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Antworten zu Folgen des Attac-Urteils für zivilgesellschaftliches Engagement

Das Urteil des Bundesfinanzhofs zu Attac hat Auswirkungen auf tausende Vereine und Stiftungen, auf das Engagement von zigtausend Menschen darin. Deshalb sind viele Organisationen in großer Unruhe. Das Urteil beschränkt jetzt schon den zivilgesell­schaftlichen Handlungsspielraum. In vielen Vereinsvorständen wird diskutiert, ob ein Teil des Engagements eingestellt werden sollte. Hier gibt es dazu Antworten.

Trotz aller Bedrohung durch das Urteil ist die akute Gefahr für weitere Vereine gering. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) wirkt zunächst nur gegen den Attac-Trägerver­ein. Es hat noch keine direkten Auswirkungen auf andere gemeinnützige Organisatio­nen. Die sind erst zu erwarten, wenn das Bundesfinanzministerium das Urteil in den Anwendungserlass übernimmt. Dieser Erlass ist eine Anweisung für Finanzämter. Än­derungen dauern eher Monate als Wochen.

Nachtrag Juni 2019: Das Bundesfinanzministerium hat das Urteil im Bundessteuerblatt amtlich veröffentlicht. Das gilt als Anordnung für Finanzämter, das Urteil anzuwenden. In der Folge hat sich bereits mindestens ein Finanzamt auf das Attac-Urteil bezogen und begründet damit die geplante Aberkennung der Gemeinnützigkeit eines Vereins.

Bedroht sind dann vor allem Vereine und Stiftungen, die für Bildung, Forschung oder Förderung des demokratischen Staatswesens als gemeinnützig anerkannt sind und aus ihren Erkenntnissen Forderungen entwickeln. Wenn diese Tätigkeiten in der Sat­zung gut beschrieben sind, ist eine rückwirkende Aberkennung unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist, dass das zuständige Finanzamt dann Satzungsänderungen ver­langt, die die Tätigkeiten beschränken.

Dennoch kann es sein, dass einzelne Finanzämter auf der Grundlage des Urteils be­reits jetzt Satzungen bzw. die tatsächliche Geschäftstätigkeit anders beurteilen als bisher oder strenger hinschauen – insbesondere bei der Anerkennung von Neugrün­dungen.

Fragen und Antworten

Betrifft das Urteil überhaupt unseren Verein?

Das Urteil betrifft in erster Linie Organisationen, die die Zwecke

  • politische Bildung, Volksbildung,
  • Förderung des demokratischen Staatswesens oder
  • eventuell auch: Wissenschaft und Forschung

verfolgen und

  • die in ihrer Arbeit politische Forderungen erheben oder
  • sich in anderer Weise politisch einmischen, etwa durch Aufrufe zu Demonstratio­nen.

Wer seine Forderungen einem konkreten Zweck wie Umweltschutz zuordnen kann und sich parteipolitisch neutral verhält, ist weitgehend auf sicherem Boden.

Schon immer waren gefährdet Organisationen, die Forderungen über ihren Zweck hin­aus aufstellen: Etwa ein Sportverein, der sich gegen Rassismus äußert. Ein gemein­nütziger Verein darf nur ausschließlich seinen Zweck verfolgen und muss alle Tätigkei­ten einem Zweck zuordnen können. Dabei kann diese Wirkungskette auch sehr lang sein.

Warum müssen wir Bildung als gemeinnützigen Zweck in unsere Satzung schreiben?

Bildung kann sowohl ein Zweck sein als auch eine Tätigkeit zur Zweckverfolgung. Wer etwa den Zweck „Förderung der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur“ auch mit Bil­dungsaktivitäten verfolgen möchte, muss dazu nicht Bildung als Zweck aufnehmen.

„Bildung“ kann ein hilfreicher Zweck sein, wenn die Abgabenordnung für das Anliegen des Vereins keinen geeigneten Zweck zur Verfügung stellt, denn zu jedem Thema kann gebildet werden. Allerdings verbietet der Bundesfinanzhof nun, zu diesem Zweck politische Forderungen zu erheben, außer es geht um bildungspolitische Forderungen.

Müssen die Finanzämter dem Urteil folgen?

Nein. Erst dann, wenn das Bundesfinanzministerium das Urteil in den Anwendungser­lass zur Abgabenordnung (AEAO) übernommen hat. Das wird voraussichtlich noch einige Monate dauern. Dann gilt der Erlass als direkte Anweisung.

Dennoch können Finanzämter sich schon jetzt vereinzelt an dem Urteil orientieren. Dies betrifft wahrscheinlich am ehesten Neugründungen. Finanzämter könnten zurück­schrecken, eine Satzung anzuerkennen, die dann in einem Jahr nicht mehr als ge­meinnützig anerkannt werden darf.
Wenn ein Finanzamt jetzt die Tätigkeit eines Vereins prüft, könnte es sich bereits der Auffassung des Gerichts anschließen. Dass ein Finanzamt aktiv in Folge des Urteils einen Verein auffordert, ab jetzt etwas zu ändern, ist sehr unwahrscheinlich.

Müssen Gerichte dem Urteil folgen?

Jein. Das Urteil ist kein Gesetz und auch der Anwendungserlass verpflichtet kein Ge­richt. Er gilt nur für die Finanzämter. Wer gegen einen Bescheid des Finanzamtes klagt, kann vor dem Finanzgericht Recht erhalten, falls dieses Gericht die Auslegung des Bundesfinanzhofes für falsch hält. Oft, aber nicht immer orientieren sich die Fi­nanzgerichte an den Urteilen der höheren Instanz.

Gibt das Finanzgericht Euch recht, wird das Finanzamt in Revision gehen, so dass der Bundesfinanzhof (BFH) in Eurem Fall entscheidet. So ein Revisionsverfahren dauert ein bis zwei Jahre. Es ist die Chance, dass der BFH sein voriges Urteil revidiert. Es kann aber auch sein, das er es bestätigt.

Wie konkret ist das Urteil?

Zum Zweck der Volksbildung bzw. politischen Bildung ist das Urteil sehr konkret. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs dürfen in der Bildungsarbeit zwar Forderungen zu allen Themen erarbeitet werden, die gemeinnützige Organisation selbst darf diese For­derungen aber nicht in den Willensbildungsprozess einbringen. Sie darf nicht versu­chen, diese Forderungen „durchzusetzen“.

Da der Bundesfinanzhof den Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ dem Zweck „Bildung“ zuordnet, gilt das dort genauso.

In einer Analogie könnten auch andere Zwecke betroffen sein, die eher eine Tätigkeit als ein Themenfeld beschreiben, zum Beispiel „Förderung der Wissenschaft und For­schung“ oder „Jugendhilfe“.

Konkrete Zwecke wie Umweltschutz oder Völkerverständigung sind vom Verbot, mit Forderungen öffentlich aufzutreten, nicht betroffen.

Welche Einschränkungen werden für politische Einmischung gemacht?

Hier ist der Bundesfinanzhof sehr unkonkret, so wie auch in vorigen Urteilen, die im Anwendungserlass (AEAO) verarbeitet sind. Einerseits wird anerkannt, dass sich poli­tisch eingemischt werden darf, um den gemeinnützigen Zweck zu verfolgen. Anderer­seits wird das als Ausnahme beschrieben, wird Zurückhaltung oder nur gelegentliches Einmischen verlangt oder wird gefordert, dass diese Art der Zweckverfolgung andere gemeinnützige Tätigkeiten nicht überwiegen dürfe.

Müssen wir unsere Satzung anpassen?

Es ist immer sinnvoll, dass die Satzung das beschreibt, was die Organisation tatsäch­lich tut. Das betrifft passende, möglichst konkrete Zwecke und die Beschreibung der Zweckverwirklichung. Hat das Finanzamt eine Satzung als gemeinnützig anerkannt (Bescheid nach §60a AO) und handelt Ihr gemäß Eurer Satzung, seid Ihr sicher. Tut Ihr Dinge, die nicht von Eurer Satzung gedeckt sind, kann das die Gemeinnützigkeit kosten.

Wenn das Finanzamt seine Meinung ändert und findet, die Satzung entspreche nicht mehr den Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit (zum Beispiel, weil es nun den Zweck „Bildung“ enger auslegt), dann kann es nach der jüngsten Anpassung des An­wendungserlasses nicht deshalb die Anerkennung rückwirkend aberkennen. Stellt das Finanzamt fest,

„dass die Satzung nicht den Anforderungen des Gemeinnützigkeits­rechts genügt, dürfen aus Vertrauensschutzgründen hieraus keine nachteiligen Folge­rungen für die Vergangenheit gezogen werden. Die Körperschaft ist trotz der fehler­haften Satzung für abgelaufene Veranlagungszeiträume und für das Kalenderjahr, in dem die Satzung beanstandet wird, als steuerbegünstigt zu behandeln.“ (Nummer 4 der AEAO zu § 59)

Also: Das Finanzamt wird verlangen, dass die Satzung bis zum Jahresende angepasst wird. Problematisch wird es im Jahr darauf, wenn die Satzung nicht geändert wird oder das Finanzamt der geänderten Satzung die Anerkennung nach §60a AO verwei­gert.

Es ist sinnvoll, schon jetzt die Satzung zu prüfen: Passen die Zwecke? Gibt es besser passendere, konkrete Zwecke zu unserem Anliegen? Stimmt die Beschreibung der Zweckverwirklichung?

Die Satzung sollte nie geändert werden, ohne das Finanzamt vorab zu fragen, ob die Änderungen aus deren Sicht okay sind.

Sollten wir jede politische Äußerung unterlassen?

Die sicherste Lösung ist das – aber genau das wäre eine Beschädigung der Demokratie und eine Einschränkung des Handlungsspielraums.

Es ist klug, immer wieder zu prüfen, ob die Äußerungen von Zweck und Satzung ge­deckt sind. Es kann sinnvoll sein, Grenzen auszutesten statt sich verschreckt zu ver­stecken. Dabei sollte das Risiko abgewogen werden. Ein Risiko kann bewusst einge­gangen werden.

Hilft es, den Verein aufzuspalten?

Eine hybride Struktur mit einem eindeutig gemeinnützigen Teil und einem freier han­delnden Teil ist möglich, aber kompliziert. Ein Muster dafür bieten faktisch die Parteien und ihre gemeinnützigen parteinahen Stiftungsvereine: Die Stiftungsvereine betreiben ganz neutral Bildung und Forschung, die Parteien verwenden die Ergebnisse und brin­gen die Forderungen ein.

Mögliche Aufteilungen können sein:

  • Ein nicht gemeinnütziger Verein mit einer gemeinnützigen Tochter-GmbH (gGmbH, z.B. für Bildung – einziger Gesellschafter ist der Verein).
  • Ein gemeinnütziger Verein und eine nicht formell organisierte Bewegung oder ein Netzwerk aus Menschen. Der Verein darf z.B. Bildungsangebote machen. Er kann einzelne Aktivitäten fördern, die seinen Satzungszwecken entsprechen – auch von einzelnen Menschen.
  • Zwei getrennte Vereine – einer ist gemeinnützig, der andere nicht.

Diese Struktur ist immer kompliziert und verwirrend. Um sie aufzusetzen, braucht es Fachwissen. Spender*innen und andere Unterstützer können verwirrt sein, an wen sie sich wenden sollen. Für das Finanzamt braucht es eine klare Trennung.

Im Kampagnen-Handbuch „Engagement in Aktion“, herausgegeben von der Stiftung Mitarbeit und der Bewegungsstiftung, finden sich im Kapitel zu Gemeinnützigkeit Hin­weise auf eine hybride Struktur.

Wie könnte so eine Aufteilung praktisch aussehen?

Zum Beispiel: Der Bildungsverein schult dazu, wie Demos organisiert werden und gibt Rhetoriktrainings und Transparent-Anleitungen. Andere führen die Demo mit dem Wissen durch.

Oder: Der Forschungsverein erstellt eine Studie, die auch Handlungsempfehlungen enthalten darf. Eine andere Organisation fordert die Umsetzung der Forderungen.

Oder: Ein Verein zur Förderung von Kinderrechten ist für Bildung gemeinnützig, da „Kinderrechte“ kein gemeinnütziger Zweck sind. Mit Kindern erarbeiten die Vereins­mitarbeiter*innen in einem Workshop Ideen und Forderungen. Die Kinder entschei­den, diese Ideen dem Stadtparlament vorzutragen. Das müssen sie dann alleine ma­chen – der gemeinnützige Verein beteiligt sich nicht daran. Aber vielleicht erklärt er davor politische Prozesse und wie Demos angemeldet werden. Und vielleicht gehen Vereinsmitarbeiter*innen privat zur Demo; die Grenze zwischen privater Tätigkeit und Vereinstätigkeit muss dann deutlich werden; vor allem dürfen keine Vereinsmittel für die Demo selbst verwendet werden.

Wie können wir vermeiden, dass das Finanzamt auf unsere Aktionen aufmerksam wird?

Als gemeinnütziger Verein: Gar nicht. Der Verein muss alle drei Jahre ans Finanzamt berichten. Man kann hoffen, dass das Finanzamt den Bericht nicht genau anschaut – aber das ist Glückssache. Und je bekannter der Verein mit seinen Aktionen ist, desto genauer schaut das Finanzamt hin.

Es kommt auch vor, dass Dritte das Finanzamt auf angebliche Gemeinnützigkeits-Ver­stöße hinweisen.

Was droht uns, wenn das Finanzamt unsere Aktivitäten für nicht gemeinnützig hält?

Das kommt drauf an.

Es kann sein, dass das Finanzamt lediglich darauf hinweist, dass bestimmte Aktivitä­ten künftig unterlassen werden sollen. Damit wird die Auseinandersetzung lediglich verschoben und das Risiko verlagert. Es ist oft möglich, das Finanzamt noch vor der nächsten Drei-Jahres-Prüfung zu überzeugen, warum die Aktivitäten sehr wohl ge­meinnützig sind.

Das Finanzamt kann einzelne, konkrete Aktivitäten bzw. Ausgaben rügen, so dass da­für eine Nachversteuerung wegen Mittelfehlverwendung in Höhe von 30 Prozent der Ausgabe fällig wird.

Das Finanzamt kann für zurückliegende Zeiträume die Gemeinnützigkeit aberkennen: Für ein ganzes Jahr oder den gesamten Drei-Jahres-Zeitraum. Dann müssen für Aus­gaben in dem Zeitraum, die nicht gemeinnützigen Zwecken dienten, 30 Prozent Steu­er gezahlt werden. Habt Ihr einen Zweckbetrieb, ändert sich dessen Besteuerung. Auf hohe Spenden ab 20.000 Euro wird Schenkungssteuer fällig.

Wenn das Finanzamt der Auffassung ist, dass so ein grober Verstoß anhält, wird es keinen Freistellungsbescheid ausstellen, so dass ab dem Moment keine Spendenbe­scheinigungen mehr ausgestellt werden dürfen und auch viele Fördermittel wegfallen.

Wenn das Finanzamt den Verstoß für so gravierend hält, dass er einem Vermögens­verbrauch nahe kommt, kann es verlangen, dass ihr Euer Vermögen (Bankguthaben und mehr) an die Organisation abführt, die dafür in Eurer Satzung für den Fall der Vereinsauflösung vorgesehen ist.

Dürfen wir weiter Spendenbescheinigungen ausstellen?

Die Ankündigung von Campact, keine Spendenbescheinigungen mehr auszustellen, hat viele Organisationen unter Druck gesetzt. Doch jeder Fall ist verschieden. Campact geht nach derzeitigem Stand davon aus, dass das Finanzamt die Gemeinnüt­zigkeit nicht bestätigen wird, weil aus dessen Sicht Mittel nicht für gemeinnützige Zwecke ausgegeben wurden. Mit einer Spendenbescheinigung bestätigt der Unter­schreiber, dass die Mittel dafür ausgegeben werden.

So lange Ihr davon ausgeht, dass Ihr Euch im Rahmen der Satzung und der Gemein­nützigkeits-Regeln bewegt, spricht nichts dagegen, wie bisher und vom Finanzamt an­erkannt zu verfahren.

Wer vorsätzlich oder grob fahrlässig diese Mittelverwendung falsch bescheinigt, haftet für die entgangenen Steuern, also 30 Prozent des bestätigten Betrags.

(Dieser Abschnitt wurde am 20. März 2019 nachträglich eingefügt.)

Wie können wir Sanktionen mindern?

Bei einer rückwirkenden Aberkennung und Nachversteuerung könnt Ihr nachweisen, dass ein Teil der Ausgaben dennoch für gemeinnützige Zwecke verwendet wurde. Für diesen Teil müsst Ihr nicht zahlen.

Ein gemeinnütziger Verein darf zwar nur ausschließlich seine gemeinnützigen Zwecke fördern. Wenn ein Verein zu 90 Prozent Bildungsarbeit macht, zu 10 Prozent anderes, kann er wegen der 10 Prozent die Gemeinnützigkeit verlieren. Aber nur die Ausgaben zu den 10 Prozent muss er nachversteuern.

Und wenn wir nicht zahlen?

Im Zweifel geht der Verein insolvent und löst sich auf.

Je nach konkreten Umständen und letztlich nur in Ausnahmefällen können Vorstands­mitglieder für offene Verbindlichkeiten gegenüber Dritten (wie dem Finanzamt) haften.