Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erneut bestätigt, dass politische Einflussnahme dazu dienen kann, gemeinnützige Zwecke zu verfolgen, und dass gemeinnützige Anliegen oft nur durch „Zwischenschritte“ wie die Einwirkung auf „politische Entscheidungsträger“ erreichbar sein können. Eine solche indirekte Verfolgung des Zwecks sei manchen Zwecken wie dem Umweltschutz sogar immanent. Diese politische Einflussnahme mache einen Verein noch nicht zu einem politischen Verein. Lediglich „das Betreiben oder Unterstützen von Parteipolitik ist immer gemeinnützigkeitsschädlich“.
Dieser BFH-Entscheidung folgend müsste das Bundesfinanzministerium dringend den Anwendungserlass zur Abgabenordnung anpassen, der den Finanzämtern andere Vorgaben macht. Ebenso müsste das Bundesfinanzministerium die Nichtzulassungsbeschwerde im Fall Attac stoppen – allerdings ist im Streit um Attac ein anderer Senat des BFH zuständig.
- BFH-Entscheidung vom 20. März 2017, X R 13/15, veröffentlicht am 9. August 2017, als kompletter Text
- Pressemitteilung vom 9. August 2017 – „BFH zu Gemeinnützigkeit: Politik ist erlaubt“
Der BFH urteilte im Revisionsverfahren darüber, ob Spenden an den BUND Hamburg zur Unterstützung eines Volksbegehrens steuerlich abziehbar sind oder nicht. Der Rechtsstreit wurde exemplarisch um zwei Spenden geführt, allerdings hatte das Finanzamt angedroht, dem BUND die Gemeinnützigkeit für die Jahre 2010 und 2011 rückwirkend abzuerkennen. Das Verfahren zieht sich bereits seit mehr als fünf Jahren hin und ist nicht abgeschlossen, da der BFH dem Finanzgericht Vorgaben zur Neuentscheidung gemacht hat, statt abschließend zu urteilen.
BFH zu politischer Betätigung
Der BFH fasst seine ausführlichen Darlegungen zu politischen Tätigkeiten in Randnummer 86 des Urteils faktisch selbst zusammen:
„Dass eine Körperschaft ihre Auffassung durch kritische Information und Diskussion der Öffentlichkeit und auch Politikern nahebringe, mache sie noch nicht zu einem politischen Verein.“
Der BFH erklärt in Randnummer 90 ff. eine Systematik, wie geprüft werden muss, ob eine politische Tätigkeit gemeinnützig ist oder nicht:
- „Das Betreiben oder Unterstützen von Parteipolitik ist immer gemeinnützigkeitsschädlich.“
- „Äußerungen, die zwar in dem Sinne als ‚politisch‘ anzusehen sind, als sie das Gemeinwesen betreffen, die aber zugleich parteipolitisch neutral bleiben, stehen der Gemeinnützigkeit einer Körperschaft nicht grundsätzlich entgegen. … Auch diese Betätigungen müssen aber durch den Satzungszweck der Körperschaft gedeckt sein.“
- „Die politische Einflussnahme darf die anderen von der Körperschaft entfalteten Tätigkeiten jedenfalls nicht ‚weit überwiegen‘.“
Im dritten Punkt hebt der BFH die bisherige widersprüchliche Aussage leider nicht auf. Er erklärt mehrfach, dass es kein selbstständiger politischer Zweck sein muss, wenn der gemeinnützige Zweck durch politische Einflussnahme verwirklicht wird. Warum und wie dann diese Zweckverwirklichungen mit anderen Zweckverwirklichungen abgewogen werden sollte, ist nicht verständlich.
Verletzung des Unmittelbarkeits-Gebots?
Das zuständige Finanzamt in Hamburg hatte behauptet, dass der BUND seinen Zweck nicht unmittelbar verfolge, wenn er auf politische Entscheidungen einwirke. Zudem sei nicht sicher, ob die Kommunalisierung der Stromnetze schließlich dem Umweltschutz diene.
Der BFH widerlegt diese Behauptung, ohne den Begriff der Unmittelbarkeit dabei zu verwenden. Er bezieht sich auf die Gesetzesformulierung, dass die Tätigkeiten „darauf gerichtet“ sein müssen, die Allgemeinheit zu fördern. Dabei komme es „weder auf den tatsächlichen Erfolg der Maßnahme noch auf die Vollendung der Förderung an“ (Randnummer 69), sondern darauf, dass die gewählten Mittel geeignet sein können, ohne dass dies einer großen Wahrscheinlichkeit bedarf (Randnummer 74, 75).
„Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass jedenfalls zahlreiche Teilaspekte des Förderziels ‚Umweltschutz‘ … kaum durch den Einzelnen, sondern wirkungsvoll nur durch die Allgemeinheit bzw. durch den Staat, etwa mittels der Einführung entsprechender, allgemeinverbindlicher verhaltenslenkender Normen oder umweltgerechter Handlungsalternativen oder einer umweltgerechten Ausgestaltung staatlicher Vorhaben, gefördert werden können. Dem Begehren nach Durchführung staatlicher bzw. gesetzgeberischer Maßnahmen sind aber häufig zahlreiche Zwischenschritte immanent; ebenso ist der Verfolgung des Ziels ‚Umweltschutz‘ die Setzung von Anreizen zu einer Verhaltensänderung Dritter immanent. Daraus folgt, dass zur Erreichung des eigentlichen Ziels ‚Umweltschutz‘ – stärker als bei anderen in § 52 Abs. 2 AO genannten Gemeinwohlzielen – auch Zwischenschritte erforderlich sein können.“ (Randnummer 73)
Schon von der Unmittelbarkeit weg führt das Argument, dass durch die Erreichung eines Ziels eventuell andere ebenfalls gemeinnützige Zwecke gestört werden könnten. Dazu erklärt der BFH, dass Meinungsstreit möglich und nötig ist – und dass dies letztlich politisch ist:
„Zielkonflikte sind dem umfangreichen Katalog des § 52 Abs. 2 AO immanent. Sie führen aber nicht dazu, die – bei isolierter Betrachtung des Satzungszwecks einer Körperschaft gegebene – Förderung der Allgemeinheit allein deshalb zu versagen, weil die Tätigkeit dieser Körperschaft einen anderen der in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke beeinträchtigt. … Eine gemeinnützige Körperschaft darf die von ihr verfolgten Zwecke auch einseitig vertreten, in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen und in ihrer subjektiven Abwägung höher als andere Ziele gewichten. … Die endgültige Abwägung zwischen den widerstreitenden Zielen obliegt ohnehin nicht der Körperschaft, sondern den politischen Entscheidungsträgern, an die das Anliegen herangetragen wird, bzw. im Falle eines Volksbegehrens der Gesamtheit der abstimmenden Bürger.“ (Randnummer 75 f.)
Besonderheit Umweltschutz und Übertragbarkeit
Der BFH bezieht sich auf den gemeinnützigen Zweck Umweltschutz, ohne auszuschließen, dass dies für andere Zwecke genauso gelten könne. Die Begründung, warum hier Zwischenschritte nötig sind, lässt sich auf andere Zwecke übertragen. Der BFH stellt Umweltschutz als besonderen gemeinnützigen Zweck heraus, da dieser als Staatsziel Verfassungsrang habe (Randnummern 70, 80, 85). Auch die Notwendigkeit von Zwischenschritten führt er am Beispiel Umweltschutz aus (Randnummern 73 bis 76).
Doch die Bundesrichter sagen nicht, dass dies nur für den Zweck Umweltschutz gelte. Sie schreiben, dass es nicht für alle Zwecke gilt und führen beispielhaft Kleingärtnerei und Karnevalsfeiern an, aber weder listen sie abschließend Zwecke mit der Notwendigkeit politischer Einflussnahme auf, noch Zwecke, für die das nicht gilt (Randnummer 73).
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau hat ebenfalls Verfassungsrang. Warum jedoch die Förderung von Staatszielen wie der Wahrung der Menschenwürde, der Meinungsfreiheit oder des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht gemeinnützig sind, erschließt sich nicht – ist aber eine Frage an die Politik, nicht an die Justiz.
Auch viele andere Zwecke können mit dem Versuch verfolgt werden, Rahmenbedingungen oder Verhaltensweisen zu ändern, das kann für den Sport gelten oder für die Flüchtlingshilfe.
Weitere Streitfragen
Über die Frage hinaus, ob politische Einflussnahme Gemeinnützigen erlaubt ist, geht es im Rechtsstreit noch um zwei weitere Fragen.
Einerseits hatte das Finanzamt behauptet, der BUND sei eigentlich gar nicht Empfänger der Spende, sondern er habe sie nur im Auftrag der Volksinitiative für die Rekommunalisierung der Energienetze angenommen. Das Hamburger Finanzgericht wie der BFH sehen klar den BUND als Spendenempfänger.
Andererseits war das Finanzgericht der Auffassung, der BUND habe die Spende nicht zeitnah ausgegeben, da sie vom Eingangskonto nicht abgehoben wurde. Dazu hat der BFH eindeutig erklärt, dass es genügt, wenn die projektbezogenen Aufwendungen von einem anderen Bankkonto bezahlt werden. Weder müsse ein konkreter Geldschein noch ein bestimmtes Konto verwendet werden, es komme stets auf eine Saldo-Betrachtung an.