Die Finanzministerien von Bund und Ländern haben sich auf umfassende Änderungen im Anwendungserlass (AEAO) geeinigt. Darin sind auch Klarstellungen zu politischen Tätigkeiten und zu politischen Mitteln enthalten: Einiges wird klarer, anderes eher unklarer. Eine Gesetzesänderung, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, ist weiter nötig (siehe dazu auch unsere Pressemitteilung zum geänderten Erlass). Die Änderungen betreffen zahlreiche Details des Gemeinnützigkeitsrechts – wir erläutern und analysieren hier die Passagen zu politischen Tätigkeiten und politischer Bildung. Der geänderte Text ist hier zu finden.
Zivilgesellschaft ist gemeinnützig Beiträge
Die Finanzministerien von Bund und Ländern haben sich auf umfassende Änderungen zu Auslegungen des Gemeinnützigkeitsrechts im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) geeinigt. Am 27. Januar 2022 veröffentlichte das Bundesfinanzministerium (BMF) das BMF-Schreiben vom 12. Januar 2022 dazu (Aktenzeichen IV A 3-S 0062/21/10007:001, Dokument 2022/0001873). Wir dokumentieren hier die neuen Fassungen zu politischen Mitteln und politischer Tätigkeit, ohne Verweise auf BFH-Urteile etc.
(Dieser Jahresbericht als PDF)
Im Januar 2021 waren wir noch geprägt von den Ergebnissen im Jahressteuergesetz 2020 – neue Zwecke wie Klimaschutz und die „Förderung der Hilfe für Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer geschlechtlichen Orientierung diskriminiert werden“ oder die vereinfachte Mittelweitergabe waren zwar ein wichtiger Schritt für viele Organisationen, mit Abstand aber nicht der große Wurf, den wir uns vom Jahressteuergesetz 2020 erhofft hatten.
Die neue Regierungskoalition nimmt sich mehr Fortschritt vor – auch bei Gemeinnützigkeit und der Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen. Wir stellen hier wichtigste Aussagen zusammen. Auf den Koalitionsvertrag haben sich die Spitzen der Ampel-Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP am 24. November 2021 geeinigt, die Parteien haben in Parteitagen bzw. Abstimmungen zugestimmt. Alle Seitenzahlen beziehen sich auf diese PDF (gedruckte Seitenzahlen, nicht PDF-Seiten).
Zum heute veröffentlichten Beschluss des Bundesfinanzhof zur allgemeinpolitischen Betätigung im Rahmen eines steuerbegünstigten Zwecks erklärt Annika Schmidt-Ehry, leitende Referentin der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“:
„Der Beschluss zeigt erneut, dass es gesetzliche Klarstellung im Gemeinnützigkeitsrecht braucht. Es ist gut, dass die Zulässigkeit politischer Mittel zur Verfolgung gemeinnütziger Zwecke hervorgehoben wird. Der Verweis auf das Kriterium der ‚geistigen Offenheit‘ verstärkt aber nur die Rechtsunsicherheit für Vereine, Verbände und Stiftungen. SPD, Grüne und FDP haben jetzt die Möglichkeit im Koalitionsvertrag die Weichen zu stellen, um die Rechtsunsicherheiten im Gemeinnützigkeitsrecht zu schließen.“
Am Dienstag, 26. Oktober, 9 Uhr, findet eine Online-Podiumsdiskussion zu nötigen Reformen des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts aus dem Blickwinkel der europäischen Menschenrechte statt, veranstaltet von Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ und weiteren Organisationen. Eine kostenfreie Anmeldung ist möglich. Anlass ist ein Gutachten der Jura-Professorin Patricia Wiater zu „Menschenrechtlichen Rahmenbedingungen für die Behandlung gemeinnütziger Organisationen“ im Auftrag der GFF.
Auf gute Entscheidungen zu Demokratiepolitik drängen zivilgesellschaftliche Organisationen die drei Ampel-Parteien. „Wir fordern SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auf, dass sie in ihren Koalitionsverhandlungen Demokratiepolitik als eigenes Thema behandeln„, fordern in einem Appell 14 Vereine, Stiftungen und Dachverbände, darunter die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen, der Deutsche Naturschutzring, die Petitionsplattformen OpenPetition und Change.org, die Amadeu Antonio Stiftung und die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“.
Jura-Professor Sebastian Unger erklärte Ende Juni 2021 im Interview mit der „Zeit“, wie politisch gemeinnützige Vereine sein dürften. Politisches Engagement nur in Parteien zu verorten, sei „ein zu enges Verständnis von Demokratie“. Es brauche auch eine politisch aktive Zivilgesellschaft jenseits von Parteien. Nur, weil ein Verein politische Forderungen zu seinen gemeinnützigen Zwecken habe, könne er noch lange keine Partei sein. „Parteien wollen nicht nur ihre Meinung sagen, sie streben auch nach staatlicher Macht und wollen gewählt werden“, beschreibt Unger den Unterschied.