Auf dieser Seite stellen wir eine Sammlung von Texten und Infos zur Verfügung, die als Basis für Gespräche mit politischen Entscheidungsträger*innen genutzt werden können und einen tieferen Einblick in das Thema Gemeinnützigkeit bieten.
Inhaltsverzeichnis
Forderungen der Allianz nach Sofortmaßnahmen – Änderungen der Abgabenordnung:
- als PDF zum Weiterreichen
- als Website mit Links zu weiterführenden Infos, Formulierungsvarianten etc.; darin u.a. Detailformulierungen zu
Gemeinsam mit unseren Mitgliedsorganisationen Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Campact haben wir im Juni 2023 ein Papier für die Koalitionsparteien geschrieben, in denen wir die wichtigsten Forderungen beschreiben und konkrete Formulierungsvorschläge für gesetzliche Änderungen machen: Vier Punkte für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht
Was darüber hinaus als Leitplanken für eine langfristige Engagementstrategie getan werden muss, hatten wir Ende 2023 in unserem Impuls zur Engagement-Strategie des Bundes notiert.
Vereinbarung der Ampel-Koalition
- Was im Koalitionsvertrag als Leitplanken für eine langfristige Engagementstrategie steht, haben wir hier zusammengefasst. (25.11.2021)
- Eine weitere Erläuterung zu den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und was sie bedeuten haben wir im März 2022 aufgeschrieben.
- Was nächste Schritte der Ampelkoalition sein sollten – Ausblick vom 22.4.2022.
- Über die Chancen für Demokratiepolitik hatten wir hier einiges direkt nach der Wahl geschrieben. (28.9.2021)
Stand der Dinge Juli 2024
Seit mittlerweile zwei Jahren wird uns angekündigt, dass die Koalition die vereinbarte Modernisierung der Gemeinnützigkeit umsetzt – oft wurde auf das jeweils nächste Jahressteuergesetz verwiesen. Im Spätsommer 2023 wurde dazu eine Arbeitsgruppe von sechs Staatssekretär:innen eingesetzt. In dieser gab es in mehreren zentralen Punkten offenbar keine Einigung, siehe bspw. auch das letztendliche Fehlen von e-Sport als neuem Zweck im Kabinettsentwurf.
Am 5. Juni 2024 beschloss die Bundesregierung einen Entwurf eines Jahressteuergesetzes. Dieser Entwurf enthält einen Vorschlag für einen neuen gemeinnützigen Zweck zu Wohngemeinnützigkeit (gleicher Begriff, anderer Bereich), sonst noch keine Veränderungen am Gemeinnützigkeitsrecht.
Infolge des Fehlens einiger zentraler politischer Themen, die im Jahressteuergesetz erwartet wurde, kündigte das Finanzministerium an, ein zweites Jahressteuergesetz mit “politisch brisanten Themen” veröffentlichen zu wollen, u.a. Gemeinnützigkeit, aber auch Kinderfreibetrag, Kindergeld, Steuerklassen/Faktorverfahren und mehr.
Am 10. Juli 2024 veröffentlichte das Finanzministerium den Referentenentwurf des Jahressteuergesetz II, woraufhin für eine Woche (!) die Verbändebeteiligung stattfand. Am 24. Juli beschloss das Kabinett den Entwurf, dessen Name zu Steuerfortentwicklungsgesetz geändert wurde in diesem Zuge.
Im Wesentlichen enthält der Entwurf zwei Punkte zu Gemeinnützigkeit:
- eine Art Demokratieklausel: die gesetzliche Kodifizierung des „gelegentlichen“ Engagements über den eigenen Zweck hinaus (bisher im Anwendungserlass zur Abgabenordnung als „vereinzelt)
- komplette Aufgabe der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung (bisher nur für kleine Vereine mit Einnahmen bis 40.000 Euro/JahrEbenfalls beschlossen wurde eine Regelung zur einfacheren Anschaffung von Photovoltaikanlagen für gemeinnützige Organisationen. Journalismus wurde nicht als gesetzlicher Zweck beschlossen, sondern soll durch eine Erlassregelung geschützt werden (dass gemeinnütziger Journalismus einem anderem Zweck (wohl Bildung) diene).
- Eine ausführliche Einordnung des (damals noch) Referentenentwurfs haben wir hier vorgenommen.
- Wir haben hier eine ausführlichere Chronik veröffentlicht.
- Zu anderen Fortschritten in der Demokratiepolitik siehe hier.
- Im Januar 2022 wurde unabhängig von der neuen Regierungsmehrheit der Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) u.a. zu politischen Tätigkeiten überarbeitet. Die Änderungen haben an einigen Stellen mehr Klarheit gebracht, an anderen aber neue Unsicherheiten. Mehr dazu hier.
Aktuelle Briefe und Stellungnahmen
Angesichts der offenbaren Notwendigkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen, steigt Unmut und Sorge wegen des zu engen, veralteten Rechtsrahmen, der solches gemeinnützige Engagement nicht zweifelsfrei ermöglicht. Dazu haben die Koalitionsspitzen in den vergangenen Wochen zahlreiche Briefe erhalten, unter anderem:
- Am 24. Juni 2024 wird ein Brief von 110 lokalen Vereinen an Bundeskanzler Olaf Scholz veröffentlicht, die wegen der ausstehenden Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts und ihres Vor-Ort-Engagements gegen Rechtsextremismus in Sorge sind. (Siehe auch https://zusammen-gegen-rechts.org/)
- Ebenfalls am 24. Juni senden 54 weitgehend bundesweit tätige Vereine und Stiftungen einen Brief an den Bundeskanzler. Sie schreiben: „Viele von uns haben bisher Glück gehabt: Die meisten der 54 Vereine und Stiftungen, die Ihnen hier schreiben, sind weiterhin als gemeinnützig anerkannt. Sie fragen sich jährlich und mit jeder Steuererklärung, ob das so bleiben wird. Andere Unterzeichner*innen hatten Pech: Ihnen wurde die Gemeinnützigkeit bereits aberkannt.“ Sie fordern die Umsetzung des Koalitionsvertrages unter anderem mit Klarstellungen für politische Mittel und neuen gemeinnützigen Zwecken. Siehe dazu auch dieses Policy-Paper.
- Am 28. Mai 2024 schrieben acht große Stiftungen, unter anderem die Bertelsmann- und die die Robert-Bosch-Stiftung, einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner und wiesen unter anderem auf die nötige Klarstellung zur politischen Betätigung sowie fehlende Zwecke unter andren für „Förderung des Schutzes und Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte“ hin.
- Neun Förderstiftungen wiesen am 8. Mai 2024 in einem Brief an den Bundesfinanzminister daraufhin, dass die Lücken im Gemeinnützigkeitsrecht sie bei der Verteilung von Fördermitteln beschränken.
- Der Bundesverband Deutscher Stiftungen versandte bereits Anfang des Jahres sein Positionspapier, in dem unter anderem Klarstellungen zu Demokratieförderung und politischen Mitteln für gemeinnützige Zwecke gefordert werden.
- Am 30. April 2024 wandten sich acht gemeinnützige Dachverbände, darunter der Deutsche Olympische Sportbund und der Deutsche Spendenrat, an Scholz, Habeck und Lindner mit der Bitte um gesetzliche Klarstellung zu politischen Mitteln für eigene Satzungszwecke und bei Gelegenheit darüber hinaus.
- Das Bündnis für Gemeinnützigkeit, ein Zusammenschluss großer Dachverbände, erinnerte in einer Pressemitteilung vom 28. Mai 2024 an seine Vorschläge für rechtspolitische Reformen.
- Zusammen mit unseren Mitgliedsorganisationen Campact und Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) legte unsere Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ bereits im Juni 2023 ein Papier mit Formulierungsvorschlägen vor. Aus dem Bundesfinanzministerium gab es darauf bis heute keine Reaktion.
- Die GFF reichte zum Ministeriumsentwurf des Jahressteuergesetzes am 24. Mai 2024 eine Stellungnahme ein.
Wir wissen, dass weitere, teils große bundesweite Organisationen, aber auch lokale oder regionale Gruppen, sich mit Briefen oder im Gespräch an das Bundesfinanzministerium wenden, oft nicht öffentlich, um nicht zur Zielscheibe von Anzeigen bei ihrem Finanzamt zu werden.
404.000 Unterschriften
Mehr als 400.000 Bürgerinnen und Bürger haben für eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts unterschrieben. Zu einer Annahme der Unterschriften und einer Diskussion über die Forderungen war Finanzminister Christian Lindner bisher nicht bereit.
Empirische Studien
Empirische Studien haben mehrfach den hohen Grad der Unsicherheit nachgewiesen:
- Der repräsentative ZiviZ-Survey 2023 stellt im März 2023 fest, dass jeder zwanzigste Verein sich mit politischen Tätigkeiten zurück hält aus Sorge um den Verlust der Gemeinnützigkeit. Besonders stark ist die Sorge in den Engagementfeldern Umwelt (elf Prozent) und internationale Solidarität (zehn Prozent). Im Kulturbereich sind es fünf Prozent, bei Sport und Katastrophenschutz immer noch vier Prozent. Mehr zum Befund hier.
Im August 2024 hat „Zivilgesellschaft in Zahlen“ dazu ein Policy-Paper mit einer Tiefen-Analyse der Frage zu politischer Einmischung und Angst vor dem Verlust der Gemeinnützigkeit veröffentlicht, inklusive Handlungsempfehlungen. Dazu gehört insbesondere: „Wichtig wäre insgesamt eine präzisierende gesetzliche Formulierung, die klare und verlässliche Voraussetzungen für eine politische Betätigung schafft.“ - Eine wissenschaftliche Befragung von Prof. Dr. Julika Bürgin (Hochschule Darmstadt, Fachbereich Soziale Arbeit) hatte 2022 erkundet, welche Auswirkungen das Attac-Urteils des Bundesfinanzhofs und die darauf fußenden Änderungen des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) auf die politische Bildungsarbeit haben. Festgestellt werden viele Sorgen, verschiedene Behandlung, und dass vielen die Ressourcen für einen Rechtsstreit fehlen. Die Ergebnisse und Infos zur Ergebnisse finden sich hier.
- Bereits 2018 hatte unsere Finanzamt-Studie nachgewiesen, dass die Entscheidungspraxis der Finanzämter aufgrund der unklaren Rechtslage höchst uneinheitlich ist und vor allem Anliegen wie Engagement für Demokratie und Rassismus oft nicht als gemeinnützig anerkannt werden.
Aus der Rechtswissenschaft
Die Steuerrechtler Dr. Christian Kirchhain und Prof. Dr. Sebastian Unger haben im Juni 2023 einen umfassenden Aufsatz veröffentlicht, in dem sie eine „umfassende, nicht nur punktuelle Reform des Gemeinnützigkeitsrechts“ fordern. Dazu sollten sich die politischen Akteure „die gebührende Zeit“ nehmen. Ziele sollten Rechtssicherheit sein und ein nicht übermäßiger Verwaltungsaufwand. „Ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht wäre […] aus dem Gedanken heraus zu entwickeln, dass es entscheidend nicht auf die Qualität des einzelnen Beitrags zur Zweckverwirklichung ankommt, sondern auf das ‚Gesamtbild'“. Zu politischen Mitteln schreiben sie, dass „weder ein einfachgesetzlicher noch ein verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt“ ersichtlich sei, die auf einen Katalog bezogene politische Tätigkeit im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten zu begrenzen. Vielmehr „genügt es, wenn die politische Betätigung zur Förderung eines gesetzlichen Katalogzwecks aus Sicht der Körperschaft geeignet ist“.
Kirchhain, Dr. Christian/Unger, Prof. Dr. Sebastian: Mehr Fortschritt wagen – was der Gesetzgeber im Gemeinnützigkeitsrecht reformieren sollte. In: Deutsches Steuerrecht (DStR), Heft 24/2023, Seite 1281 ff. – DStR 2023/1281. Beck-Verlag
Den Aspekt „Politische Betätigung gemeinnütziger Stiftungen“ hat Prof. Dr. Sebastian Unger im Februar 2024 für die Stiftungswelt ausgearbeitet.
Die Jura-Professoren Rainer Hüttemann, Peter Rawert und Stephan Schauhoff veröffentlichten am 2. Mai 2024 in der FAZ einen Gastbeitrag, in dem sie fragen „Wann kommt der Fortschritt für die Zivilgesellschaft?“ und konkrete Vorschläge machen. (Leider hinter Bezahlschranke)
Bereits 2018 hatte der Deutsche Juristentag in Leipzig umfassende Vorschläge für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts beschlossen, insbesondere für eine Überarbeitung und Vereinfachung des Zweckekatalogs unter § 52 AO.
Politik-Update
Einen Überblick über Meldungen und Ereignisse zum Gemeinnützigkeitsrecht, insbesondere bezüglich politischer Mitgestaltung, stellen wir unregelmäßig als Update für Politik-Kontakte zusammen. Hier zum Nachlesen:
- Politik-Update-Gemeinnützigkeit vom 11. Juni 2024
- Politik-Update Gemeinnützigkeit vom 20. März 2024
- Politik-Update Gemeinnützigkeit vom 14. September 2023
- Politik-Update Gemeinnützigkeit vom 13. März 2023
- Politik-Update Gemeinnützigkeit vom 12. Januar 2023
- Politik-Update Gemeinnützigkeit vom 1. September 2022
- Politik-Update Gemeinnützigkeit vom 21. März 2022
Weiterführende Informationen
- 2022 haben wir Dossiers zu den Themen Politische Bildung und Shrinking Spaces (schrumpfender Spielraum für zivilgesellschaftliches Handeln) in Deutschland zusammengestellt.
- Basiswissen Zivilgesellschaft der Maecenata-Stiftung
- Informationen zum EU-Rechtsstaatsbericht und der wiederholten Kritik am deutschen Gemeinnützigkeitsrecht (2023)
- Deutschland wird 2024 u.a. wegen des Gemeinnützigkeitsrecht im internationalen Civicus-Monitor abgestuft
- Beschluss des Europäischen Parlaments für eine Richtlinie für europäische Vereine (März 2024)
- Unser Impuls zur Engagement-Strategie des Bundes
- Infos zum Attac-Urteil
Weitere Texte aus Verbänden, Vereinen und Stiftungen
Forderungen Bündnis für Gemeinnützigkeit
Das Bündnis für Gemeinnützigkeit ist ein Zusammenschluss einiger Dachverbände, von Wohlfahrtsverbänden über Naturschutz- und Jugendarbeit bis zum Bundesverband Deutscher Stiftungen.
- Engagement und rechtspolitische Forderungen, inklusive Gemeinnützigkeitsrecht
- Zusammenfassung und Erläuterung
Bundesverband Deutscher Stiftungen
Der Bundesverband Deutscher Stiftungen forderte für die neue Legislaturperiode unter anderem eine Klarstellung für die gemeinnützige Zweckverwirklichung bei politischer Betätigung und eine Erweiterung gemeinnütziger Zwecke.
Im Januar 2024 veröffentlichte der Verband eine Fortschreibung des Positionspapieres.
Charta für Zivilgesellschaft und Demokratie aus Oktober 2019 (PDF):
Diese Charta haben am 30. Oktober 2019 zwölf Dachverbände und Netzwerke veröffentlicht, um auf die Bedeutung einer unabhängigen Zivilgesellschaft für eine lebendige und starke Demokratie hinzuweisen. Jede Organisation und jeder Dachverband kann sich auf die Charta beziehen und sie in das Selbstverständnis aufnehmen. Die Charta beschreibt den über die konkrete Aufgabe hinaus reichenden Auftrag zivilgesellschaftlicher und gemeinnütziger Organisationen.