Stand: 19.10.2021
Unsere Forderung: Eigene Tätigkeit zur Förderung anderer gemeinnütziger Zwecke – Ausnahme in § 58 AO
Wenn ein Sportverein zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich antisemitischer Anschläge aufruft, muss das eindeutig mit der Gemeinnützigkeit vereinbar sein. Dazu braucht es eine gesetzliche Klarstellung, dass sich gemeinnützige Organisationen bei Gelegenheit (also aus aktuellem Anlass) über den eigenen Zweck hinaus mindestens für andere gemeinnützige Zwecke engagieren können. Dies könnte als weitere Ausnahme vom Ausschließlichkeits-Prinzip in § 58 AO stehen.
Eine Übersicht all unserer Forderungen gibt es hier.
Inhaltsverzeichnis
Hinweis zum geänderten Anwendungserlass
Am 27. Januar 2022 hat das Bundesfinanzministerium Änderungen in der AEAO zu § 52 AO, Ziffer 16 (früher Ziffer 15) veröffentlicht, die die Forderung zum Teil aufgreifen. Demnach „ist es nicht zu beanstanden, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt“. Hiermit ist aber nicht umfasst, selbst für andere Zwecke tätig zu werden, etwa als Sportverein Menschen zu helfen, die vor einem Krieg fliehen oder von Vorzeichen der Klimakatastrophe getroffen werden. Weitere Klarstellungen im Erlass sind offenbar nicht möglich, deshalb braucht es gesetzliche Klarstellungen wie im Folgenden vorgeschlagen. (Mehr zu diesen Erlass-Änderungen hier.)
Formulierungsvorschläge der Allianz
Wir haben im September 2020 verschiedene Varianten formuliert, je nach politischem Ziel des Gesetzgebers.
Variante 1: Eigene selbstlose politische Einmischung für andere gemeinnützige Zwecke
Ergänzung des § 58 AO wie folgt:
„[Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass]
11. eine Körperschaft bei Gelegenheit auch andere steuerbegünstigte Zwecke verfolgt als ihre Satzungszwecke, sofern diese Tätigkeit gegenüber der Verfolgung eigener Zwecke weit in den Hintergrund tritt; eine entsprechende eigene Mittelverwendung darf pro Jahr nicht X.000 Euro und nicht X Prozent der Einnahmen der Körperschaft überschreiten.“
Dann wäre die Tätigkeit nur für andere gemeinnützige Zwecke erlaubt, also wenn der Umweltverband durch eigenes Tun oder durch politische Forderungen das Gesundheitswesen fördert. Um die Ausnahme zu begrenzen und zu verhindern, dass die tatsächliche Tätigkeit unter einem anderen Zweck versteckt wird, wird hier eine dreifache Grenze vorgeschlagen:
- „weit im Hintergrund“ : das würde sich dann auch auf Mittelverwendung beziehen; der Tierschutzverein, der wenig Geld ausgibt, sich aber ständig zur Fußgängerzone äußert, wäre raus.
- Mittelverwendung Höchstbetrag – damit wäre sichergestellt, dass auch größere Organisationen wie z.B. der Deutsche Fußball Bund (DFB) sich nur in geringem Umfang für andere Zwecke engagieren darf.
- Mittelverwendung Anteil – damit wäre zudem sichergestellt, dass auch kleine Vereine mit einem Jahresbudget unter dem gesetzten Höchstbetrag diese nicht überwiegend für andere Zwecke verwendet.
Beispiel: Wenn die Grenzen bei 10.000 Euro und 10 Prozent liegen würden, dürfte …
- eine Körperschaft mit 10.000 Euro Umsatz bis 1.000 Euro aufwenden;
- eine Körperschaft mit 1 Million Euro Umsatz bis 10.000 Euro aufwenden.
Alternativen (weniger eng gefasst):
Natürlich könnte auch nur die Grenze „weit im Hintergrund“ gezogen werden. Dann wären allerdings Auseinandersetzungen bis zum BFH vorprogrammiert, welcher Betrag noch „weit im Hintergrund“ ist. Die Formulierung könnte dann lauten:
- „[Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass]
11. eine Körperschaft bei Gelegenheit auch andere steuerbegünstigte Zwecke verfolgt als ihre Satzungszwecke, sofern diese Tätigkeit gegenüber der Verfolgung eigener Zwecke weit in den Hintergrund tritt.“
oder - „[Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass]
11. eine Körperschaft bei Gelegenheit auch andere steuerbegünstigte Zwecke verfolgt als ihre Satzungszwecke, sofern diese Tätigkeit gegenüber der Verfolgung eigener Zwecke auch in Ansehung der dafür eingesetzten Mittel weit in den Hintergrund tritt.“
oder - „[Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass]
11. eine Körperschaft bei Gelegenheit auch andere steuerbegünstigte Zwecke verfolgt als ihre Satzungszwecke, sofern diese Tätigkeit gegenüber der Verfolgung eigener Zwecke von untergeordneter Bedeutung ist.“
Variante 2: Eigene selbstlose politische Einmischung auch für nicht gemeinnützige Zwecke
„[Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass]
11. eine Körperschaft sich zur Förderung auch anderer als steuerbegünstigter Zwecke selbstlos und zur Förderung der Allgemeinheit an der politischen Willensbildung und der Gestaltung der öffentlichen Meinung beteiligt, sofern diese Tätigkeit …“.
Diese Formulierung wäre notwendig, um das Grundrechtsengagement auch über die Gemeinnützigkeit hinaus zu fördern.
Hinweis Mittelweitergabe:
Würde ein eigener Steuerstatus für „politische Körperschaften“ geschaffen, wäre es notwendig, eine begrenzte Mittelweitergabe dorthin zu ermöglichen.
[Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass]
11. eine Körperschaft bei Gelegenheit über die Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Satzungszwecke hinaus
a) andere steuerbegünstigte Zwecke fördert oder
b) sich selbstlos und zur Förderung der Allgemeinheit an der politischen Willensbildung und der Gestaltung der öffentlichen Meinung beteiligt;
hierzu können eigene Mittel verwendet oder auch an nicht steuerbegünstigte Körperschaften weitergegeben werden, jedoch nicht an Parteien oder Wählergemeinschaften sowie jährlich höchstens insgesamt X.000 Euro und höchstens X Prozent der Einnahmen der Körperschaft.“
Kann das Engagement gegen Antisemitismus nicht gemeinnützig abgebildet werden, wird aber von einer politischen Körperschaft verfolgt, die dazu zu einer Demonstration aufruft, könnte eine gemeinnützige Körperschaft nach oben gegebenen Beispiel damit:
- zur Teilnahme aufrufen;
- selbst bis zu X.000 Euro dafür ausgeben, z.B. für Plakate, Reisekosten;
- bis zu X.000 Euro zur Finanzierung der Demonstration beisteuern.
Weitere Formulierungsvorschläge
Vorschlag Bundesverband Deutscher Stiftungen, Juni 2020
Weniger streng ist der Vorschlag des Bundesverbands Deutscher Stiftungen (2.7 Klarstellung für die gemeinnützige Zweckverwirklichung bei politischer Tätigkeit), ebenfalls Ergänzung §58 AO:
„[Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass]
11. eine Körperschaft sich gelegentlich allgemeinpolitisch äußert oder betätigt, sofern dies im Vergleich zu ihrer steuerbegünstigten Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist.“
Gesetzesentwurf „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ (GFF), August 2021
Die GFF hat einen umfassenden Gesetzesentwurf („Gesetz zur Stärkung des demokratischen Engagements und einer lebendigen Zivilgesellschaft – Demokratiestärkungsgesetz – DemoStärkG“) vorgelegt (mehr dazu siehe hier; direkt zum Gesetzesentwurf hier). Darin werden zwei verschiedene neue Ziffern in §58 AO vorgeschlagen:
„[Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass]
11. eine Körperschaft gelegentlich auch andere steuerbegünstigte Zwecke verfolgt
als ihre Satzungszwecke,
12. eine Körperschaft gelegentlich auch zu tagespolitischen Themen Stellung
nimmt.
Finanzausschuss Bundesrat (September 2020)
Die Mehrheit der Landesfinanzanzminister*innen hatte am 24. September 2020 beschlossen, für das Jahressteuergesetz 2020 diese Ergänzung zu § 58 AO zu prüfen:
„(Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass)
eine steuerbegünstigte Körperschaft bei der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke politisch tätig wird, wenn ihre steuerbegünstigte Tätigkeit mit einer politischen Zielsetzung verbunden ist.“
Möglich werden sollte mit der Änderung laut Begründung auch ein „Aufruf eines Sportvereins gegen Rassismus anlässlich von Vorkommnissen bei einem Fußballspiel“ oder „wenn Karnevals- oder Sportvereine sich für Frieden oder gegen Rassismus engagieren und zu Friedens- oder Antirassismus-Demonstrationen aufrufen“. Tatsächlich bräuchte es laut Formulierung jedoch einen direkten Bezug zu eigenen Satzungszwecken. Wir möchten hier eine ausnahmsweise Freigabe für Betätigung über den eigenen Zweck hinaus. Die Formulierung passt eher zur Klarstellung zu politischen Mitteln, ist dann aber nicht am besten Platz.
Im Bundesrat fand der Vorschlag jedoch keine Mehrheit. Im Bundestag wandte sich die CDU/CSU-Fraktion gegen den Vorschlag, da ihrer Auffassung nach Auffassung klar sei, dass eine gemeinnützige Körperschaft sich politisch betätigen könne, wenn der gemeinnützige Zweck damit verfolgt werde.