Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Grüne und FDP ist bei demokratiepolitischen Vorhaben in den vergangenen Monaten gut voran gekommen – anders, als es oft wahrgenommen wird. Im vergangenen Jahr gab es dazu einige im Koalitionsvertrag vereinbarte Gesetzesänderungen. Regierung und Bundestag haben einiges abgearbeitet, aber kaum verknüpft. Eher unwahrscheinlich scheint, dass der Koalition bewusst war, dass sich diese Gesetzgebungen auf einem demokratiepolitischen Faden aufreihen.
Die ebenfalls vereinbarte, aber noch ausstehende Modernisierung der Gemeinnützigkeit sollte sich allerdings einreihen. Neben vielen kleinen Reparaturen und Wartungsarbeiten geht es bei der Modernisierung um demokratiepolitische Fragen, um die Funktion zivilgesellschaftlicher Organisation in der Demokratie, bei der Verteidigung von Menschenrechten, beim Schutz des Rechtsstaats. Welche Rolle will der Staat der Zivilgesellschaft zuschreiben? Was will er ermöglichen, was ausbremsen? Welche Kontrollen oder Begrenzungen sind vielleicht nötig, um andererseits Vertrauen zu schaffen?
Seit bald einem halben Jahr verhandeln die Staatssekretär:innen von sechs Ministerien (Finanzen, Justiz, Innen, Bauen, Wirtschaft und Familie/Senioren/Frauen/Jugend), wie die Koalitionsvereinbarungen umgesetzt werden sollen. Ergebnisse sind nicht in Sicht – Anfang April 2024 wurde ein erster Entwurf aus dem Bundesfinanzministerium für ein Jahressteuergesetz bekannt, der keinerlei Regelung zu Gemeinnützigkeit enthält.
Zum Nachschlagen:
Bei der Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts könnte sich die Koalition auf bisherige demokratiepolitische Modernisierungen stützten – ein Überblick:
Mit der Änderung des Lobbyregisters wurden Standards zur Offenlegung der Finanzierung erarbeitet, die sich als Muster auch für Transparenzregeln in anderen Bereichen, etwa großer gemeinnütziger Organisationen, anwenden lassen. Es gilt für alle Akteur:innen, die sich politisch einmischen, und dennoch wird in der Systematik unterschieden zum Beispiel zwischen Berufsverbänden, spendenfinanzierten Organisationen und For-Profit-Unternehmen. Mehr dazu hier.
Ein weiterer Baustein zu Transparenz über Gemeinnützigkeit ist das Zuwendungsempfängerregister, das seit Januar am Start ist und noch verbessert werden wird. Mehr dazu hier.
Im Stiftungsfinanzierungsgesetz, also dem Gesetz zu Bundesmitteln für die mit Parteien verbundenen Vereine wie der Konrad-Adenauer-Stiftung, wurde gesetzlich definiert, was als demokratiefeindlich und damit nicht förderfähig gilt. Diese moderne Interpretation der freiheitlich-demokratischen Grundordnung könnte auch Muster im Gemeinnützigkeitsrecht sein. Steuerrechtliche Regeln enthält dieses Gesetz nicht. Die Definition der parteinahen Vereine könnte aber in der Gemeinnützigkeit zur Abgrenzung aufgegriffen werden. Zugleich erkennt der Gesetzgeber hier an, dass „politische Strömungen“ auch außerparlamentarisch wichtig sind.
Mehr dazu hier. Ausführlich Diefenbach-Trommer: Gesetz über parteinahe Stiftungen als Chance für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht, in ZStV 2023, 195 (https://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZSTV-B-2023-S-195-N-1)
Mit Neuregelungen zur Parteienfinanzierung wurde definiert, was eine Parallelkampagne/-aktion ist, die einer Partei zuzurechnen ist und damit gemeinnützigen Organisationen untersagt wäre. Damit ist die Angst vor Parteienförderung durch politische Kampagnen gemeinnütziger Organisationen operationalisiert/eingedämmt. Siehe dazu…
Mit Änderungen im Wahlrecht wurde unter anderem aufgegriffen, dass nicht nur Parteien mit Listen, sondern auch Einzelpersonen zu Wahlen antreten.
Im Gange ist auf europäischer Ebene ein Statut für grenzübergreifende Vereine, das mit einer Definition von zivilgesellschaftlichem Engagement und nicht erlaubten staatlichen Eingriffen einher geht. Die Bundesregierung hat bisher keine öffentliche Position dazu. Sie könnte aber in der europäischen Gesetzgebung positiv wirken und zugleich aus dem breiteren Zivilgesellschafts-Verständnis der EU lernen. Der nächste Schritt ist der Trilog zwischen EU-Kommission, Parlament und Länderrat, nachdem das Parlament am 13. März dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission für European Cross Border Association (ECBA) vom September 2023 zugestimmt hat. Mehr dazu hier.
Was noch fehlt ist das Demokratiefördergesetz – eigentlich Demokratiefördermittel-Verteilgesetz. Es stand ungünstig am Beginn der Reihe, denn eigentlich setzen staatliche Fördermittel auf definierte Rahmenbedingungen auf. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes sagte vor einigen Wochen in einem Interview, die Wirtschaft brauche dringender als Fördermittel gute „Angebotsbedingungen“ – das geht der Zivilgesellschaft mit ihrem Demokratie-Engagement ebenso. Mehr dazu hier.
Was ebenfalls fehlt ist ein Blick auf die Finanzierung und Steuerbegünstigung von Einzelkandidat:innen und kommunale Wähler:innenvereinigungen. Letztere können steuerbegünstigt Geld sammeln, quasi ohne Zweckbindung und ohne jede Transparenz. Das ausdrückliche Förderverbot durch gemeinnützige Organisationen umfasst sie nicht.
Die Koalition könnte diese Reihe wunderbar mit einer wirklichen Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts fortsetzen und das veraltete Recht ins 21. Jahrhundert bringen. Viele rund um das Gemeinnützigkeitsrecht aufgeworfene, scheinbar komplizierte Fragen, hat sie nämlich mit den anderen Gesetzen längst beantwortet. Wenn die Parteien Demokratiepolitik als Politikfeld sehen würden, wäre die Engagementstrategie des Bundes ein weiterer Aspekt darin. Auch dieses Vorhaben steht im Koalitionsvertrag. Nach einem öffentlichen Beteiligungsprozess schreibt das Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (BMFSFJ) derzeit an einem Entwurf, der Mitte des Jahres 2024 in die Ressortabstimmung gehen soll und bis Jahresende von der Regierung beschlossen werden soll.
In unserem Impuls dazu haben wir herausgedeutet: „Engagementpolitik gehört unter das Dach von Demokratiepolitik. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist dann ein Teil davon, vielleicht eher ein Ergebnis – wenn es einer Engagement-Strategie folgt. Die Erarbeitung der Engagementstrategie könnte ein Rahmen sein auch für die Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrecht.“ Wir schlagen darin auch vor zu sortieren, welche gemeinnützigkeitsrechtlichen Modernisierungen rasch erledigt werden könnten, welche eventuell eine größere, längere, aber konstruktive Debatte bräuchten.
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