Wenn das Finanzamt androht, die Gemeinnützigkeit zu entziehen, ist das ein Schock für Vereine: Es belastet die Arbeit, es macht ohnmächtig, eventuell ist die Existenz des Vereins gefährdet. Auf jeden Fall sind die Einnahmen gefährdet, weil Vereine befürchten, dass Spender*innen und Drittmittel-Geber sich abwenden, wenn sie vom Vorwurf des Finanzamtes hören. Wegen dieser Image-Gefahr machen die meisten Vereine ihre Gemeinnützigkeits-Probleme nicht öffentlich. Wir zeigen mit Beispielen die Vielzahl und Vielfalt der Fälle auf. Viele der Beispiele sind hier zunächst anonym – wir kennen die Vereine dahinter und haben weitere Informationen.
Wenn Sie einen entsprechenden Fall berichten wollen, finden Sie dazu hier weitere Informationen.
Seit dem Attac-Urteil von Anfang 2019 gab es weitere öffentlich bekannt gewordene Aberkennungen. Einige davon finden Sie hier.
Was alle Fälle gemeinsam haben: Die Buchhaltung, die Selbstlosigkeit oder ähnliches wird nicht beanstandet. Es wird niemals vorgeworfen, dass sich jemand bereichert habe oder Formalia nicht eingehalten wurden.
Inhaltsverzeichnis
innn.it: Einengende Auslegung der Förderung demokratischen Staatswesens
Der Verein innn.it e.V., der das gleichnamige Petitionsportal innn.it betreibt (ehemals change.org), wehrt sich seit 2019 gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt Berlin. Der Verein weigert sich, wie vom Finanzamt Berlin gefordert Petitionen an private Unternehmen und nicht staatliche Stellen zu löschen oder zu bepreisen. Diese seien nach Auffassung des Finanzamt gemeinnützigkeitsschädlich – nur Petitionen an staatliche Stellen würden unter den gemeinnützigen Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ fallen.
innn.it e.V. kann diese Argumentation nicht nachvollziehen und hat erfolgreich geklagt. Am 14.11.23 hatte das zuständige Finanzgericht Berlin-Brandenburg dem Verein in allen Punkten Recht gegeben und die Gemeinnützigkeit wieder hergestellt. In der Urteilsbegründung heißt es: “Der Kläger ist gemeinnützig tätig, denn er fördert das demokratische Staatswesen. Es liegt auch nicht der Ausschlussgrund vor, dass Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind, verfolgt werden.” Nach Auffassung des Gerichts gehören zum demokratischen Staatswesen “insbesondere die Förderung der Ausübung der grundgesetzlich verbürgten Grundrechte, wie im Streitfall der Meinungsfreiheit, sowie der Förderung allgemeiner demokratischer Teilhabe, die sich aus dem Demokratieprinzip ergibt“. Demokratie sei ohne Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht denkbar – genau auf dessen Förderung aber sei die Arbeit von innn.it gerichtet. Der Verein wäre “einem Demonstrations- und Versammlungsförderverein vergleichbar, der die einzelnen Bürger bestärkt, öffentlich ihre Ziele zu vertreten, zu verbreiten und die Masse in der Öffentlichkeit zu erreichen und hierbei bspw. übliche Demonstrations- und Versammlungsmaterialien bereitstellt, aber hauptsächlich die Nutzer darin berät, wie ihre Anliegen formuliert und transportiert werden können”.
Allerdings ist das Urteil nicht rechtskräftig, weil das Finanzgericht in Revision vor dem Bundesfinanzhof in München gegangen ist (Aktenzeichen V R 28/23).
BUND: Zu viel Demokratie fördert nicht die Allgemeinheit
Zu viel Demokratie fördert nicht die Allgemeinheit. Das meinte zumindest das Finanzamt Hamburg, bis sechs Jahre später der Bundesfinanzhof das Gegenteil entschied.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Hamburg organisiert mit anderen Gruppen in den Jahren 2010 und 2011 ein Bürgerbegehren, damit die Stadt das Stromnetz übernimmt, um es umweltfreundlicher zu nutzen als der bisherige Betreiber, ein Atom- und Kohlekonzern. Der Verein ist der Auffassung, dass den Netzen eine entscheidende Bedeutung für die Energiewende zukomme, es also um Umweltschutz geht. Ein CDU-Abgeordneter behauptet, der Verein verwende dadurch seine Spenden für andere Zwecke als seine festgelegten gemeinnützigen Satzungszwecke. Der Verein bittet das Finanzamt um Überprüfung. Das Amt äußert – überraschenderweise – die Auffassung, der Verein fördere mit dem Volksbegehren nicht mehr die Allgemeinheit, da er darauf ziele, die kommunale Politik zu beeinflussen, also zu viel politischen Einfluss nehme.
Im September 2012 reicht der BUND Klage gegen das Finanzamt ein. Das Finanzgericht gibt zunächst dem Finanzamt recht. Erst im März 2017 entscheidet der Bundesfinanzhof zugunsten des BUND. Unter anderem beim Umweltschutz könnten viele Entscheidungen nicht von einzelnen getroffen werden, sondern nur durch den Staat. Auf dessen Entscheidungen einzuwirken stehe darum nicht im Gegensatz zum Unmittelbarkeits-Gebot. Es dauert danach noch Monate, bis das Finanzamt die Entscheidung nachvollzieht und dem BUND mit Freistellungsbescheiden für 2010 und 2011 die Gemeinnützigkeit bestätigt.
Die Auseinandersetzung kostete neben sechs Jahren Bangen und Warten, neben hohem Aufwand von Angestellten und Ehrenamtlichen ca. 120.000 Euro zusätzliche Kosten für Anwälte und Gutachten. Das ist ungefähr ein Fünftel des Jahresbudgets des BUND Hamburg (inklusive zweckgebundener Mittel). Eine achtel Million Euro, die für die gemeinnützige Arbeit fehlt.
Mehr zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs hier.
Attac: Bildung darf keine Alternativen aufzeigen
Attac ist ein globalisierungskritisches Netzwerk, das sich als Bildungsbewegung mit Aktionsorientierung versteht. Seit dem Jahr 2003 wird das Netzwerk vom „Attac Trägerverein“ verantwortet. Im Sommer 2011 bestätigt das zuständige Finanzamt in Frankfurt am Main die Gemeinnützigkeit des Vereins, nachdem es seine Tätigkeiten im Jahr 2009 geprüft hatte. Doch drei Jahre später, am 14. April 2014, verweigert das gleiche Finanzamt für die Jahre 2010 bis 2014 die Gemeinnützigkeit und verbietet, weiterhin Bescheinigungen zum Steuerabzug von Spenden auszustellen.
Das Finanzamt unterstellt, Attac würde sich nicht ausschließlich und unmittelbar seinen steuerbegünstigten Satzungszwecken widmen. Vielmehr würde Attac auch allgemeinpolitische Ziele verfolgen. Das Finanzamt nennt dazu das Engagement zur Regulierung der Finanzmärkte, zur Einführung der Finanztransaktionssteuer oder zur der Einführung einer Vermögensabgabe. (Kurz davor lobte Bundespräsident Joachim Gauck in einer Rede Attac dafür, die Finanztransaktionssteuer auf die Tagesordnung der Politik gebracht zu haben.)
Attac entgegnet, dass politische Meinungsbildung nicht grundsätzlich der Gemeinnützigkeit widerspricht. Vielmehr führe der gemeinnützige Zweck ‚politische Bildung‘ zu politischer Meinungs- und Willensbildung; politische Meinungsbildung führe im besten Fall zu gesellschaftlichem Engagement.
Der Einspruch von Attac wird vom Finanzamt abgewiesen. Attac klagt daraufhin. Am 10. November 2016 entscheidet das Finanzgericht Kassel auf diese Klage von Attac, dass Attac gemeinnützig ist. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils im Mai 2017 legt das Finanzamt auf Weisung des Bundesfinanzministeriums Beschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) ein und hemmt damit die Rechtskraft des Urteils. Der BFH veröffentlicht am 26. Februar 2019 seine Entscheidung und verweist die Sache zurück ans Hessische Finanzgericht. An die Auslegung des BFH gebunden, weist genau ein Jahr später am 26. Februar 2020 das hessische Finanzgericht die Klage von Attac ab. Attac legt dagegen Revision ein.
Im Zuge dieser Revision schränkt der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung den gemeinnützigen Zweck „Bildung“ stark ein und beschäftigt sich weitgehend nicht mit weiteren gemeinnützigen Zwecken, die in der Attac-Satzung stehen. Bildung müsse in „geistiger Offenheit“ geschehen. Der gemeinnützige Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesen“ sei ebenfalls Bildung.
Der Bundesfinanzhof (BFH) veröffentlicht am 28. Januar 2021 seinen Beschluss, die Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts abzulehnen.
Ende Februar 2021 legt Attac daraufhin Verfassungsbeschwerde ein. Das globalisierungskritische Netzwerk sieht sich in seinen Grundrechten verletzt, insbesondere in der Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 des Grundgesetzes) in Verbindung mit der Meinungsfreiheit (Artikel 5) sowie dem Gleichheitssatz (Artikel 3) und dem Demokratieprinzip (Artikel 20).
Zehn Jahre nach Beginn der Auseinandersetzung kann Attac weiter keine Spendenbescheinigungen ausstellen und kann keine öffentlichen oder Stiftungs-Mittel beantragen.
Eine ausführlichere Chronologie des Rechtsstreit von Attac um seine Gemeinnützigkeit ist hier zu finden.
Bildung nur ohne politische Haltung
Mit ausdrücklichem Bezug auf das Attac-Urteil droht das zuständige Finanzamt im Juni 2019 einem kleinen ehrenamtlich geführten Verein die Aberkennung der Gemeinnützigkeit an. Der Verein betreibt ein soziokulturelles Zentrum. Seine Satzung ist wegen Förderung der Bildung und der Kultur als gemeinnützig anerkannt. Das Finanzamt wirft dem Verein vor, eine politische Haltung zu haben, etwa für eine hierarchiefreie Gesellschaft. Deshalb sei wahrer Zweck seiner Bildungs- und Kulturveranstaltungen, „die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen“ zu beeinflussen. Der Verein betreibe „politische Willensbildung“ nicht in „geistiger Offenheit“ – hier verwechselt das Finanzamt offenbar politische Bildung und politische Willensbildung. Weit übers Ziel hinaus schießt es auch mit dem Vorwurf, der Verein fördere nicht die Allgemeinheit, weil er Rechtsextremisten und Personen, die menschenverachtend hetzen, von seinen Veranstatungen ausschließt.
Obwohl noch kein Bescheid ergangen ist, müssen die ehrenamtlich Engagierten nun fast alle Energie auf den Erhalt der Gemeinnützigkeit richten. Geld für eine Anwältin hat der Verein nicht übrig.
Demonstrationen gefährden Gemeinnützigkeit
Ein Verein ist als gemeinnützig zur Förderung des Umweltschutzes anerkannt mit spezifischen Zielen. Das Finanzamt bemängelt, dass der Verein im Vorjahr vor allem für Demonstrationen mobilisiert habe. Werde der Verein sich weiter so politisch betätigen, werde die Gemeinnützigkeit nicht weiterhin anerkannt. Erst vier Jahre später und nach vielen gewechselten Briefen erkennt das Finanzamt an, dass der Verein sich zur Erreichung seiner Ziele politisch betätigen darf, da es untrennbar mit dem konkreten Satzungszweck verbunden ist, Einfluss auf die Politik zu nehmen, da nur die Politik entsprechende umweltpolitische Ziele setzen und umsetzen kann (siehe ähnliche Begründung wie beim BUND Hamburg).
Seit Anfang 2022 ist vereinzeltes Engagement über den eigenen gemeinnützigen Satzungszweck hinaus bei Gelegenheit unproblematisch (wie das Aufrufen zu Demonstrationen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen bsw.). Anfang 2022 hat das Bundesfinanzministerium in Absprache mit den Landesfinanzministerien den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) ergänzt. Mit dem Erlass interpretiert die Finanzverwaltung das Gesetz und gibt zugleich allen Finanzämtern diese Auslegung verbindlich vor. Sollte ein Finanzamt einen Demoaufruf rügen, kann der Erlass zitiert werden.
Der Sportverein schweigt zu Rassismus und Diskriminierung
Eine Abteilung eines örtlichen Sportvereins postet auf ihrer Facebook-Seite immer wieder auch Stellungnahmen gegen Rassismus, für Toleranz und für die Gleichstellung aller Geschlechter, auch Hinweise auf Demonstrationen zu diesen Themen, die alle auch in der Satzung des Landessportbundes abgebildet sind, in dem der Sportverein Mitglied ist. Daraufhin meldet sich der Vorstand des Gesamtvereins und sagt:
Das müsst Ihr löschen. Solche Stellungnahmen gefährden die Gemeinnützigkeit des gesamten Vereins, denn wir dürfen nur zu unserem Zweck „Sport“ tätig sein. Eure Stellungnahmen gehen über diesen Zweck hinaus.
Wenn Ihr das weiter so macht, müssen wir zum Schutz des gesamten Vereins und dessen gemeinnütziger Tätigkeit Eure Abteilung schließen.
In der Abteilung wird die Angelegenheit lange diskutiert. Zur Diskussion steht auch, sich als Verein selbstständig zu machen. Die Abteilung entscheidet sich dagegen, weil sie auf die Vorteile der Gemeinnützigkeit und des Sportverbandes zwingend angewiesen ist. Davon hängt auch die Möglichkeit ab, städtische Hallen nutzen zu können.
Der Mehrheit der Mitglieder ist die Stellungnahme gegen Rassismus zwar wichtig, aber sie wollen dadurch nicht die sportliche Betätigung gefährden. Die Abteilung gibt die Facebook-Seite an Privatpersonen ab und äußert sich als Abteilung künftig nicht mehr.
Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechte
Ein Verein engagiert sich für Menschenrechte in einem südamerikanischen Land. Einen Zweck „Förderung der Menschenrechte“ gibt es im Gemeinnützigkeitsrecht aber nicht. Wohl aber: „Förderung der Entwicklungszusammenarbeit“. Der Verein hält das für passend, um die eigene Arbeit zu beschreiben. Doch das örtliche Finanzamt hat eine andere Vorstellung davon, was Entwicklungszusammenarbeit ist: Damit sei nur die wirtschaftliche Entwicklung gemeint. Das Amt verlangt, die Aktivitäten anzupassen, ansonsten sei die Gemeinnützigkeit bedroht – und damit Zuwendungen aus Bundesmitteln und Stiftungen.
Völkisches Denken statt gegen Diskriminierung arbeiten
Ein Verein setzt sich für die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland ein. Er engagiert sich dafür, dass Schwarze Menschen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe erfahren, als anders und außerhalb deutscher Kultur verortet und gesellschaftlich diskriminiert zu werden.
Gemeinnützig ist er für Völkerverständigung. Die Abgabenordnung zwingt den Verein, Schwarze und weiße Menschen quasi als verschiedene Völker anzusehen, obwohl sie gemeinsam in einem Land leben und meist die gleiche Staatsangehörigkeit haben. Denn einen Zweck wie „Förderung der Verwirklichung von Grundrechten“ kennt die Abgabenordnung nicht.
Rechte Homosexueller sind nur schwierig förderungswürdig
Einem Verein, der sich für die Rechte homosexueller Menschen einsetzen möchte, sagt der zuständige Finanzbeamte seufzend: Leider sei das Gesetz etwas rückständig und sieht nur vor, dass die Arbeit für die Gleichstellung von Mann und Frau oder zur Förderung der Ehe gemeinnützig sei. Er empfiehlt, Bildung und die Förderung von Kultur in die Satzung zu schreiben. Der Verein kann nur hoffen, dass nicht später ein anderer Finanzbeamter bemängelt, dass die Tätigkeit des Vereins nicht zu den Satzungszwecken passt. Denn dass ein Verein Kulturarbeit fördert, aber außerdem die Ehe für Homosexuelle fordert, kann ihn die Gemeinnützigkeit kosten (das Beispiel ereignete sich vor der Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare).
Vereine, die sich allgemein für die Rechte Homosexueller und gegen ihre Diskriminierung einsetzen, finden keinen konkreten passenden Zweck in der Abgabenordnung. Sie sind meist gemeinnützig für Jugendförderung und Altenhilfe unter dem besonderen Aspekt homosexueller Jugendlicher und alter Menschen; für Bildung, da sie mit Bildungsarbeit über die Diskriminierung und die Lebenswelt von Homosexuellen aufklären; und für Mildtätigkeit.
Das Konstrukt hinter „Mildtätigkeit“ ist, dass Homosexuelle an den Rand gedrängt seien, darunter leiden und darum besonderer Hilfe bedürften, etwa in Selbsthilfegruppen. Damit muss ein Verein, der sich für selbstbewusste Menschen einsetzen möchte, diese Menschen zugleich zu Objekten machen und sie als schwach darstellen.
Das dritte Geschlecht
Im November 2017 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass im Geburtenregister neben männlich und weiblich auch ein drittes Geschlecht eingetragen werden muss. Die bisherige Praxis verletze die Rechte intersexueller Menschen. Ein Verein, der sich für die Rechte Intersexueller einsetzt, kann jedoch nicht gemeinnützig sein. Die „Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ ist ein gesetzlicher gemeinnütziger Zweck, der jedoch nicht den Einsatz für die Gleichberechtigung aller Geschlechter einschließt.
Ein Verein, der sich gemeinnützig dafür einsetzen möchte – ob durch Klagen vor Gericht, Appelle an Regierung und Parlament oder ganz praktische Tätigkeiten wie geschlechtsneutrale Toiletten – muss seine Arbeit als Förderung des Gesundheitswesens oder gar als mildtätig verkleiden (siehe auch voriges Beispiel). Oder darauf hoffen, dass das zuständige Finanzamt beantragt, dass der Zweck über die Öffnungsklausel in § 52, Absatz 2 der Abgabenordnung anerkannt wird: „Sofern der von der Körperschaft verfolgte Zweck nicht unter Satz 1 fällt, aber die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet entsprechend selbstlos gefördert wird, kann dieser Zweck für gemeinnützig erklärt werden.“ Dieses Verfahren würde aber voraussichtlich Monate dauern.
Engagement für Rechtsstaatlichkeit gefährdet die Gemeinnützigkeit
Ein Verein unterstützt in einem Kriegsgebiet örtliche Initiativen, die unter anderem die zusammengebrochene Infrastruktur wieder aufbauen und Orte mit Lebensmitteln, Gesundheitsversorung und Schulen ausstatten. Neben der dort wohneneden Bevölkerung müssen auch dorthin Geflüchtete versorgt werden. Der Verein verfolgt die gemeinnützigen Zwecke Völkerverständigung, Hilfe für politisch Verfolgte und Entwicklungszusammenarbeit.
Das Finanzamt wirft dem Verein im September 2013 vor, dass die Darstellung der Aktivitäten im Internet von den in der Satzung und in Berichten fürs Finanzamt beschriebenen Tätigkeiten abweiche. Der Verein verfolge politische Zwecke, da er Bündnisse unterstütze, die in dem Land das politische System ändern wollen. Die unterstützten Gruppen fordern einen Rechtsstaat und die Absetzung eines Diktators.
Das Finanzamt droht an, die Gemeinnützigkeit rückwirkend ab Vereinsgründung zu entziehen und auf seitdem vereinnahmte Spenden eine Nachversteuerung in Höhe von 30 Prozent zu erheben.
Der Verein wendet insgesamt umgerechnet etwa eine Vollzeitstelle über vier Monate dafür auf, um auf die Vorwürfe zu antworten, sie zu widerlegen und die Arbeit des Vereins sehr umfassend darzustellen. Spendenbescheinigungen für 2013 wurden zunächst nicht ausgestellt.
Mehr als ein Jahr nach der Androhung teilt das Finanzamt im November 2014 in zwei Zeilen mit, dass die Gemeinnützigkeit nicht aberkannt wird. Spenderinnen und Spender erhalten erst jetzt ihre Zuwendungsbescheinigungen für 2013, für die meisten zu spät für ihre Steuererklärung 2013.
Der Verfassungsschutz täuscht sich, das Finanzamt handelt
Ein Verein ist für Förderung der Jugend als gemeinnützig anerkannt und betreibt ein Zentrum als Treffpunkt für junge Menschen. Vom Zentrum gehen unter anderem antifaschistische Aktivitäten aus. Im Jahr 2011 wird der Verein im Bericht des Landesverfassungsschutzes erwähnt. Der Verein klagt dagegen und gewinnt vor dem Verwaltungsgericht, der Verfassungsschutz erwähnt den Verein nicht erneut.
Doch gleich nach Veröffentlichung des Verfassungschutz-Berichtes schreibt das Finanzamt dem Verein, es stelle seine Gemeinnützigkeit in Frage, da er politische Ziele verfolge und seine Bildungsarbeit nicht neutral sei. Erst einen Monat zuvor wurde die Gemeinnützigkeit für die vergangenen Jahre bestätigt.
Nach Ansicht des Vereins ist die Einflussnahme des Verfassungsschutzes offensichtlich. Nachdem bereits der Prozess gegen den Verfassungsschutz sehr aufwändig war und mehrere tausend Euro kostete, bindet nun die Auseinandersetzung mit dem Finanzamt die ehrenamtlichen Kräfte über Monate und kostet über 2.000 Euro. Auf sieben Seiten legt ein Anwalt dar, warum es gemeinnützig ist, wenn Jugendliche sich selbstbestimmt zu politischen Themen bilden. Da die Vorwürfe des Finanzamtes allgemein sind, kann der Verein nicht einfach widerlegen, sondern muss seine Arbeit umfassend darstellen und begründen.
Finanzamt-Unverständnis beschäftigt Vereine dennoch
Ein Finanzamt rügt eine antirassistische Ausschlussklausel als Hindernis der Gemeinnützigkeit: Weil ein Verein Rechtsextremisten auslädt, fördere er nicht die Allgemeinheit. Deshalb werde die Gemeinnützigkeit aberkannt. Das Finanzamt missversteht offenbar völlig ein Urteil des Bundesfinanzhofes vom Mai 2017 zum Diskriminierungsverbot und übersieht das Gebot für gemeinnützige Organisationen, Verfassungsfeinde auszuschließen. Ob Unwissenheit, Ungeschicklickeit oder Unwille des Finanzamtes – der Verein, dessen antirassistische Ausschlussklausel zum Anlass eines Entzugsverfahrens genommen wird, hat den Aufwand, dem Finanzamt zu erklären, wie Gemeinnützigkeit funktioniert. Mehr zu diesem Fall gibt es hier.
Finanzamt verweist an Verfassungsschutz. Der schweigt.
Die Marxistische Abendschule Hamburg – Forum für Politik und Kultur e.V. ist ein kleiner Verein, der sich im universitären Umfeld intensiv mit den Schriften von Marx und benachbartem Theoriegut beschäftigt. Er organisiert neben Lektürekursen auch Vorträge zu marxistischer Theorie und zeitlich-aktuellen (polit-ökonomischen) Themen. Seit den 1980er Jahren wird er im Hamburger Verfassungsschutzbericht erwähnt. Im Wesentlichen wird dort regelmäßig festgestellt, dass in diesem Verein insbesondere Marx gelesen werde. Seit 2015 wird der Verein im Verfassungsschutzbericht als extremistisch eingestuft.
Im Oktober 2020 erhielt der Verein Nachricht vom Finanzamt, dass seine Gemeinnützigkeit nicht mit einer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht vereinbar sei. Die Stellungnahme des Vereins, in welcher dieser sein positives Verhältnis zum Grundgesetz darlegte, blieb erfolglos und ihm wurde im Dezember 2020 die Gemeinnützigkeit entzogen. Der „volle Beweis“ sei ausgeblieben, der Verein solle direkt mit dem Verfassungsschutz die gegen ihn erhobenen Vorwürfe klären. Von diesem sind keine Informationen zu bekommen, der Verein kann die gegen ihn erhobenen Vorwürfe somit nicht entkräften. Die Marxistische Abendschule Hamburg erwägt seither, rechtlich gegen die Vorwürfe des Verfassungsschutzes und den Entzug der Gemeinnützigkeit vorzugehen.
Seit 2023 erwähnt der Hamburger Verfassungsschutz die Marxistische
Abendschule nicht mehr in seinem Bericht, der Verein hat unterdessen seine Gemeinnützigkeit nicht zurück erhalten. Mehr zu diesem Fall gbt es hier.
30 Monate Streit um Gemeinnützigkeit, dann sagt das Finanzamt: Na gut
Der Fall des Vereins Dona Carmen zeigt, wie schwierig es für gemeinnützige Organisationen ist, effektiven Rechtsschutz für ihren Status zu erhalten. Das Gesetz ist so kompliziert, dass der Status der Gemeinnützigkeit offenbar weniger von Zielen und Tätigkeiten eines Vereins abhängt als davon, wie viel Geld der Verein für Anwältinnen und Steuerberater ausgeben kann. Das Finanzamt hatte die Gemeinnützigkeit rückwirkend aberkannt und auch den Einspruch des Vereins abgewiesen. Erst nachdem der Verein Klage erhoben hatte, revidierte das Finanzamt alle seine vorherigen Entscheidungen und sprach dem Verein die Gemeinnützigkeit rückwirkend wieder zu. Bis dahin musste der Verein um seine Existenz bangen und mit dem Vorwurf leben, dass seine Tätigkeit nicht gemeinnützig sei. Mehr dazu hier.
Politik und Forschung
Ein Verein informiert bundesweit über Friedensforschung, nicht-militärische Ansätze zur Konfliktlösung und die Militarisierung von Konflikten sowie der Gesellschaft. Er veröffentlicht Aufsätze und recherchiert umfassend zu seinen Themen, auf Grundlage einer antimilitaristischen Haltung. Er ist als gemeinnützig zur Förderung der Völkerverständigung anerkannt. Der Bundesfinanzhof hat bereits vor Jahren entschieden, dass Engagement für den Frieden der Völlkerverständigung dient.
Am 9. Februar 2006 teilt das Finanzamt telefonisch mit, dass für die vergangenen Jahre kein Freistellungsescheid ausgestellt werden wird, also die Gemeinützigkeit aberkannt wird. Grund sei, dass eine nicht näher genannte Behörde gegenüber dem Finanzamt Zweifel an der Verfassungstreue des Vereins geäußert habe. Erst nach mehreren Nachfragen erläst das Finanzamt am 12. Mai 2006 einen Freistellungsbescheid, allerdings mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass diese „stets widerruflich“ sei. Eine Stellungnahme zur Verfassungstreue erfolgt auch auf Nachfrage nicht.
Am 11. Mai 2007 kündigt das Finanzamt schriftlich an, die Gemeinnützigkeit rückwirkend für die Jahre ab 2001 zu entziehen und droht an, der Verein müssse für die seitdem eingenommenen Spenden 40 Prozent Steuern zahlen. (Diese Nachversteuerung wurde im Gesetz mittlerweile auf 30 Prozent gesenkt.) Die Arbeit des Vereins werde von allgemeinen politischen Themen dominiert. Der Verein hat den Eindruck, dass das Finanzamt Gründe sucht, die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, ohne die angeblich fehlende Verfassungstreue weiter thematisieren zu wollen, um die „Behörde“ nicht nennen zu müssen.
Der Verein schreibt am 10. Juli 2007 eine umfassende Erwiderung, in der er unter anderem darlegt, dass alle veröffentlichten Texte einen Bezug zu den Satzungszwecken Frieden und Völkerverständigung.
Einige Wochen später nimmt das Finanzamt die Androhung zurück.
Natur- statt Umweltschutz
Ein Verein fördert seit Jahren unter anderem den Umweltschutz und hat das so auch – neben anderen Zwecken – in der Satzung stehen. Das Finanzamt bestätigt regelmäßig die Gemeinnützigkeit. Plötzlich fordert das Finanzamt den Verein auf, die Satzung zu ändern, um den Zweck klarer dem Wortlaut der Abgabenordnung anzupassen: Statt „Umweltschutz“ soll dort „Förderung des Naturschutzes und der Landschaftspflege“ stehen – obwohl in der Abgabenordnung der Umweltschutz ebenso steht. Der Verein fürchtet dadurch eine Einengung und Entpolitisierung der eigenen Arbeit.
Einfach zu kompliziert
„Wir sind gar kein eingetragener Verein, sondern einfach nur eine Kampagne, deswegen kam Gemeinnützigkeit nicht in Frage. Sich nebenbei noch mit der ganzen Vereinsbürokratie auseinandersetzen zu müssen, insbesondere mit der Beantragung und den jährlichen Nachweisen der Gemeinnützigkeit, hätte unsere Kapazitäten echt überschritten“, schreibt eine Initiative. Weil der Aufwand und die Unsicherheit der Gemeinnützigkeit so groß ist, verzichtet der Verein auf Vorteile wie die steuerliche Begünstigung für Spenderinnen und Spender.
Deutlich wird auch eine weitere Unklarheit: Gemeinnützige Organisationen werden über zwei Rechtskreise reguliert, Zivilrecht und Steuerrecht. Gemeinnützigkeit ist Steuerrecht und bestimmt die Verfassung zivilgesellschaftlicher Organisationen stärker als das Zivilrecht. Das Zivilrecht bestimmt zum Beispiel Regeln für Vereine. Sobald mehrere Personen etwas gemeinsam unternehmen, sind sie zivilrechtlich etwas – zum Beispiel ein Verein oder auch eine BGB-Gesellschaft.
AfD gegen Campact
Darf ein gemeinnütziger Verein vor den Zielen einer politischen Partei warnen, weil diese aus seiner Sicht gegenläufig zu seinen gemeinnützigen Zielen und Werten stehen? Mit dieser Frage sieht sich die Kampagnen-Organisation Campact durch eine Anzeige einer AfD-Bundestagsabgeordneten beim Finanzamt konfrontiert. Die Abgeordnete fordert, dem Verein die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Das Finanzamt hat dazu erklärt, der Frage nachzugehen, wenn die nächste Steuererklärung für die Jahre 2015 bis 2017 von Campact geprüft werde. Die Prüfung der vorherigen drei Jahre 2012 bis 2014 fiel ohne Beanstandung der Gemeinnützigkeit aus.
„Wir sind überzeugt: Die Aufklärung über die politische Ausrichtung von Parteien ist gemeinnützig“, schrieb Campact dazu. Die Organisation will sich von den Vorwürfen nicht einschüchtern lassen und würde die Arbeit im Zweifel auch ohne Anerkennung der Gemeinnützigkeit fortsetzen. Campact werde in jeden Fall weiter für seine Werte einstehen. Allerdings seien die „Bestimmungen zur Gemeinnützigkeit (…) unklar und teilweise widersprüchlich“.
Für Campact bedeutet das große Unsicherheit bis zu einer Entscheidung des Finanzamtes. Die Folgen eines vom Finanzamts festgestellten Verstoßes gegen die Gemeinnützigkeit sind nicht eindeutig geregelt. Eine mögliche Konsequenz ist, dass für die nach Auffassung eines Finanzamtes nicht-gemeinnützig verwendeten Mittel (fehlverwendete Mittel) 30 Prozent Spendenhaftung bezahlt werden muss. Campact hatte nach eigenen Angaben im Jahr 2016 Einnahmen in Höhe von 8,9 Millionen Euro aus Spenden und Förderbeiträgen.
Die AfD geht damals bereits nicht zum ersten Mal gegen einen ihr missliebigen Verein vor. Mehr zum Vorgehen der AfD hier im letzten Abschnitt.
2018 reicht Campact seine Steuererklärung für die Jahre 2014 bis 2017 ein. Nach dem Attac-Urteil kündigte Campact gleichzeitig an, aus Haftungsgründen keine Spenden mehr zu bescheinigen. Ein Steuerbescheid ergeht bis Mitte Juni 2019 nicht.
Im Oktober 2019 erkennt das Finanzamt Berlin Campact den Status der Gemeinnützigkeit ab. Die Vorwürfe der AfD spielen in der Begründung keine Rolle. Das Finanzamt gibt stattdessen zur Begründung an, die Organisation sei überwiegend allgemeinpolitisch tätig gewesen. Campact habe Kampagnen zu Themen durchgeführt, die keinem gemeinnützigen Zweck der Abgabenordnung zugeordnet werden könnten.
In Erwartung dieser Entscheidung auf Grundlage des Attac-Urteils gründet Campact im Juli 2019 eine Stiftung, die die eigene Arbeit finanzieren helfen soll. So eine Aufteilung in zwei Rechtspersonen können sich die meisten Organisationen nicht leisten – oder kommen erst gar nicht auf die Idee.