Visit page
Zum Inhalt springen

Endspurt im Bundestag: Gemeinnützigkeitsrecht am 17.10.2024 im Plenum

Nachdem die von der Ampel-Koalition vereinbarte Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts lange vor allem aus Ankündigungen bestand, geht es nun sehr schnell. Nach aktuellem Stand soll der Bundestag am Donnerstag, 17. Oktober, ein Paket mehrerer Steuergesetze final beschließen, die auch Änderungen am Gemeinnützigkeitsrecht enthalten. Der Koalitionsvertrag wird damit jedoch nur marginal umgesetzt.

Wann wird entschieden?

Am Montag, 7. Oktober 2024, fanden zwei öffentliche Anhörungen des Finanzausschusses statt. In der ersten Anhörung zum Jahressteuergesetz 2024 ging es unter anderem um einen neuen gemeinnützigen Zweck der Wohngemeinnützigkeit.

In der zweiten Anhörung zum Steuerfortentwicklungsgesetz (SteFeG) ging es um verschiedene Aspekte des Gemeinnützigkeitsrechts. Als Sachverständiger war unter anderem Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung”, geladen.

Die jeweils mehr als zwei Stunden langen Anhörungen sind auf der Website des Bundestages nachsehbar. Dort sind jeweils auch die Gesetzesentwürfe und die Stellungnahmen verlinkt.

Am Mittwoch, 16. Oktober, soll der Finanzausschuss des Bundestages die Gesetze abschließend beraten und eine Beschlussvorlage mit Änderungen für den Bundestag erstellen. Vorher beraten und einigen sich die finanzpolitischen Sprecher:innen der Fraktionen, insbesondere der Koalitions-Fraktionen SPD, Bündnis 90/Grüne und FDP.

Bereits einen Tag später, für den 17. Oktober, ist eine Bundestagsdebatte mit finaler Verabschiedung der Gesetze geplant. Eine Verschiebung ist noch möglich, aber unwahrscheinlich.

Anschließend muss noch der Bundesrat zustimmen. Verweigert der Bundesrat die Zustimmung, kommen die Gesetze in ein Vermittlungsverfahren. Dem Ergebnis müssen dann Bundesrat und Bundestag erneut zustimmen. Die drei letzten Bundesrats-Termine in diesem Jahr sind 18. Oktober, 22. November und 20. Dezember.

Was die Koalition vereinbart hatte

Im Koalitionsvertrag hatten die drei Parteien zum Gemeinnützigkeitsrecht insbesondere vereinbart: (Hervorhebungen von uns):

  • “Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht, um der entstandenen Unsi­cherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwir­ken und konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Ge­meinnützigkeitszwecke. Wir verbinden dies mit Transparenz­pflichten für größere Or­ganisationen.” (Seite 117, im Abschnitt “Zivilgesellschaft und Demokratie”, Kapitel “Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie)
  • “Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation inner­halb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegent­lich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Ge­meinnützigkeit zu gefährden. Wir schaffen handhabbare, standardi­sierte Transpa­renzpflichten und Regeln zur Offenlegung der Spendenstruktur und Finanzierung.” (Seite 165, im Steuerkapitel “Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen”)
  • “Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus und machen E-Sport gemeinnützig. Wir prüfen mit den Ländern eine Förderung unabhängiger Verlage, um die kulturelle Vielfalt auf dem Buchmarkt zu sichern.” (Seite 123)
  • “Wir werden bestehende steuerrechtliche Hürden für Sachspenden an gemein­nützige Organisationen durch eine rechtssichere, bürokratiearme und einfache Regelung be­seitigen, um so die Vernichtung dieser Waren zu verhindern.” (Seite 166)
  • “Wir wollen das zivilgesellschaftliche Engagement durch die Stärkung gemein­nütziger Tätigkeit über Grenzen hinweg fördern. Wir wollen EU-Rechtsformen für Vereine und Stiftungen, die Äquivalenzprüfungen für Gemeinnützigkeit aus an­deren Mitgliedstaa­ten vereinfachen und so grenzüberschreitende Spenden und Kooperationen EuGH-kon­form erleichtern.” (Seite 132f.)

Mehr zum Koalitionsvertrag hier.

Was nun im Gesetz steht

Die beiden Gesetzesentwürfe (Jahressteuergesetz und SteFeG) spiegeln weder Geist noch Wortlaut der Koalitionsvereinbarung wieder. Das ist enttäuschend. Sie sind ein Flickwerk verschiedener Einzelregelungen, die weder einer größeren Idee folgen noch dafür sorgen, das Recht der Zivilgesellschaft sturmfest vor autoritären Angriffen zu machen.

Mit der Wohngemeinnützigkeit soll zwar tatsächlich ein neuer gemeinnütziger Zweck ins Gesetz kommen, der sehr detailliert und lang formuliert ist. Das ist okay, wenn auch nicht die Lösung für das, was die Koalition eigentlich zu “neuer Wohngemeinnützigkeit” vereinbart hatte. Es fehlen aber dringend nötige Zwecke, um das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert zu bringen – etwa Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte ergebnisoffene Prüfung hat wohl bisher nicht stattgefunden.

Es gibt keine Klarstellung zu politischen Mitteln für gemeinnützige Zwecke. Es ist geplant, die bereits Anfang 2022 im Anwendungserlass erfolgte Klarstellung zu Tätigkeiten über den Zweck hinaus (zum Beispiel: Umweltverein demonstriert gegen Antisemitismus) in besserer Form ins Gesetz zu übernehmen.

Überraschend stand im Entwurf des Jahressteuergesetzes 2024 der Vorschlag, die Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung komplett abzuschaffen. Das wird so wohl nicht kommen. Die 2020 eingeführte “Nicht-Aufgriffs-Grenze” (kleine Vereine mit Einnahmen bis 45.000 Euro pro Jahr müssen die Einnahmen nicht bis zum übernächsten Jahr aufbrauchen) soll stattdessen erhöht werden – eventuell sehr stark.

Die Gesetzesentwürfe sind zunächst der Vorschlag der Regierung (und wurden dort über Monate kontrovers zwischen den drei Koalitionsparteien diskutiert). Im Finanzausschuss wird nun verhandelt, was noch verändert werden soll. Die Anhörungen vom Montag (7.10.2024) haben da wohl durchaus Anregungen gesetzt. Insgesamt geht es in den zwei Gesetzen um zahlreiche, auch tiefgreifende Steuerfragen. Ob die Fragen der Gemeinnützigkeit, dem Basisrecht zivilgesellschaftlicher Organisationen, genug Aufmerksamkeit bekommen werden, ist offen.

Was derzeit nicht gemeinnützig geht

Die Anhörung im Finanzausschuss fand (zufällig) am Jahrestag des antisemitischen Massakers der Hamas in Israel vom 7. Oktober 2023 statt. Die Anhörung fand außerdem zwei Tage vor dem Jahrestag der großen gewaltfreien Demonstrationen in der DDR statt, die schließlich eine Diktatur beendeten; also einem Quasi-Gedenktag für zivilgesellschaftliche Proteste für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Ob zivilgesellschaftliche Einmischung für Menschenrechte oder gegen Antisemitismus – das geltende Gemeinnützigkeitsrecht ermöglicht das nicht.

Es gibt zwar gemeinnützige Vereine mit solchen Tätigkeiten. Doch eventuell sind sie letztlich momentan zu Unrecht gemeinnützig , ob aus Gnade, Großzügigkeit oder Unwissen der zuständigen Finanzbeamt:innen. Der Status der Gemein­nützigkeit darf aber nicht im Belieben einzelner Sachbearbeiter:innen stehen oder gar von deren persönlichen Wertungen und Haltungen abhängen. Denn daraus entsteht keine Sicherheit.

Einige Beispiele, welches Engagement derzeit eigentlich nicht als gemeinnützig anerkannt sein kann:

Ein Verein gegen Antisemitismus, der Gesetzesänderungen zum Schutz von Juden an Hochschu­len, an Arbeitsplätzen und im öffentlichen Raum will.

  • Dem Verein würde es wohl schon an einem passenden gesetzlichen Zweck fehlen – Völker­verständigung wäre es sicherlich nicht.
  • Selbst wenn ein diffuser Zweck wie “Förderung der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur” anerkannt würde, würde der Verein am AEAO-Gebot des In-den-Hintergrund-Tretens von Einflussnahme “auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung” scheitern.

Ein Verein, der sich für eine Wahlrechtsreform einsetzt – damit 16-Jährige wählen können. (Alter­nativ: Für die Abschaffung der Direktmandate.)

  • Fehlender Zweck.
  • Politische Mittel.

Ein Verein, der sich für Generationengerechtigkeit engagiert, z.B. wegen der Belastungen junger Generationen durch Rentenbeiträge.

  • Ist das noch Jugendhilfe? Oder was wäre der passende Zweck?
  • Wennes einen passenden Zweck gibt: Die politischen Mittel, Forderungen zur Rente – der Auffassung der Finanzverwaltung nach zu politisch?

Ein Verein, der ohne Gewinnerzielungsabsicht/Gewinnausschüttung eine werbefreie Social-Me­dia-Plattform entwickelt und betreibt, um damit auch gegen Desinformation und Manipu­lation vorzugehen. Es geht dabei um mehr als Bildung und Entwicklung der Plattform. Es geht nicht um den eigenen Betrieb von Netz-Zugangspunkten (Freifunk).

  • Der deutsche Trägerverein des sozialen Netzwerkes “Mastodon” hat den Status der Ge­meinnützigkeit verloren.

Ein Verein, der sich für Frieden einsetzt – speziell Frieden für die Ukraine. Der zur Förderung die­ses Ziel die Ausstattung der Ukraine mit Waffen für notwendig hält – diese freilich nicht selbst kauft und liefert, sondern sich für entsprechende politische Entscheidungen auf bundesdeut­scher und europäischer Ebene einsetzt.

  • Scheitert spätestens an der ganz überwiegenden Einflussnahme auf die staatliche Willens­bildung, wenn nicht schon am fehlenden Zweck.

Ebenso:

  • Ein Verein, der sich für Frieden einsetzt und davon überzeugt ist, dass Frieden eher durch gewaltfreie Mittel als durch Waffen gewahrt wird. Der deshalb von der Bundes­regierung fordert, das Konzept der Sozialen Verteidigung zum Bestandteil seiner Poli­tik zu machen.#
  • Ein Verein, der sich für Frieden einsetzt und davon überzeugt ist, dass Frieden durch mili­tärische Stärke und Verteidigungsfähigkeit gewahrt wird, der deshalb für den Dienst bei der Bundeswehr wirbt.
  • Ein Verein, der sich für Frieden einsetzt und davon überzeugt ist, dass Frieden nicht durch militärische Stärke und Verteidigungsfähigkeit gewahrt werden kann sondern eher da­durch gefährdet wird – der deshalb für die Abschaffung der Bundeswehr wirbt.

Die letzten Beispiele zeigen, dass innerhalb eines Zwecks durchaus verschiedene konkrete Ziele auf der Basis verschiedener Haltungen verfolgt werden können – denn das Gemeinnüt­zigkeitsrecht ist da liberal, wo es mit gesetzlichen Zwecken Handlungs- und Diskussionsräu­me öffnet.

Fragen an Bundestags-Abgeordnete

Die vergangenen Wochen haben deutlich gemacht, was davor kein Geheimnis war: Zum Schutz vor Autoritarismus müssen Institutionen geschützt werden – bevor sie von Demokratie-Feinden geschliffen werden. Auch die Zivilgesellschaft (als Summe ihrer Organisationen, als geöffneter Raum jenseits von Staat, Wirtschaft und Privatheit) ist eine demokratische Institution, vor allem in der zivilgesellschaftlichen Funktion als Wächterin und Anwältin. Und weil sie im Vergleich zu staatlichen Gewalten oder zur Presse am wenigsten formatiert ist, wird sie von autoritären Parteien und Regierungen oft als erste angegriffen. Die Änderungen am Gemeinnützigkeitsrecht sind nicht nur Chance, sondern Notwendigkeit, das Gesetz sturmfest vor der nächsten Bundestagswahl zu machen. Wer sich dem verweigert, sollte sich fragen, warum:

  • Ist es meine eigene parteipolitische Brille? Fehlt mir der Blick auf Zivilgesellschaft als Institution? Übersehe ich, dass Demokratie und Freiheit immer verteidigt werden müssen, dass sie Checks and Balances brauchen?
  • Oder ist es die Angst, dass zivilgesellschaftliche Freiräume den “Falschen” nützen – etwa den Feind:innen der Demokratie. Doch damit rutscht das eigene Denken ins Obrigkeitliche, wenn einzelne Menschen entscheiden wollen, was falsch oder richtig ist.
  • Oder geht es darum, selbst nicht kontrolliert werden zu wollen in der eigenen Arbeit in einer Institution, ob Partei, Parlament oder Regierung?

Was Sie tun können

Datenschutz
, Inhaber: (Firmensitz: Deutschland), verarbeitet zum Betrieb dieser Website personenbezogene Daten nur im technisch unbedingt notwendigen Umfang. Alle Details dazu in der Datenschutzerklärung.
Datenschutz
, Inhaber: (Firmensitz: Deutschland), verarbeitet zum Betrieb dieser Website personenbezogene Daten nur im technisch unbedingt notwendigen Umfang. Alle Details dazu in der Datenschutzerklärung.