Die Kampagnen-Organisation Campact stellt ab heute keine Spendenbescheinigungen an Spenderinnen und Spender mehr aus. Dies ist eine Folge des Attac-Urteils. Campact ist zu der Auffassung gekommen, dass ein hohes Risiko für den Vorstand besteht, denn §10b des Einkommenssteuergesetzes legt fest: „Wer vorsätzlich oder grob fahrlässig … veranlasst, dass Zuwendungen nicht zu den in der Bestätigung angegebenen steuerbegünstigten Zwecken verwendet werden, haftet für die entgangene Steuer.“ Nach der Logik des Bundesfinanzhofs (BFH) könnten einige Aktivitäten von Campact anders als bisher angenommen nicht mehr den gemeinnützigen Zwecken Volksbildung oder Förderung des demokratischen Staatswesens dienen.
Campact hat mit dieser Entscheidung nicht seine Gemeinnützigkeit aufgegeben. Es schützt sich vor einer möglichen Aberkennung durch das Finanzamt – gegen die Campact sicher juristisch vorgehen würde. Doch bis zu einem Gerichtsurteil würden Jahre vergehen, in denen keine Bescheinigungen ausgestellt werden dürften – siehe Attac. Zudem gibt Campact damit seinen Spenderinnen und Spenderinnen Klarheit. Üblicherweise werden Spendenbescheinigungen erst im Folgejahr verschickt, also erst in zehn oder elf Monaten. Ob Campact dann noch dazu berechtigt ist, ist aus Sicht des Vereins derzeit ungewiss.
Die Entscheidung von Campact zeigt, dass das Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs bereits jetzt akut auf tausende weitere Vereine und Stiftungen wirkt. Aus den besorgten Stirnfalten bei Vereinsvorständen werden nun konkrete Einschränkungen. Campact hat entschieden, sein Engagement für Demokratie und Menschenrechte nicht einzuschränken, dafür jedoch den Spenderinnen und Spendern die Möglichkeit des Steuervorteils zu nehmen. Damit ist Campact in seinen Finanzierungsmöglichkeiten eingeschränkt. Es besteht die Gefahr, dass andere Organisationen stattdessen einen Teil ihrer wichtigen Aktivitäten einstellen.
Über den Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“
Besonders dramatisch wirkt dabei, dass der BFH den gemeinnützigen Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ als quasi nicht vorhanden abgeräumt hat, obwohl der Bundestag ihn 1983 ausdrücklich eingefügt hatte. Im Zuge der Neuordnung des Parteifinanzierungsgesetzes wurde er als damals dritter gemeinnütziger Zweck in die Abgabenordnung eingefügt. In der Beschlussempfehlung des Innenausschusses vom 29. November 1983 (Drucksache 10/697) steht dazu:
„Nachdem der Begriff der staatspolitischen Zwecke durch den neuen Absatz 2 des § 10b des Einkommensteuergesetzes auf Parteien beschränkt wird, wird die sonstige Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich des Grundgesetzes einschließlich des Landes Berlin den gemeinnützigen Zwecken zugeordnet. Dadurch bleiben Spenden an die in Abschnitt 112 der Einkommensteuer-Richtlinien genannten Institutionen im Rahmen des § 10b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes steuerlich begünstigt.“
Bundestag muss Rechtsunsicherheit beenden und Engagement absichern
Ob Campact das Risiko der Spendenhaftung zu hoch bewertet, ist schwer einzuschätzen. Das BFH-Urteil hat Rechtsunsicherheit geschaffen, die der Bundestag umgehend beseitigen muss. Als Sofortmaßnahme nötig sind weitere gemeinnützige Zwecke und Klarstellungen, die auch rückwirkend gelten.
Die Entscheidung und Veröffentlichung von Campact könnte eine Kaskade auslösen. Durch die Information von Campact wissen auch weitere Organisationen, dass es die Möglichkeit gibt, dass Finanzämter die Zwecke anders interpretieren. Tatsächlich muss sich eine gemeinnützige Organisation an die vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannte Satzung halten, aber auch an alle gemeinnützigkeitsrechtlichen Regelungen. Ob das Urteil Regeln verändert oder nicht, ist Auslegungssache. Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ hatte die akuten Folgen des Urteils zunächst anders eingeschätzt.
Campact entscheidet sich dafür, seine Aktivitäten unverändert fortzusetzen. Andere Vereine und Stiftungen könnten stattdessen entscheiden, ihr Engagement für Demokratie und Menschenrechte einzustellen. Wieder andere lassen alles unverändert, aber vielleicht geraten die meist ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder dadurch in eine persönliche Haftung für große Beträge.
Das BFH-Urteil hat zusammen mit einem unklaren Urteil Rechtsunsicherheit geschaffen, die zivilgesellschaftliches Engagement beschränkt. Rechtsunsicherheit haben wir schon, wenn es völlig verschiedene Auffassungen gibt, welches Verhalten richtig, welches schädlich ist. Um das Engagement abzusichern und die meist ehrenamtlichen Vorstände nicht hohen Haftungsrisiken auszusetzen, muss der Bundestag sofort handeln.