Das Bundesfinanzministerium hatte Vorschläge zur Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts bis zur parlamentarischen Sommerpause angekündigt – das sind nun keine zwei Wochen mehr und ein Entwurf dafür ist nicht sichtbar. In der Verantwortung steht die gesamte Koalition, die gesamte Regierung. Die Dringlichkeit des Themas versuchen viele Akteur:innen der Zivilgesellschaft deutlich zu machen. Während einerseits um staatliche Fördermittel verhandelt wird, sind andererseits die rechtlichen Rahmenbedingungen wichtig: Als Basis für Fördermittel-Anträge, aber auch für die Selbstfinanzierung durch Spenden oder private Fördermittel. Gestern (24.6.2024) wurden zwei neue Briefe an den Bundeskanzler öffentlich.
Zivilgesellschaft ist gemeinnützig Beiträge
Bis vor einigen Jahren galt die Liste gemeinnütziger Zwecke in §52 der Abgabenordnung als unantastbar. Gerichte und Finanzverwaltung argumentieren häufig, der Gesetzgeber habe dort festgeschrieben, was er fördern wolle; und was nicht drin steht, wolle er offenbar nicht fördern. Doch Bundestag und Bundesrat als Gesetzgeber kennen oft nicht die Details der Liste und haben Angst, dass die Wünsche an neue, zeitgemäße Zwecke überborden und die Zweck-Liste irgendwann platzen würde. Ende 2020 wurden dennoch einige neue Zwecke als Ergänzung zu bestehenden Ziffern aufgenommen. Nun soll nach dem Willen der Bundesregierung mit dem Jahressteuergesetz 2024 eine neue Ziffer 27 zu Wohngemeinnützigkeit angefügt werden. Das ist hilfreich, aber auch verwunderlich.
Seit mittlerweile zwei Jahren wird uns angekündigt, dass die Koalition die vereinbarte Modernisierung der Gemeinnützigkeit umsetzt – oft wird auf das jeweils nächste Jahressteuergesetz verwiesen. Am 5. Juni 2024 hat die Bundesregierung einen Entwurf eines Jahressteuergesetzes beschlossen. Dieser Entwurf enthält einen Vorschlag für einen neuen gemeinnützigen Zweck zu Wohngemeinnützigkeit (gleicher Begriff, aber anderer Bereich), sonst aber keine Veränderungen am Gemeinnützigkeitsrecht. Das Bundesfinanzministerium plant ein zweites Jahressteuergesetz 2024. Im zweiten Gesetz solle es um „politisch brisante“, in der Koalition strittige Themen gehen; u.a. Gemeinnützigkeit, aber auch Kinderfreibetrag, Kindergeld, Steuerklassen/Faktorverfahren und mehr. Der Journalist Tilo Jung befragte hierzu in der Bundespressekonferenz die Regierungssprecher:innen, die aber erst später wirklich antworten mit: „Regierungsinterne Abstimmungen dauern an.“
Die Ungeduld bei vielen gemeinnützigen Organisationen und Dachverbänden wächst.
Hier nur einige der Briefe, die die Koalitionsspitzen in den vergangenen Wochen dazu Briefe erhalten haben:
Das Jahressteuergesetz 2024 soll die im Koalitionsvertrag versprochene Reform des Gemeinnützigkeitsrechts beinhalten. Dieses soll noch vor der Sommerpause des Bundestags ins Kabinett.
Das ist nicht mehr lang, und was bisher bekannt ist, ist ernüchternd: Im letzten veröffentlichten Entwurf war Gemeinnützigkeit gar nicht drin. Nur E-Sport soll als neuer Zweck aufgenommen werden, es gibt keine Einigung zur Klarstellung für politische Mittel für den eigenen Zweck.
Umso mehr Stiftungen, Verbände und Vereine ergreifen grade die Initiative, an Bundesfinanzminister Linder zu appellieren, an dessen Ministerium das Jahressteuergesetz hängt: Einen Abriss der Geschehnisse der letzten Wochen, in denen aus vielen Richtungen kleinerer und größerer Druck kam, haben wir hier zusammengefasst.
Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zum Verlust der Gemeinnützigkeit des Volksverpetzers
- Volksverpetzer teilt rückwirkenden Entzug der Gemeinnützigkeit mit
- Offenbar fehlen gemeinnützige Zwecke für Engagement gegen Hass
- Koalition verschleppt Modernisierung des Rechts der Zivilgesellschaft
Zur Mitteilung des Volksverpetzers, dass das zuständige Finanzamt dem Internet-Blog rückwirkend die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von fast 200 Vereinen und Stiftungen:
„Für das Engagement von Volksverpetzer für Demokratie und Grundrechte, gegen Fake-News und Hass fehlen offenbar passende Zwecke im deutschen Gemeinnützigkeitsrecht. Die Nachricht zeigt erneut die Dringlichkeit, das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert zu bringen und es dabei sturmsicher gegen Anti-Demokrat:innen zu machen. Die Ampel-Koalition hatte eine Modernisierung der Gemeinnützigkeit im Koalitionsvertrag vereinbart. Doch bereits seit mehr als einem Jahr wird die Gesetzesänderung verschleppt.
Pressemitteilung von Attac Deutschland mit Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V.
- Demokratische Zivilgesellschaft darf nicht weiter behindert werden
- Von Ampel-Koalition versprochene Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts steht noch aus
- Vor zehn Jahren strich das Finanzamt Frankfurt Attac den Gemeinnützigkeits-Status
Zehn Jahre ist es am kommenden Sonntag (14.4.2024) her, dass Attac Deutschland die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Das globalisierungskritische Netzwerk agiere zu politisch, begründete das Finanzamt Frankfurt seinen Bescheid vom 14. April 2014. Insbesondere der Einsatz für eine Regulierung der Finanzmärkte, eine Finanztransaktionssteuer – immerhin die Gründungsforderung von Attac – oder eine Vermögensabgabe seien nicht gemeinnützig, hieß es in dem Schreiben.
Seitdem wehrt sich Attac gegen die Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit – juristisch und politisch. Die Auseinandersetzung erfuhr dabei von Beginn an große öffentliche Aufmerksamkeit. Denn der „Fall Attac“ hat nicht nur Bedeutung für das Netzwerk selbst, sondern beeinträchtigt auch die gesamte demokratische Zivilgesellschaft.
Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Grüne und FDP ist bei demokratiepolitischen Vorhaben in den vergangenen Monaten gut voran gekommen – anders, als es oft wahrgenommen wird. Im vergangenen Jahr gab es dazu einige im Koalitionsvertrag vereinbarte Gesetzesänderungen. Regierung und Bundestag haben einiges abgearbeitet, aber kaum verknüpft. Eher unwahrscheinlich scheint, dass der Koalition bewusst war, dass sich diese Gesetzgebungen auf einem demokratiepolitischen Faden aufreihen.
Die ebenfalls vereinbarte, aber noch ausstehende Modernisierung der Gemeinnützigkeit sollte sich allerdings einreihen. Neben vielen kleinen Reparaturen und Wartungsarbeiten geht es bei der Modernisierung um demokratiepolitische Fragen, um die Funktion zivilgesellschaftlicher Organisation in der Demokratie, bei der Verteidigung von Menschenrechten, beim Schutz des Rechtsstaats. Welche Rolle will der Staat der Zivilgesellschaft zuschreiben? Was will er ermöglichen, was ausbremsen? Welche Kontrollen oder Begrenzungen sind vielleicht nötig, um andererseits Vertrauen zu schaffen?
Im November 2021 hatten die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren. Einen Gesetzesentwurf dazu gibt es bis jetzt (Stand: 8. April 2024 – mit drei Nachträgen bis 5.6.2024) nicht – trotz mehrfacher Ankündigungen. Eine Chronik vom Koalitionsvertrag bis jetzt:
Das EU-Parlament hat am 13. März 2024 den Vorschlag der EU-Kommission zu einer neuen Richtlinie für ein EU-weites Vereinsrecht beschlossen – zwei Jahre dach dem „Lagodinsky-Bericht“ mit Vorschlägen, das zivilgesellschaftliche Engagement zu schützen und über europäische Grenzen zu erleichtern. Die EU-Kommission hatte den Richtlinienentwurf auf Bitte des EU-Parlaments und auf Initiative des Parlamentsabgeordneten Sergej Lagodinsky erarbeitet. Die Richtlinie würde die Mitgliedsländer der EU verpflichten, eine neue Rechtsform zu schaffen: Die European Cross Border Association (ECBA). Damit soll für Vereine ohne Erwerbszweck, also NGO und gemeinnützig agierende Vereine, ein klarer Rechtsrahmen geschaffen werden, der es ihnen ermöglicht, ihre Tätigkeiten ungehindert im europäischen Binnenmarkt grenzübergreifend durchzuführen.
Mit dem Parlamentsbechluss ist der Gesetzgebungsprozess noch nicht beendet. Die Richtlinie zu European Cross-Border Asssociatons (ECBA) wird wohl erst nach der Europawahl und unter neuer Ratspräsidentschaft unter Ungarn in den Trilog zwischen Kommission, Parlament und Regierunge der Mitgliedsstaaten gehen. Bei den Mitgliedsländern braucht die Richtlinie eine Mehrheit, keine Einstimmigkeit.
Seit Wochen wird im ganzen Land gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit demonstriert. Die Zivilgesellschaft ist aktuell besonders aktiv sichtbar und gefragt – aber stolpert manchmal an den Grenzen des Gemeinnützigkeitsrechts. Darf mein gemeinnütziger Verein zu einer Demo gegen Rechtsextremismus aufrufen? Darf er so eine Demo veranstalten oder unterstützen?
Dieser Text gibt dazu, knapp und handlich einige hilfreiche Hinweise zur aktuellen Situation.