Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zur Gemeinnützigkeit des Change.org-Vereins
Zur Mitteilung des deutschen Change.org-Vereins, dass das Finanzamt ihm nun nach zwei Jahren Warten die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 180 Vereinen und Stiftungen:
„Die bekannt gewordenen Gemeinnützigkeits-Fälle wie Change.org, Attac, DemoZ, Finanzwende oder VVN-BdA sind nur die Spitze des Eisbergs. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist zwar das Basisrecht zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland, aber beim Engagement für Demokratie und Menschenrechte oft mehr Hürde als Hilfe. Bundestag und Bundesrat hatten Ende 2020 die Chance verpasst, mit dem Jahressteuergesetz das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert zu bringen. Es fehlen immer noch Zwecke und Klarstellungen zu politischer Einmischung. Deshalb sind viele Vereine und Stiftungen verunsichert und bleiben still. Nicht jeder gemeinnützige Verein hat die Kraft, sich mit dem Finanzamt zu streiten und damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Viele Vereine können einen Verlust der Gemeinnützigkeit keinesfalls riskieren. Deshalb streitet der Change.org-Verein stellvertretend für viele und verdient dafür Respekt.
Die Demokratie braucht laute zivilgesellschaftliche Organisationen – als Wächterinnen staatlicher Institutionen, aber auch als selbstloses Gegengewicht zu eigennützigen Wirtschaftsverbänden. Es ist traurige Realität, dass die Bundesregierung dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHK) sofort mit Gesetzesänderungen zur Seite springt, wenn Gerichte dessen politische Handlungsfähigkeit beschränken. Die Bedeutung selbstloser Interessenvertretung zur Förderung der Allgemeinheit hingegen wird offenbar übersehen. Zivilgesellschaftlichen Organisationen fehlt anders als Wirtschaftsverbänden eine Schutzmacht in Regierung und Parlament.
Es ist falsch, dass die Finanzverwaltung die gemeinnützige Ausübung von Grundrechten auf die Kommunikation mit staatlichen Institutionen beschränken möchte. Der gemeinnützige Zweck ‚Förderung des demokratischen Staatswesens‘ gilt entweder für alle Grundrechte – oder es braucht die ausdrückliche Erwähnung des Schutzes und der Förderung von Grund- und Menschenrechten im Gemeinnützigkeitsrecht.“
Eine Vielzahl von Vereinen und Stiftungen fühlt sich durch das unklare Gemeinnützigkeitsrecht bedroht. Mehr als 180 Vereine und Stiftungen haben sich in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ zusammen geschlossen, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren und die selbstlose politische Einmischung etwa für Grundrechte und gemeinnützige Zwecke abzusichern. Zu den Mitgliedern gehören neben Amnesty International, Brot für die Welt, Transparency International oder Oxfam auch Campact, Attac und der Change.org-Verein.
Weitere Infos: https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de
Hintergrund zum Fall Change.org
Bereits am 15. März 2019 schrieb das Finanzamt Berlin dem Change.org e.V., dass es beabsichtige, ihm die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Die Auseinandersetzungen um die Gemeinnützigkeit beginnen meist mit solchen Mitteilungen oder Fragen, nicht mit Bescheiden. Nach mehreren Briefwechseln und Treffen erließ das Finanzamt schließlich am 24. Februar 2021 Steuerbescheide für die Jahre 2016 und 2017, die dem Verein für diese Jahre die Gemeinnützigkeit aberkennt. Der Verein habe mit seinen Tätigkeiten nicht ausschließlich die gemeinnützigen Satzungsziele verfolgt. Die Satzung jedoch wird als gemeinnützig anerkannt. Laut aktueller Satzung verfolgt der Change.org-Verein die Zwecke „Förderung des demokratischen Staatswesens“ und „politische Bildung“.
Das Finanzamt warf dem Change.org-Verein zunächst vor, mit der Unterstützung ausgesuchter Petitionen nicht mehr das Allgemeinwohl, sondern Einzelinteressen zu fördern. Das sieht das Finanzamt inzwischen anders. Die Bereitstellung einer Petitionsplattform verfolge den Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ jedoch nur, wenn sich Petitionen an staatliche Stellen richten würden. Die Beratung zu Petitionen falle unter Bildung.
Change.org hat heute Einspruch gegen die Bescheide eingelegt.
Der Verein machte die Auseinandersetzung im Dezember 2019 öffentlich und teilte seinen Spender*innen mit, keine Spendenbescheinigungen auszustellen.
Ausführliche Infos und Pressebilder beim Change.org-Verein
(neue Website: verein.innnit.de)
Weitere Informationen
Zur politischen Hilfe für den DIHK:
Unsere Forderungen zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts finden sich hier.
Die jüngsten Änderungen mit dem Jahressteuergesetz 2020 hier.
Fakten zu Gemeinnützigkeit
Das Recht der Gemeinnützigkeit ist Teil des Steuerrechts, prägt aber den gesamten Sektor zivilgesellschaftlicher Organisationen. Der Status der Gemeinnützigkeit ist nicht nur Voraussetzung dafür, das Spenderinnen und Spender ihre Zuwendungen steuerlich geltend machen können, sondern auch für viele Fördermittel, für die Zusammenarbeit mit Dritten und für indirekte Vorteile.
Im Fall Change.org sind Leidtragende vor allem die Spenderinnen und Spender, die ihre freiwilligen Zuwendungen nicht steuerlich absetzen können. Aufwendungen für eigene wirtschaftliche Interessen dagegen sind stets steuerbegünstigt – ob als Betriebskosten eines Unternehmen, als Werbungskosten oder als Beitrag zu Berufsverbänden. Berufsverbände wie Branchenverbände oder Gewerkschaften sind steuerbegünstigt.
Ob ein Verein, eine Stiftung oder eine andere Körperschaft die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllen, prüft das örtliche Finanzamt in zwei Schritten. Es stellt zunächst fest, ob die Satzung den Vorgaben entspricht. Das war beim Change.org-Verein am 26. Oktober 2016 geschehen. Und dann prüft es meist alle drei Jahre rückwirkend, manchmal auch jährlich, ob die so genannte „tatsächliche Geschäftsführung“ der Satzung und den gesetzlichen Regeln entspricht. Für die Jahre 2016 und 2017 hat der Verein nun Steuerbescheide erhalten.
Zentrale Regeln der Gemeinnützigkeit sind:
- Gemeinnützige Organisationen müssen in Paragraph 52 der Abgabenordnung genannte Zwecke verfolgen – dort steht zum Beispiel Umweltschutz. Sie dürfen nur den Zweck verfolgen, der in ihrer Satzung steht. In der Wahl der Mittel sind sie weitgehend frei. Einflussnahme auf die politische Willensbildung zur Verfolgung des Zwecks ist dem Gesetz nach möglich.
- Gemeinnützige Organisationen müssen selbstlos handeln, also nicht zum wirtschaftlichen Vorteil ihrer Mitglieder oder Spender. Erlaubt sind wirtschaftliche Betätigungen, um Einnahmen zu erzielen oder um damit den gemeinnützigen Zweck zu verfolgen.
- Gemeinnützige Organisationen dürfen keine Parteien unterstützen.
- Das Gemeinnützigkeitsrecht verlangt keine Transparenz. Der Status der Gemeinnützigkeit fällt sogar (noch) unter das Steuergeheimnis. Viele gemeinnützige Organisationen geben freiwillig umfassend Auskunft über Mittelherkunft und Mittelverwendung. Ein Standard dafür ist die „Initiative Transparente Zivilgesellschaft“.
Gemeinnützige Organisationen finanzieren sich auf vielfältige Art. Der Großteil der Organisationen hat kaum Umsätze. Größere Organisationen finanzieren sich u.a. durch Spenden von Privatpersonen, durch Firmenspenden, durch eigene wirtschaftliche Aktivitäten, durch öffentliche Fördermittel (meist projektbezogen) oder durch Förderungen anderer gemeinnütziger Organisationen (auch meist projektbezogen).
Der Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ wurde 1983 im Zuge der Neuordnung des Parteifinanzierungsgesetzes als damals dritter gemeinnütziger Zweck in die Abgabenordnung eingefügt. In der Beschlussempfehlung des Innenausschusses vom 29. November 1983 (Drucksache 10/697) steht dazu:
„Nachdem der Begriff der staatspolitischen Zwecke durch den neuen Absatz 2 des § 10b des Einkommensteuergesetzes auf Parteien beschränkt wird, wird die sonstige Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich des Grundgesetzes einschließlich des Landes Berlin den gemeinnützigen Zwecken zugeordnet. Dadurch bleiben Spenden an die in Abschnitt 112 der Einkommensteuer-Richtlinien genannten Institutionen im Rahmen des § 10b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes steuerlich begünstigt.“
Wenn eine Organisation als „zu politisch“ aus der Gemeinnützigkeit fällt, fällt sie damit nicht unter das Parteienrecht. Voraussetzung dafür ist, dass sie ernsthaft zu Wahlen antritt (siehe. §2, Abs. 1 des Parteiengesetzes). Eine Organisation, die weder Partei noch gemeinnützig ist, erhält keine Vorteile für Spenden, muss keine Transparenzpflichten erfüllen und muss keine Vorgaben wie Zweckbindung oder Selbstlosigkeit einhalten.
Von Change.org zu Innn.it
Der Change.org-Verein hat sich im Jahr 2022 in innn.it umbenannt und die Zusammenarbeit mit der Plattform „Change.org“ beendet. Die Links im Text oben sind daher zum Teil veraltet oder angepasst. Mehr dazu hier.