen. Je höher Eure öffentliche Präsenz ist, je kontroverser das Thema, je eher Euer Anliegen verändernd statt bewahrend ist, desto eher guckt jemand genauer hin – und schreibt gegebenfalls an das Finanzamt Hinweise, die Bitte um Prüfung.
Am Ende müsst Ihr das Risiko abwägen: Wollt Ihr Sicherheit für Euren Verein – und darum sollen sich andere für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit engagieren? Oder geht Ihr ins Risiko, streitet eventuell um das Recht und sucht Euch Unterstützung, weil das Risiko, dass die Demokratie beschädigt wird, viel größer ist als die Sicherheit Eures Vereins wichtig?
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