Die Finanzministerien von Bund und Ländern haben sich auf umfassende Änderungen im Anwendungserlass (AEAO) geeinigt. Darin sind auch Klarstellungen zu politischen Tätigkeiten und zu politischen Mitteln enthalten: Einiges wird klarer, anderes eher unklarer. Eine Gesetzesänderung, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, ist weiter nötig (siehe dazu auch unsere Pressemitteilung zum geänderten Erlass). Die Änderungen betreffen zahlreiche Details des Gemeinnützigkeitsrechts – wir erläutern und analysieren hier die Passagen zu politischen Tätigkeiten und politischer Bildung. Der geänderte Text ist hier zu finden.
Inhaltsverzeichnis
Was bedeuten die Änderungen zu politischer Bildung und Förderung des demokratischen Staatswesens?
Für die Praxis sind die Änderungen in Nummer 9 zu § 52 kaum relevant. Sie vollziehen das Attac-Urteil von Anfang 2019 nach. Damit wird verdeutlicht, dass „politische Bildung“ kein eigenständiger Zweck sei und insbesondere nicht dazu dienen kann, Anliegen zu verfolgen, die im gesetzlichen Zweckkatalog fehlen.
Für diese Klarstellung wurde ein neuer Absatz vorangestellt. Der bisherige Text wurde zum zweiten Absatz. Der wurde ergänzt um ein Gebot „geistiger Offenheit“, in der sich politische Bildung vollziehen müsse – ohne Erläuterung, was das bedeutet. Ein Hauch von Erläuterung findet sich im letzten Satz:
„Politische Bildung ist nicht förderbar, wenn sie eingesetzt wird, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen, z.B. durch einseitige Agitation oder unkritische Indoktrination.“
Nicht agitieren, sondern verschiedene Sichtweisen berücksichtigen meint wohl „geistige Offenheit“. Jedoch ist der Satz verwirrend, weil er dem Wortlaut nach nur die Einflussnahme auf die politische Willensbildung mit einseitiger Agitation verbietet. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte jedoch erklärt, dass mit politischer Bildung zwar Vorschläge und Positionen zu letztlich beliebigen Themen erarbeitet werden dürfen; dass dieser Bildungsprozess in geistiger Offenheit stattfinden müsse; dass es aber keine Förderung von Bildung sei, die erarbeiteten Forderungen zu versuchen durchzusetzen (außer es sind bildungspolitische Forderungen).
Ein Verein, der für Klimaschutz gemeinnützig ist, kann dagegen mit dem Mittel der Bildung Forderung erarbeiten und dann auch (in Maßen, siehe sogleich) durch Demonstrationen oder andere Aktivitäten fordern, dass die Forderungen umgesetzt werden.
Die Anforderung an „geistige Offenheit“ gilt so nur für politische Bildung, nicht für andere Zwecke.
Verpasst haben die Finanzministerien, eine moderne Interpretation politischer Bildung zu liefern (siehe unten).
Was bedeuten die Änderungen zu politischen Mitteln?
Der Abschnitt zu politischen Mitteln in Nummer 16 zu §52 wurde komplett neu gefasst. Damit wird das bisherige Wirrwarr zum Teil beseitigt. Unterschieden wird nun ein
- a) eigenständiger politischer Zweck (den es nicht gibt, der aber auch nicht definiert wird),
- b) politische Mittel zur Verwirklichung eigener gemeinnütziger Satzungszwecke (z.B. Demos für Umweltschutz) sowie
- c) politische Betätigung über den Satzungszweck hinaus.
Tätigkeit über den Satzungszweck hinaus
Die Regelungen zu politischer Betätigung über den Satzungszweck hinaus sind sehr hilfreich. Damit ist klar, dass ein Verein nicht seine Gemeinnützigkeit gefährdet, wenn er „vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt„. Ein Sportverein kann sich ohne Sorge zu einem rassistischen Anschlag äußern, ein Umweltschutzverein darf die Wahl eines Ministerpräsidenten kommentieren.
Diese Äußerungen sollten an aktuelle Anlässe anschließen. Und sie dürfen nur „vereinzelt“ passieren. Die Grenze ist nicht klar. Wenn sich ein Verein täglich zu Themen jenseits seines Zwecks äußert oder diese Äußerungen die sonstige Arbeit überwiegen, ist die Grenze sicher gerissen.
Eine Mittelverwendung für solche Stellungnahmen ist nicht ausdrücklich erwähnt, muss aber mitgemeint sein.
Kein politischer Zweck
Die Unterscheidung von politischem Zweck und politischen Mitteln schafft Klarheit. Denn ein Verein zur Förderung der Hilfe für rassistisch Verfolgte verfolgt noch lange keinen politischen Zweck, wenn er Forderungen an die Bundesregierung erhebt oder demonstriert, um gegen Rassismus vorzugehen Die Ausführungen zu „politischem Zweck“ muss kaum ein Verein auf sich beziehen.
Noch hilfreicher wäre gewesen, einen „politischen Zweck“ zu definieren. Damit wäre deutlich gewesen, welche politischen Mittel zur Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks eben nicht darunter fallen.
Dennoch ist mit der neuen Fassung klar , dass ein Verein keinen politischen Zweck verfolgt, wenn er aus einer Haltung heraus einen gemeinnützigen Zweck fördert.
Politische Mittel für gemeinnützige Zwecke
Der mittlere Teil zu politischen Mitteln für den eigenen Zweck verpasst leider einige Klarstellungs-Chancen. Er führt sogar unklare Begriffe ein. Er steht teils im Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung. Dennoch bringt er Verbesserungen. Der erste Satz ist eine klare Ansage, die bisher fehlte:
„Es ist einer steuerbegünstigten Körperschaft … gestattet, auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss zu nehmen, wenn dies der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke dient und parteipolitisch neutral bleibt.“
Unklar und weiter verwirrend sind die Ausführungen zum möglichen Umfang der Tätigkeiten. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte dazu im BUND-Urteil entschieden, dass solche politischen Tätigkeiten die anderen Tätigkeiten „nicht weit überwiegen“ dürften. Wir halten diese Beschränkung für rechtlich nicht gedeckt – doch selbst diese Auslegung steht jetzt nicht im Erlass. Gemeinnützige Organisationen können sich gegenüber Finanzamt und Finanzgericht jedoch auf dieses Urteil berufen.
Die neu im Erlass stehende Formulierung ist letztlich nicht korrekt:
„Eine derart dienende und damit ergänzende Einwirkung muss aber gegenüber der unmittelbaren Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund treten. Bei Verfolgung der eigenen satzungsmäßigen Zwecke darf die Tagespolitik nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft stehen.“
Zu den unklaren Begriffen gehört die Anforderung, sich „parteipolitisch neutral“ zu verhalten. Die Ergänzung ist schlicht überflüssig, weil bereits darüber steht: „Parteipolitische Betätigung ist immer unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit.“ Auf diese Weise wäre die Einschränkung zu interpretieren.
Weitere Änderungen
Ein Großteil der weiteren Änderungen ist sehr spezifisch – ein Überblick u.a. im Blog der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg.
Eine wichtige Klarstellung wird zu § 63 der AO mit der neuen Nummer 6 eingefügt. Demnach dürfen geringfügige Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht nicht zum Entzug der Gemeinnützigkeit führen. Dies ersetzt noch nicht abgestufte Sanktionsregeln, aber macht die Wucht des Damokles-Schwerts „Aberkennung“ geringer. Immer wieder erinnernswert ist die schon lange bestehende Nummer 5 zu § 63. Dort wird erklärt, dass es Voraussetzung der Gemeinnützigkeit ist, dass ein Verein sich an Gesetze und Normen hält, auch an polizeiliche Anweisungen. Aber: „Gewaltfreier Widerstand, z. B. Sitzblockaden, gegen geplante Maßnahmen des Staates verstößt grundsätzlich nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung.“
In Folge des Jahressteuergesetzes wurde der Anwendungserlass bereits im August 2021 geändert. Damals wurden u.a. die neuen Zwecke Freifunk und Ortsverschönerung erläutert sowie Details zur zeitnahen Mittelverwendung und Mittelweitergabe. Auch hier gibt es eine Zusammenfassung bei der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg.
Welchen Stellenwert hat der Anwendungserlass?
Die Abgabenordnung (AO) ist das Gesetz, das Grundlagen der Besteuerung und der Gemeinnützigkeit regelt. Der Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) ist eine allgemeine Weisung an die Finanzämter, wie sie das Gesetz zu verstehen haben. Sie soll für einheitliche Anwendung sorgen und den Beschäftigten in den Ämtern Hilfestellungen geben. Der AEAO ist öffentlich. Auf ihn können sich darum auch Vereine und Stiftungen berufen und können sich daran orientieren.
Anders als das Gesetz ist er aber unverbindlich für Gerichte. Ein Abschnitt des Erlasses bezieht sich jeweils auf einen Paragrafen des Gesetzes. Ein Finanzamt wird in der Regel dem Erlass folgen. Ein Finanzgericht kann die Interpretation verwerfen. Ein Finanzgericht kann die Interpretation verwerfen – allerdings sollten Vereine und Stiftungen nicht vor Gerichten streiten müssen. Deshalb müsste der Erlass klarer und eindeutiger sein.
- Da,wo der Erlass gut und klar ist, können sich Vereine und Stiftungen darauf berufen.
- Da, wo der Erlass unklar oder widersprüchlich ist, helfen Argumentationen weiter wie Verweise auf Urteile.
Der Erlass referiert in erster Linie aus Gesetzesbegründungen sowie aus höchstrichterlichen Urteilen. Er enthält kaum eigenständige Texte. Daher erläutert er selten, was möglich ist, sondern vor allem, was nicht erlaubt sei. Was nicht erwähnt ist, ist nicht verboten; Finanzbeamt:innen wie Richter:innen können aber aus dem Gesetz weitere Beschränkungen lesen.
Die Finanzverwaltung konnte sich über Jahre nicht auf aktuelle Erläuterungen einigen. Seit dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofes von Anfang 2019 diskutierten Bund und Länder über entsprechende Anpassungen, nachdem schon zuvor eine wegweisende BFH-Entscheidung im Fall des BUND Hamburg nicht in den Erlass übernommen wurde. Die Diskussionen wurden 2021 fortgesetzt, da auch durch Gesetzesänderungen mit dem Jahressteuergesetz 2020 Anpassungen notwendig waren.
Das Ergebnis bringt etwas mehr Klarheit, an einigen Stellen vergrößert es die Unklarheit. Im Kreis von Bund und Ländern fehlte entweder der Mut oder der Konsens, Begriffe eindeutig zu definieren und damit sowohl gemeinnützigen Organisationen als auch Finanzämtern Entscheidungssicherheit zu geben.
Für Rechtssicherheit ist also weiter eine Gesetzesänderung nötig, wie von der Ampel-Koalition vereinbart:
„Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden.“
Ausführliche Kritik am Text zu politischen Mitteln
Der Ansatz des neuen Textes in Nummer 16 zum § 52 AO ist gut, politische Mittel und „politischen Zweck“ zu erläutern. Der mittlere Teil zu politischen Mitteln für den eigenen Zweck verpasst leider einige Klarstellungs-Chancen. Der längere Text führt nicht immer zu größerer Klarheit, sondern führt unklare Begriffe ein. Er ignoriert einige höchstrichterliche Aussagen.
Wir halten unsere Vorschläge zu einer Neuformulierung für besser. Sie wären von der aktuellen Gesetzeslage und höchstrichterlichen Urteilen gedeckt.
Unklarer Begriff „parteipolitische Neutralität“
Der erste Satz ist eine klare Ansage, die bisher fehlte: „Es ist einer steuerbegünstigten Körperschaft … gestattet, auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss zu nehmen, wenn dies der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke dient und parteipolitisch neutral bleibt.“ Schwierig und unnötig sind die letzten Worte „parteipolitisch neutral“.
Die Ergänzung ist schlicht überflüssig, weil bereits darüber steht: „Parteipolitische Betätigung ist immer unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit.“
Eine bessere Formulierung wäre gewesen: „Keine Tätigkeit einer gemeinnützigen Körperschaft darf darauf gerichtet sein, politische Parteien oder kommunale Wählergemeinschaften zu fördern.“
Der Begriff der „Neutralität“ ist ohne weitere Erläuterung unklar. Es besteht die Gefahr, dass er von Finanzämtern zu eng ausgelegt wird. Dass Forderungen einer Partei und eines Vereins identisch sind, kann nicht Nachteil des Vereins sein; vor allem nicht, wenn Parteien Forderungen etwa eines Vereins zu Klimaschutz übernehmen. Ebenso darf ein Verein die Forderungen oder Aussagen einer Partei anhand seiner eigenen Ziele und Schlüsse bewerten, zum Beispiel in Form von Wahlprüfsteinen.
Der Begriff der Neutralität ist unklar und entstammt nicht dem Gesetz. Dort ist in § 55 AO geregelt, dass keine politischen Parteien gefördert werden dürfen. In „Fördern“ steckt die Intention, das Darauf-gerichet-sein. Eine Neutralität kann nicht verlangt werden.
Die Formulierung der parteipolitischen Neutralität hat die Finanzverwaltung dem BUND-Urteil entnommen. In der Entscheidung erläutert der BFH, worum es geht: „Das Betreiben oder Unterstützen von Parteipolitik ist immer gemeinnützigkeitsschädlich.“ Das gesamte BUND-Urteil beschäftigt sich vor allem mit dem Unterschied von Parteien und gemeinnützigen Organisationen. Das hätte im Erlass klarer beschrieben werden müssen.
Unklarer Begriff „erfordert“
Im weiteren Text wird erneut klar gestellt, dass sich gemeinnützige Organisationen zur Verfolgung ihrer Texte politischer Mittel bedienen dürfen:
„Die Beschäftigung mit politischen Vorgängen muss im Rahmen dessen liegen, was das Eintreten für die steuerbegünstigten Zwecke und deren Verwirklichung erfordert.“
Auch dieser Satz ist unnötig, weil er den vorhergehenden doppelt. Das Wort „erfordert“ irritiert, da im öffentlichen Recht die Erforderlichkeit Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist. Dort meint „erforderlich“, dass der Staat nur eingreifen darf, wenn kein milderes Mittel verfügbar ist. Das kann hier kaum übertragen werden. Sonst würde gelten: Klimaschutz geht auch durch eigenes Bäume pflanzen, deshalb darf der Staat nicht dazu aufgefordert werden. Die Formulierung muss in dem Sinne gelesen werden, dass entsprechende Tätigkeiten auf den entsprechenden gemeinnützigen Zweck gerichtet sind, diesem dienen.
Die Formulierung entstammt letztlich einer BFH-Entscheidung von 1988 (I R 11/88 vom 23. November 1988), in der das Bundesgericht lediglich feststellte, dass eine Tätigkeit zulässig war, weil diese erforderlich war. Erforderlichkeit ist ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium.
Falsche Formulierung „ergänzend“, „tagespolitisch“
Am Ende des Absatzes steht:
„Eine derart dienende und damit ergänzende Einwirkung muss aber gegenüber der unmittelbaren Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund treten. Bei Verfolgung der eigenen satzungsmäßigen Zwecke darf die Tagespolitik nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft stehen.“
Hier übernimmt die Finanzverwaltung nicht die Formulierung des BFH, der im BUND-Urteils schreibt: „Die politische Einflussnahme darf die anderen von der Körperschaft entfalteten Tätigkeiten jedenfalls nicht weit überwiegen.“ Dass politische Mittel keine unmittelbare Förderung eines gemeinnützigen Zwecks sind, hatte der BFH in der Entscheidung zurück gewiesen. Der Satz zur Tagespolitik gehört hier schlicht nicht hin, denn der ganze Absatz erklärt ja, dass ein Verein zur Verfolgung seiner gemeinnützigen Zwecke auf die Willensbildung Einfluss nehmen kann, ob aus eigener Initiative oder als Reaktion auf „tagespolitisches“ Geschehen. Der Begriff der Tagespolitik ist unklar. Gemeint sind wohl aktuelle Geschehen und Aussagen von/in Parteien und staatlichen Institutionen, wie der Aussage einer Ministerin zu Themen, mit denen sich der Verein beschäftigt.
Wenn es um Tätigkeiten über den eigenen Zweck hinaus geht, die sich auf „Tagespoltik“ beziehen – dafür ist der andere Absatz einschlägig.
Der Satz „Eine derart dienende und damit ergänzende Einwirkung muss aber gegenüber der unmittelbaren Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund treten“ wiederum entstammt dem zweiten Attac-Urteil vom 10. Dezember 2020 (V R 14/20).
Dass jede Tätigkeit dem gemeinnützigen Zweck dienen (ihn fördern, auf ihn gerichtet sein) muss, ist ständige Rechtsprechung; dass politische Mittel ergänzend seien, steht nur in diesem Urteil und steht im Widerspruch zum vorigen BUND-Urteil eines anderen Senats. Wenn nun diese Einzelaussage in den Erlass übernommen wird, aber andere Aussagen nicht, wirkt das wie tendenziöses Rosinenpicken.
Unklare Abgrenzung vermeintlich nicht-politischer Mittel
Der Teil zwischen diesen beiden Aussagen ist ausgesprochen verwirrend:
„Zur Förderung der Allgemeinheit gehört die kritische öffentliche Information und Diskussion dann, wenn ein nach § 52 Abs. 2 AO begünstigtes Anliegen der Öffentlichkeit und auch Politikern nahegebracht werden soll. Unschädlich sind danach etwa die Einbringung von Fachwissen auf Aufforderung in parlamentarischen Verfahren oder gelegentliche Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen im Rahmen der steuerbegünstigten Satzungszwecke.“
Wir wissen auch aus Diskussionen mit Finanzministerien, wie die Sätze gemeint sind: Sie sollen Tätigkeiten beschreiben, die gar nicht auf das Konto „Einflussnahme auf die politische Willensbildung“ einzahlen, die also beim Abwägen des Überwiegens in der anderen Waagschale liegen. Fachwissen einzubringen, an parlamentarischen Anhörungen teilzunehmen oder hier auch die „gelegentlichen Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen“ zählen demnach nicht als politische Mittel zur Zweckverfolgung.
An irgend einer Stelle wurde offenbar die Reihenfolge verdreht. Eine gangbare Formulierung wäre am Ende des Absatzes gewesen:
„Zur Förderung der Allgemeinheit gehört die kritische öffentliche Information und Diskussion dann, wenn ein nach § 52 Abs. 2 AO begünstigtes Anliegen der Öffentlichkeit und auch Politikern nahegebracht werden soll. Nicht zu politischen Tätigkeiten im engeren Sinne gehört daher u.a. die Einbringung von Fachwissen auf Aufforderung in parlamentarischen Verfahren.„
Wann die regelmäßige politische Einwirkung zur Förderung des gemeinnützigen Zwecks überwiegt, wird leider nicht dargestellt. Hier muss der Bundestag als Gesetzgeber helfen und das Überwiegens-Kriterium streichen.
Was zu politischer Bildung fehlt
Die Überarbeitung von Nummer 9 zu § 52 AO zu politischer Bildung zeigt, dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf weiter dringend besteht. Das hat sich die Ampel-Koalition vorgenommen: „Wir … konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke.“
Die Finanzverwaltung hätte politische Bildung umfassend interpretieren und erläutern können, weniger auf der Basis steuerrechtlicher Urteile als auf der Basis einer fachlichen Bildungsdebatte. Der Begründung aus dem Gesetzesentwurf der Gesellschaft für Freiheitsrechte zu Gemeinnützigkeit folgend, könnte das zum Beispiel sein:
„Ein zeitgemäßes Verständnis von politischer Bildung umfasst die Förderung von politischer Handlungsfähigkeit und von partizipativem gesellschaftspolitischen Handeln – also die Befähigung der Bürger*innen zur Bildung einer politischen Haltung und zur wirksamen Beteiligung an aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
Für eine funktionierende Demokratie ist es notwendig, ein modernes Verständnis von politischer Bildung zugrunde zu legen. So sind neben dem Fachwissen etwa auch die politische Urteils- und Handlungsfähigkeit sowie die Einnahme einer politischen Haltung wesentliche Elemente der politischen Bildungsarbeit. Dies umfasst auch eine gesellschaftskritische und intervenierende Auseinandersetzung, die Artikulation von erkennbar normativen politischen Positionen und eine pluralistische Bildungslandschaft, in der die spezifischen und vielfältigen weltanschaulichen und religiösen Positionen und Werte ihren Platz finden.
Den normativen Rahmen für die politische Bildung bildet die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes, insbesondere die Grundrechte. Daher ist Kritik beispielsweise an der Struktur oder dem Zustand staatlicher Institutionen oder an der Wirtschaftsordnung erlaubt. Konzepte, die sich auf die Ungleichbehandlung von Menschen stützen, widersprechen hingegen klar Art. 1 und Art. 3 GG. Daher ist beispielsweise auch der Ausschluss von Personen, die offen rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Bestrebungen verfolgen, nicht schädlich für die Gemeinnützigkeit.“
Weil die Finanzverwaltung das nicht tut, stehen dort weiterhin unklare, teils unpassende Anforderungen wie „objektiv und neutral“ (so soll die Befassung mit demokratischen Grundprinzipien sein – wo jede Journalistin und jeder Lehrer weiß, dass es Neutralität nicht geben kann, wohl aber Intersubjektivität). Neu hinzugekommen ist dem Attac-Urteil folgend, dass die „Schaffung und Förderung politischer Wahrnehmungsfähigkeit und politischen Verantwortungsbewusstseins in geistiger Offenheit“ geschehen soll – neu sind tatsächlich nur die drei Worte „in geistiger Offenheit“.
Was das genau ist, bleibt der Interpretation von Finanzämtern und Vereinen überlassen. Offenbar sind alle drei Begriffe (objektiv, neutral, geistig offen) abgrenzend gemeint zu Lügen, Fake-News, Manipulation, Agitation und Starrköpfigkeit.
Korrekt ist, dass die Finanzverwaltung diesen verwirrenden Begriff der „geistigen Offenheit“ nur auf politische Bildung bezieht, nicht auf andere Zwecke. Wobei Anforderungen wie Offenheit für neue Erkenntnisse oder Eingestehen eigener Irrtümer auch für die Verfolgung des der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens gelten sollte – wie diese Anforderung gut beschriebe und ohne Bewertung von Meinungen vollzogen werden kann, ist eine noch zu führende Diskussion.