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Fall Volksverpetzer: Gemeinnütziger Zweck gegen Hass fehlt

Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zum Verlust der Gemeinnützigkeit des Volksverpetzers

  • Volksverpetzer teilt rückwirkenden Entzug der Gemeinnützigkeit mit
  • Offenbar fehlen gemeinnützige Zwecke für Engagement gegen Hass
  • Koalition verschleppt Modernisierung des Rechts der Zivilgesellschaft

Zur Mitteilung des Volksverpetzers, dass das zuständige Finanzamt dem Internet-Blog rückwirkend die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von fast 200 Vereinen und Stiftungen:

„Für das Engagement von Volksverpetzer für Demokratie und Grundrechte, gegen Fake-News und Hass fehlen offenbar passende Zwecke im deutschen Gemeinnützigkeitsrecht. Die Nachricht zeigt erneut die Dringlichkeit, das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert zu bringen und es dabei sturmsicher gegen Anti-Demokrat:innen zu machen. Die Ampel-Koalition hatte eine Modernisierung der Gemeinnützigkeit im Koalitionsvertrag vereinbart. Doch bereits seit mehr als einem Jahr wird die Gesetzesänderung verschleppt.

Fälle wie der des Volksverpetzers sind nur die sichtbare Spitze eines Eisberges: Viele Vereine und Stiftungen treten mit ihren Problemen rund um Gemeinnützigkeit nicht an die Öffentlichkeit, weil sie einen Vertrauensverlust oder Streit mit dem Finanzamt befürchten. Doch der ZiviZ-Survey 2023 hat empirisch belegt: Fünf Prozent aller gemeinnützigen Vereine in Deutschland (das sind mehr als 30.000 Vereine) hält sich mit politischer Einmischung zurück aus Sorge um den wichtigen Status. Welche notwendigen Aktivitäten für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aus Angst nicht stattfinden, ist unsichtbar.

Der Status der Gemeinnützigkeit ist mehr als Steuerrecht. Er ist in Deutschland das Basisrecht zivilgesellschaftlicher Organisationen. Wie bedeutend Freiraum für die Zivilgesellschaft für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte sind, wird derzeit gerade viel etwa mit Blick auf Georgien berichtet. Die deutsche Politik blickt besorgt nach Osteuropa – andere Länder blicken besorgt auf Deutschland. Denn mehrfach wurde Deutschland im Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU für sein zu enges Gemeinnützigkeitsrecht gerügt. Im weltweiten Civicus-Index für zivilgesellschaftlichen Freiraum wurde Deutschland Ende 2023 abgestuft. Das löst in anderen Ländern Angst aus, weil so die Praxis eines freiheitlichen Landes zur Rechtfertigung von Restriktionen eher autoritärer Staaten dienen kann.

Ein liberales, modernes Gemeinnützigkeitsrecht würde dagegen das Signal senden, dass eine Demokratie sich kritische Organisationen gerne leistet und fördert. Engagement für Demokratie muss nicht nur gefordert, sondern auch gefördert werden.“

Eine Vielzahl von Vereinen und Stiftungen fühlt sich durch das unklare Gemeinnützigkeitsrecht in seiner Arbeit beschränkt. Fast 200 Vereine und Stiftungen haben sich in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ zusammen geschlossen, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren und die selbstlose politische Einmischung etwa für Grundrechte und gemeinnützige Zwecke abzusichern. Zu den Mitgliedern gehören unter anderem Amnesty International, Attac, Brot für die Welt, der Bund der Steuerzahler, LobbyControl, Oxfam, Transparency International und Terre des Hommes.

Weitere Infos: https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de

Hintergrund zum Fall Volksverpetzer

Laut der Mitteilung des Volksverpetzers vom 14.5.2024 hält das Finanzamt die Tätigkeit des Vereins trotz über Jahre unverändertem Gesellschaftervertrags und unveränderter Tätigkeit nun für zu journalistisch. Journalismus ist kein gesetzlicher gemeinnütziger Zweck. Tatsächlich ist Journalismus hier eventuell eher Mittel zur Verfolgung eines konkreten Zwecks.

Die bekannten Fälle rund um Gemeinnützigkeit von Attac über BUND und DemoZ bis zu VVN-BdA (siehe auch https://zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/fallbeispiel) sind jeweils unterschiedlich und lassen sich nicht alle etwa dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) zuordnen. Wir unterscheiden vor allem fünf Problemgruppen:

Der Fall Volksverpetzer passt in die erste Fallgruppe: Die gemeinnützige Unternehmergesellschaft (gUG) hat mit „Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens“ einen konkreten Zweck. Das vom BFH errichtete Gebot der „geistigen Offenheit“ gilt nur für politische Bildung. Politische Mittel sind für einen konkreten Zweck spätestens seit dem BUND-Urteil des BFH eindeutig erlaubt, wenn auch der Umfang noch strittig ist.

Es fehlt ein eindeutiger Zweck für Demokratieförderung, Schutz der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte. Gerade bezüglich des Engagements gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, etwa gegen Antisemitismus, verweisen einige oft auf diesen Zweck, Förderung der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur. Genau das sieht das Finanzamt Augsburg nun offensichtlich anders.

Selbst, wenn der Bescheid in einigen Monaten oder Jahren aufgehoben wird, ist die Organisation jetzt belastet: Mit Aufwand, mit Ausgaben, mit eventuell geringer werdenden Spenden.

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