Das EU-Parlament hat am 13. März 2024 den Vorschlag der EU-Kommission zu einer neuen Richtlinie für ein EU-weites Vereinsrecht beschlossen – zwei Jahre dach dem „Lagodinsky-Bericht“ mit Vorschlägen, das zivilgesellschaftliche Engagement zu schützen und über europäische Grenzen zu erleichtern. Die EU-Kommission hatte den Richtlinienentwurf auf Bitte des EU-Parlaments und auf Initiative des Parlamentsabgeordneten Sergej Lagodinsky erarbeitet. Die Richtlinie würde die Mitgliedsländer der EU verpflichten, eine neue Rechtsform zu schaffen: Die European Cross Border Association (ECBA). Damit soll für Vereine ohne Erwerbszweck, also NGO und gemeinnützig agierende Vereine, ein klarer Rechtsrahmen geschaffen werden, der es ihnen ermöglicht, ihre Tätigkeiten ungehindert im europäischen Binnenmarkt grenzübergreifend durchzuführen.
Mit dem Parlamentsbechluss ist der Gesetzgebungsprozess noch nicht beendet. Die Richtlinie zu European Cross-Border Asssociatons (ECBA) wird wohl erst nach der Europawahl und unter neuer Ratspräsidentschaft unter Ungarn in den Trilog zwischen Kommission, Parlament und Regierunge der Mitgliedsstaaten gehen. Bei den Mitgliedsländern braucht die Richtlinie eine Mehrheit, keine Einstimmigkeit.
Inhaltsverzeichnis
Die politische Bedeutung der ECBA
Etwa 310 000 gemeinnützige Vereine sind derzeit in mehr als einem EU-Mitgliedstaat vertreten. Weitere 185 000 gemeinnützige Vereinigungen könnten potenziell grenzüberschreitend tätig werden, wenn die im Vorschlag genannten Hindernisse beseitigt werden.
Neben den konkreten Erleichterungen für diese grenzübergreifend agierenden gemeinnützige Vereine würde durch die Richtlinie auch die Demokratie in Europa gestärkt. Diese Öffnung des demokratischen Rahmens und ein Gegentrend zu Shrinking Spaces (dem Trend zum Schrumpfen zivilgesellschaftlicher Handlungsräume) sind Teil der übergreifenden Ziele, die auch unsere Allianz seit 2015 verfolgt.
Auch der ursprüngliche Lagodinsky-Report sieht drei Ziele vor: Eine Europäisierung der Zivilgesellschaft sowie konkreter Schutz von gemeinnützigen Vereinen, NGO und Bürger*innenrechten.
Auf europäischer Ebene würde ein sog. level playingfield für verschiedene Akteur:innen geschaffen und ein Zeichen gesetzt, dass länderübergreifendes zivilgesellschaftliches Engagement mindestens ebenso wichtig ist wie transnationale Wirtschaftsbeziehungen, die durch die Regelungen zu europäischen (Aktien-)Gesellschaften bereits seit 22 Jahren geschützt werden. Es wäre ein Zeichen dafür, dass die EU mehr ist als ein wirtschaftlicher Staatenzusammenschluss, sondern auch eine gesellschaftliche Wertegemeinschaft, in der diese Werte geschützt werden und die den engagierten Menschen eine europäische Identität gibt.
Konkrete rechtliche Sicherungen, die Kern der Richtlinie sind, wären eine Gleichbehandlung mit bestehenden nationalen Vereinigungen ohne Erwerbszweck, die Nicht-Diskriminierung von Gruppen oder Einzelpersonen sowie freier und diskriminierungsfreier Zugang zu öffentlichen Mitteln. Dadurch führt der Richtlinien-Entwurf die Ziele des ursprünglichen Logodinsky-Reports auch ohne ein zweite Richtlinie zu Mindeststandards recht gut zusammen: Durch das Gleichbehandlungsgebot aus Artikel 9 sowie die Regelung „Unzulässiger Beschränkungen“ aus Artikel 15 würde das Ziel der Mindeststandards zumindest für die neu geschaffene Form der ECBA erreicht. Zudem wird in Artikel 15 den Mitgliedstaaten verboten, bestimmte Beschränkungen vorzusehen, u.a. Restriktionen für Spenden aus anderen EU-Ländern.
Die Mindestandards hätten Deutschland auf jeden Fall verpflichtet, nachzuziehen und seine nationalen Regelungen zur Gemeinnützigkeit, wie den Zweckekatalog, nachzubessern. (Siehe dazu unseren Beitrag von 2022.) Dennoch setzt die Richtlinie einen Standard, an dem Deutschland sich orientieren muss – alleine schon müsste geprüft werden, ob und wie eine ECBA gemeinnützig werden kann. Ein Ausschluss der Gemeinnützigkeit könnte von der EU als Diskriminierung gewertet werden.
Auf Ebene der EU ist mit dem Richtlinien-Entwurf ein erster Schritt erreicht, gleichwohl gibt es noch viel zu tun: Der Entwurf greift zunächst nur für Vereine, klammert jedoch Stiftungen noch aus. Und auch all diejenigen, die jetzt nicht in der Lage sind, eine neue Rechtsform für sich zu gründen bzw. oder die ihre Rechtsform nicht ändern wollen, weil sie schon alte bestehende Vereine sind, brauchen weiterhin Unterstützung, um die Möglichkeit zu haben, alle Wege des Binnenmarktes zu nutzen. Entsprechend wird es perspektivisch auch immer wieder relevant werden eine gemeinsame europäische Definition dessen zu entwickeln, was Gemeinnützigkeit im europäischen Binnenmarkt ausmacht, was ein europäischer Gemeinnützigkeitsstatus sein könnte.
Rahmendaten der ECBA
Anders als ursprünglich geplant soll keine eigenständige europarechtliche Grundlage für europäische Vereine geschaffen werden; stattdessen entsteht mit detaillierten Vorgaben der EU nach jeweiligem Landesrecht eine neue nationale Rechtsform, die der ECBA: European Cross Border Association. Sie sollen die grenzübergreifenden Tätigkeiten und die Mobilität der Vereine erleichtern. Als Rechtsgrundlage sollen Artikel 50 und Artikel 114 des AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) dienen.
Bisher wird die Rechts- und Geschäftsfähigkeit von Vereinen ohne Erwerbszweck nicht unionsweit einheitlich anerkannt, was länderübergreifende Arbeit unnötig kompliziert macht bis einschränkt. Insbesondere in Ländern, die den Freiraum zivilgesellschaftlichen Handelns verstärkt beschränken (shrinking spaces), haben Vereine häufig große Unsicherheiten und Probleme, agieren zu können. Zusätzlich zu diesen Hürden im eigenen Land müssen sie sich deshalb häufig ein zweites Mal registrieren lassen oder sogar eine neue Organisation gründen, um in einem anderen Mitgliedstaat Tätigkeiten auszuüben. Teils ist bei einer Sitzverlegung eine Liquidation des bestehenden Vereins erforderlich.
Die neuen Vorschriften sollen rechtliche und administrative Hindernisse beseitigen und die die Niederlassungsfreiheit, die Kapitalfreiheit und die Mobilitätsrechte von gemeinnützigen Vereinen verankern. Eine ECBA soll für alle nicht erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten möglich sein, allerdings nicht für Gewerkschaften, Stiftungen und politische Parteien. Wirtschaftliche Tätigkeiten sind ihm nicht untersagt, es dürfen aber keine Gewinne ausgeschüttet werden. Analog zur gemeinnützigkeitsrechtlichen Vermögensbindung soll dazu für solche Vereine im Fall der Auflösung eine Vermögenssperre gelten.
Eine ECBA soll zumindest einen Teil ihrer Tätigkeiten grenzübergreifend in mindestens zwei Mitgliedstaaten ausüben und das auch in ihrer Satzung vorsehen. Außerdem soll sie mindestens drei Gründungsmitglieder haben, die teilweise ihren Wohn- oder Unternehmenssitz in mindestens zwei Mitgliedstaaten haben. Eine Sitzverlegung innerhalb der EU soll ohne Auflösung des Vereins möglich sein, außerdem erhält jeder als ECBA eingetragene Verein eine Art europäisches Ausweisdokument.
Die Mitgliedstaaten sollen ein eigenes Register für die Registrierung sowie die Pflege und Veröffentlichung von Informationen über ECBA einrichten – das wäre in Deutschland ein Register neben den Vereinsregistern. Bei der Eintragung sollen die Identität der Gründungsmitglieder und der rechtlichen Vertreter überprüft werden. Die Registrierung soll dabei unionsweit nur einmal erfolgen.
Möglich sein soll auch eine Umwandlung bestehender Vereine in eine ECBA.
Zeitlicher Ablauf
Bereits vor 22 Jahren schaffte die europäische Union die Möglichkeit, eine europäische (Aktien-)Gesellschaft zu gründen, also ein wirtschaftliches Unternehmen nach europäischen Recht.
Am 19. Januar 2022 wurde der Prozess zum jetzigen Richtlinien-Entwurf erstmalig wieder angestoßen, indem der EU-Parlamentarier Sergej Lagodinsky einen Bericht mit Empfehlungen an die Kommission zu einem Statut für länderübergreifende, europäisch agierende Vereine und Organisationen ohne Erwerbszweck veröffentlichte.
Gut einen Monat später, am 17. Februar 2022, einigte sich das EU-Parlament auf eine Resolution, dass zwei Legislativvorschläge von der EU-Kommission gemacht werden sollen: Einer zu der Möglichkeit der Billdung eines europäischen Verein, einer zu Mindeststandards gemeinnütziger Vereine und Organisationen. Die Folgenabschätzung für diesen Vorschlag wurde am 2. März 2023 vom Ausschuss für Regulierungskontrolle (regulatory scrutiny board) geprüft. Nachdem am 31. März 2023 eine negative Stellungnahme eingegangen war, wurde dem Ausschuss am 8. Mai 2023 eine überarbeitete Folgenabschätzung vorgelegt.
Daraufhin wurde das Vorhaben in den Kommissions-Arbeitsplan 2023 aufgenommen.
Für den Zeitraum August bis November 2022 richtetete die Kommission ein öffentliches Konsultationsverfahren ein, um Stellungnahmen für eine Gesetzesinitiative zu grenzüberschreitenden Tätigkeiten von Vereinen zu sammeln.
Am 5. September 2023 legte die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU eine Richtlinie vor (bzw. Gesetzesentwurf für ein Statut), die die Mitgliedsländer verpflichten würde, eine neue Rechtsform für zivilgesellschaftliche Organisationen (Non-profits) zu schaffen: European Cross Border Association (ECBA).
Folgend müssen das Europäisches Parlament und der Rat der EU (Mitgliedsländer) zustimmen. Erst der zuständige Ausschuss, dann das Plenum des Parlaments stimmten am 13. März 2024 dafür. Es wird erwartet, dass der Trilog mit den Mitgliedsländern (Kommission-Parlament-Rat) im zweiten Halbjahr 2024 beginnt, nach der EU-Wahl und unter neuer Rats-Präsidentschaft – Ungarn. Das ist etwas heikel, denn die Initiative zielte unter anderem darauf, begrenzende NGO-Gesetze in Ungarn auszuhebeln.
Da es sich beim Entwurf, anders als ursprünglich geplant, nun doch um eine Richtlinie, und nicht um eine Verordnung handelt, braucht es jedoch keine Einstimmigkeit der Länder, sondern “nur” eine Mehrheitsentscheidung.
Weiterführende Infos
- Richtlinienentwurf auf Deutsch
- Verfügbarkeit auf anderen Sprachen
- Pressemitteilung der EU-Kommission auf deutsch
- Pressemitteilung der EU-Kommission auf englisch
- Zusammengefasste Infos als pdf von der EU-Kommission
- Hintergrund vom November 2022
- Info von Maecenata zum Parlaments-Beschluss vom 13. März 2024