Bis vor einigen Jahren galt die Liste gemeinnütziger Zwecke in §52 der Abgabenordnung als unantastbar. Gerichte und Finanzverwaltung argumentieren häufig, der Gesetzgeber habe dort festgeschrieben, was er fördern wolle; und was nicht drin steht, wolle er offenbar nicht fördern. Doch Bundestag und Bundesrat als Gesetzgeber kennen oft nicht die Details der Liste und haben Angst, dass die Wünsche an neue, zeitgemäße Zwecke überborden und die Zweck-Liste irgendwann platzen würde. Ende 2020 wurden dennoch einige neue Zwecke als Ergänzung zu bestehenden Ziffern aufgenommen. Nun soll nach dem Willen der Bundesregierung mit dem Jahressteuergesetz 2024 eine neue Ziffer 27 zu Wohngemeinnützigkeit angefügt werden. Das ist hilfreich, aber auch verwunderlich.
Es ist nicht einfach ein Drei-Worte-Zweck („Förderung der Wohngemeinnützigkeit“), den die Regierung vorschlägt, Die neue Ziffer mit drei Sätzen (was in einer 27-Ziffer-Aufzählung grammatisch gar nicht funktioniert) liest sich wie eine Ausführungsbestimmung:
„die Förderung wohngemeinnütziger Zwecke; dies ist die vergünstigte Wohnraumüberlassung an Personen im Sinne des § 53. § 53 Nummer 2 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Bezüge nicht höher sein dürfen als das Fünffache des Regelsatzes der Sozialhilfe im Sinne des § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch; beim Alleinstehenden oder Alleinerziehenden tritt an die Stelle des Fünffachen das Sechsfache des Regelsatzes. Die Hilfebedürftigkeit muss zu Beginn des jeweiligen Mietverhältnisses vorliegen.“
Wohngemeinnützigkeit oder E-Sports als neue gemeinnützige Zwecke gehören nicht zu den Forderungen unserer Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“. Daher können wir die Umsetzung nicht abschließend beurteilen. Wir finden es gut, wenn neue Anliegen aufgenommen werden – noch besser fänden wir eine komplette Überarbeitung des ausufernden Katalogs, der in bald 27 Ziffern mehr als 80 Zwecke auflistet, aber zugleich eklatante Lücken hat. Verwunderlich finden wir, wenn einzelne Anliegen aufgenommen werden, andere nicht, die für eine freie Zivilgesellschaft nicht weniger wichtig erscheinen.
Wohngemeinnützigkeit als sozialpolitisches Instrument ist sicher eine sinnvolle politische Entscheidung. Ob aber die Aufnahme eines Zwecks dazu ins Gemeinnützigkeitsrecht dem Anspruch gerecht wird, ist fraglich. Der Begriff der Wohngemeinnützigkeit ist irritierend, weil es im Kern nicht um steuerbegünstigte Zwecke im Sinne der Abgabenordnung geht, sondern um steuerliche Anreize, eventuell auch Fördermittel für private Wohnungs-Investor:innen.
Im Koalitionsvertrag haben SPD, Bündnis 90/Grüne und FDP dazu festgehalten:
„Wir werden zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg bringen und so eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen. Sie soll nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit die Struktur der etablierten Wohnungswirtschaft ergänzen, ohne diese zu benachteiligen.“ (Seite 69)
Der geplante neue gemeinnützige Zweck wird diesem Anspruch nicht gerecht. Die Regierung schreibt im Gesetzesentwurf u.a., so könnten sozial orientierte Unternehmen Wohnraum zur Verfügung stellen.
Soweit wir den geplanten Passus richtig verstehen, stimmt das so nicht.
Gemeinnützige Organisationen – ob ein Verein oder in Form einer GmbH etwa als Sozialträger organisiert – müssten zunächst diesen neuen Zweck in ihre Satzung aufnehmen. Das würde ermöglichen, als gemeinnützige Zweckerfüllung Wohnungen unter Marktwert zu vermieten. Im Rahmen der Vermögensverwaltung oder als voll steuerpflichtiger Geschäftsbetrieb sind gemeinnützige Organisationen ansonsten gezwungen, profitorientiert zu wirtschaften. Wenn eine Stiftung ihr Kapital in Wohnungsbau anlegt, muss sie damit marktgemäße Gewinne erwirtschaften. Das könnte mit dem neuen Zweck anders werden – ist dann aber keine Vermögensanlage, sondern Zweckverfolgung.
Wer entsprechenden Wohnraum anbieten will, muss ihn entweder sowieso bereits besitzen – das könnte eine vererbte Immobilie sein – oder zunächst bauen. Für eine solche Investition braucht es jedoch Geld, das nur sehr wenige gemeinnützige Organisationen auf der hohen Kante haben. Da die Wohnungen unter Marktpreis vermietet werden sollen, wäre eine Refinanzierung eventuell nicht möglich. Private Investor:innen würden hier kaum einsteigen oder dafür eine gemeinnützige Organisation gründen: Denn diese gemeinnützige Baugesellschaft dürfte keine Gewinne an ihre Gesellschafter:innen ausschütten, bestenfalls Einlagen verzinst zurückzahlen.
Berichtet wird, dass gemeinnützige Organisationen durch den neuen Zweck steuerlich gefördert würden. Das ist so auch nicht richtig: Wenn sie gemeinnützig sind, zahlen sie im Kernbereich keine Steuern und profitieren von keiner Steuerentlastung. Steuerlich entlastet werden sie, wenn sie bisher mit der Vermietung als Vermögensverwaltung oder Geschäftsbetrieb Gewinn gemacht werden. Wenn jemand für den Zweck Wohnungsbau spendet, käme künftig ein Teil der Spende als Steuerbegünstigung an die spendende Person zurück.
Wohnungs-Investitionen in großem Umfang durch diesen neuen Zweck sind unwahrscheinlich. Gemeinnützigkeit ist keine Wirtschaftsförderung – das Prinzip der Selbstlosigkeit trennt das ab. Der neue Zweck ist sicher hilfreich für Sozialträger, die vorhandene Wohnungen nun leichter an bedürftige Personen zu angemessenen Preisen überlassen können.
„Grundsätzlich kann die Regelung gemeinnützigen Organisationen eine flexible und unbürokratische Regelung zur vergünstigten Vermietung von Wohnraum an hilfsbedürftige Menschen ermöglichen. Neben Steuererleichterungen sind jedoch Zulagen für jede im Rahmen der Gemeinnützigkeit verbilligt vermietete Wohnung als Ausgleich und zur Finanzierung notwendig“, schreibt der Paritätische Wohlfahrtsverband dazu.
Es ist gut, wenn diese Art der Zweckerfüllung damit möglich wird, wenn auch offenbar über eine nötige Satzungsänderung. (Die ursprünglich vorgesehene Konkretisierung der Mildtätigkeit in §53 der Abgabenordnung wäre dafür vielleicht einfacher gewesen.) Schwer zu verstehen ist, warum ein Zweck wie Förderung der Grund- und Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie nicht auch aufgenommen wird, den viele Organisationen vermissen. Die Bedenken eines zu ausufernden Zwecks können offenbar mit ausführlichen Formulierungen im Gesetz ausgeräumt werden, wie das Beispiel Wohngemeinnützigkeit zeigt.