Sich gegen soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung oder Umweltzerstörung zu engagieren, wird in vielen Weltregionen und Ländern zunehmend schwieriger. Das berichtete der Civicus Monitor bereits Ende 2023, im Frühling 2024 nochmal in Form des Atlas der Zivilgesellschaft, der unter der Führung von Brot für die Welt die Ergebnisse des Civicus Monitor auf Deutsch aufarbeitet.
Wie bedeutend Freiraum der Zivilgesellschaft für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte sind, wurde Ende Frühling 2024 viel mit Blick auf Georgien berichtet. Am 14. Mai 2024 verabschiedete das georgische Parlament das Gesetz „über die Transparenz ausländischer Einflussnahme“ – auch Ausländische-Agenten-Gesetz genannt. Wenige Wochen vorher wurde ein ähnliches Gesetz in Kirgistan beschlossen. Im weitesten Sinne geht es bei diesen Gesetzen darum, finanzielle Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen aus dem Ausland (aus z.B. Förder-Fonds) offen zu legen und zu stigmatisieren.
Georgien argumentierte, die EU strebe eine ähnliche Richtlinie an: Der im Dezember 2023 veröffentlichte Richtlinienentwurf mit einem Paket zur „Verteidigung der Demokratie“ der Europäischen Kommission hat tatsächlich Bezüge zu „Ausländische-Agenten-Gesetzen“. Die Richtlinie würde das Vereinigungsrecht verletzen und könnte zu unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand, Stigmatisierung und Schikanen führen.
Inhaltsverzeichnis
Ausländische-Agenten-Gesetze in Georgien & Kirgistan
In stabileren und auch weniger weniger stabileren Demokratien und Rechtsstaaten gibt es Hebel und Instrumente, mit denen Regierungen und andere Akteur:innen zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume stärken und fördern, oder unterdrücken und einschränken können.
Wie bedeutend der Freiraum der Zivilgesellschaft für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte sind, wurde im Frühling und Frühsommer 2024 viel mit Blick auf Georgien berichtet.
Am 14. Mai 2024 verabschiedete das georgische Parlament nach dritter Lesung das Gesetz „über die Transparenz ausländischer Einflussnahme“ – auch Ausländische-Agenten-Gesetz genannt. Wenige Wochen vorher, Mitte März, wurde ein ähnliches Gesetz in Kirgistan beschlossen, trotz vorhergegangenen Protesten der kirgisischen Gesellschaft, ausländischer Botschaften und Interventionen der UN. Auch hier nahm das Parlament den von einem russischen Gesetz inspirierten Gesetzesentwurf ohne große Debatte an.
Im weitesten Sinne geht es bei diesen Gesetzen darum, monetäre Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen aus dem Ausland offen zu legen – und damit zu stigmatisieren. Der Gründer der Georgischen Regierungspartei bspw. sieht die Arbeit von NGO’s, die sich auch mit Mitteln aus dem Ausland finanzieren, als Gefahr für die georgische Souveränität.
Georgien hat in der EU den Status als Beitrittskandidat – ein Großteil der Bevölkerung möchte den Beitritt des Landes in die EU. Aus dieser wurde allerdings immer wieder klargestellt, dass dies mit einem solchen Gesetz nicht geschehen wird. Der Widerstand gegen das Gesetz war sogar vorläufig erfolgreich: Bereits im Frühjahr 2023 sollte ein Ausländische-Agenten-Gesetz etabliert werden, als Folge weitreichender Proteste wurde dies verhindert. Vor seiner diesjährigen Verabschiedung wurde es mit neuem Namen erneut vorgelegt.
Was diese Gesetze für die Freiheit der Zivilgesellschaft bedeuten, beschreibt Christine Meissler von Brot für die Welt im ersten Background-Blog zum Atlas der Zivilgesellschaft:
„Wie das russische Vorbild von 2012 schreibt das kirgisische Gesetz vor, dass Nichtregierungsorganisationen (NRO), die finanzielle Förderung aus dem Ausland erhalten und sich an „politischen Aktivitäten“ beteiligen, sich beim kirgisischen Justizministerium als „ausländische Vertreter“ registrieren lassen müssen. Außerdem müssen diese NRO alle erstellten Materialien durchgängig mit dem Hinweis versehen, dass sie „von einer nicht kommerziellen Organisation, die die Aufgaben eines ausländischen Agenten wahrnimmt, erstellt, verteilt und (oder) versandt wurden“. Problematisch ist vor allem, dass der Begriff „ausländischer Agent“ unterstellt, dass aus dem Ausland finanzierte NRO verräterische Aktivitäten im Dienste ausländischer Interessen ausüben. Außerdem ist die Definition von „politischer Tätigkeit“ im Entwurf so weit gefasst, dass Behörden die demokratisch wichtige Arbeit von NRO unmöglich machen können.“
Hier wird der auf den ersten Blick unverständliche Titel „Ausländische-Agenten-Gesetze“ klar: Es geht um Stigmatisierung. Der Begriff gilt noch aus Zeiten der Sowjetunion als negativ konnotiert. Weltweit nehmen die Etablierung solcher Gesetz oder Versuche der Etablierung zu.
Wie restriktiv sie für Vereine auch ganz praktisch sein können, beschreibt Meissler wie folgt:
„Die Betroffenen müssen alle sechs Monate ausführliche Finanzübersichten und Berichte bei der Regierung einreichen und sich jährlichen Prüfungen unterziehen. Nicht nur die formalen Auflagen des russischen Gesetzes sind quasi nicht zu erfüllen, so dass viele zum Aufgeben gezwungen wurden.“
In Deutschland ist das Basisrecht zivilgesellschaftlicher Organisationen der Status der Gemeinnützigkeit, welcher eben weit über reine Steuervorteile hinaus geht. Was mit den Ausländische-Agenten-Gesetzen als negative Stigmatisierung wirken soll, dreht sich mit dem Status der Gemeinnützigkeit in Deutschland sozusagen um: Dieser gilt als Indiz dafür, dass es sich um einen vertrauensvollen, rechtmäßig agierenden Verein handelt – frei nach dem Prinzip: “Sonst hätte er ja keinen gemeinnützigen Status verliehen bekommen“. Dass es für viele Ziele und Zwecke, wie den Schutz der Menschenrechte, die Förderung der Demokratie, Journalismus, den Einsatz für Klimaschutz und Menschenrechte keine entsprechenden Zwecke gibt, wird in dieser Logik meist nicht einbezogen – Gemeinnützigkeit ist oft kein leicht in die gesellschaftliche und mediale Debatte zu bringendes Thema und auf dem Papier trocken anmutendes Steuerrecht.
Ein Ausländische-Agenten-Gesetz in Europa?
Auf die weitreichende Kritik am Gesetz argumentierte Georgien, die EU würde eine ganz ähnliche Richtlinie anstreben: Ein im Dezember veröffentlichter Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission im Zuge eines Pakets zur „Verteidigung der Demokratie“ hat tatsächlich Bezüge zu „Ausländischen-Agenten-Gesetzen“. Nach den Europawahlen im Juni sollte der Entwurf im Rat der Europäischen Kommission beraten werde.
Hierzu schreibt Christine Meissler:
„Der Entwurf der EU-Kommission stößt bei der Zivilgesellschaft auf große Bedenken. Es bestehen große Zweifel, dass durch die Vorschläge negative ausländische Einflussnahme z. B. durch Fake News effektiv reduziert werden kann. Die Richtlinie würde das Vereinigungsrecht verletzen und könnte zu unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand, Stigmatisierung und Schikanen führen. Der breite Anwendungsbereich und die mangelnde Klarheit würden Verwirrung darüber stiften, welche Einrichtungen registriert werden müssen und welche nicht, was die Durchsetzung schwierig, wenn nicht gar unmöglich machen würde. Behörden, die kritische Zivilgesellschaft unangemessen einschränken wollen, könnten die Richtlinie missbrauchen und willkürlich anwenden. Auch die Wirkung auf Länder außerhalb der EU wäre fatal.“
„Die organisierte europäische Zivilgesellschaft hat den Vorschlag der Kommission eindeutig abgelehnt, entsprechend auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss in seiner Stellungnahme, deren Berichterstatter ich war.“
Und:
„Die vorgeschlagene Richtlinie würde Nichtregierungsorganisationen, die Gelder von Regierungen aus Drittstaaten wie etwa den USA erhalten, stigmatisieren. Allein schon der Vorschlag dient autoritären Regierungen als Rechtfertigung, die mit ihren „foreign agents laws“ jede demokratische Opposition mundtot zu machen versuchen. […] Warum, so fragen sich die Vertreter der organisierten europäischen Zivilgesellschaft, sieht die Kommission kein allgemeines, alle Interessenvertreter erfassendes Transparenzregister vor, das kompatibel mit den bereits auf nationaler Ebene bestehenden Gesetzen wäre und für alle Akteure eine rechtsklare und rechtssichere Grundlage schafft? Die Kommission sollte diesen Richtlinienentwurf zurückziehen und ihre Nachfolgerin 2025 einen umfassenderen Ansatz wählen, der den Feinden der Demokratie nicht in die Hände spielt.“
Deutschlands Regierung ist gefragt – in mehrerlei Hinsicht
Wenn Staaten ins Autoritäre drehen, wird mit als erstes das Recht der Zivilgesellschaft beschnitten, wie kürzlich in Georgien. Das droht heute selbstverständlich nicht in gleicher Form in Deutschland – aber heute wäre es wichtig, dieses Recht sturmfest für anti-demokratische Unwetter zu machen.
Auf europäischer Ebene können und sollten die Vertreter:innen der der Bundesregierung dazu beitragen, dass der Richtlinienentwurf überarbeitet und angepasst wird.
Bei uns in Deutschland dagegen würde ein liberales, modernes, klares und transparentes Gemeinnützigkeitsrecht das Signal senden, dass eine Demokratie sich kritische Organisationen gerne leistet und fördert. Momentan kann und muss dies über das parlamentarische Verfahren des Steuerfortentwicklungsgesetzes gelöst werden, in dem die im Koalitionsvertrag beschlossenen Erneuerungen zum Gemeinnützigkeitsrecht umgesetzt werden sollen. Zivilgesellschaftliche Freiheit muss geschützt, verteidigt, gefördert und vor allem auch entwickelt werden.
Denn eine stabile Demokratie braucht eine aktive Zivilgesellschaft, die als Themen-Anwältin fungiert. Zivilgesellschaft nicht als Zivilbevölkerung, sondern als Summe zivilgesellschaftlicher Organisationen ist Voraussetzung eines liberalen Rechtsstaates, um das Böckenförde-Diktum zu interpretieren (der freiheitliche Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann).
Der Grundstein demokratischer Auseinandersetzung sind die aktiven Bürger:innen, die Rechtssicherheit, Planbarkeit und bestimmte Freiheit in ihrem Engagement benötigen. In Kirgistan, Georgien und Deutschland.