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Bundesregierung: Politische Bildung kann nicht neutral sein

Im 16. Kinder- und Jugendbericht greifen die von der Bundesregierung berufenen Sachverständigen die Probleme der politischen Bildung in der Gemeinnützigkeit auf und empfehlen dringend, das Gemeinnützigkeitsrecht anzupassen und die Verengung des Bildungsbegriffs aufzuheben. Die Bundesregierung nimmt in ihrer am 11. November 2020 beschlossenen Stellungnahme diese Empfehlung nicht auf, aber bestätigt, dass Bildung nicht neutral sein kann.

Im Bericht erklären die Sachverständigen, dass Bildung nicht neutral sein kann. Eine auf Demokratie und Menschenrechte gründende politische Bildung sei unverzichtbar. Jugendliche Protestkultur und selbstorganisierte Bewegung seien essentiell für eine funktionierende Demokratie. Doch Akteure politischer (Jugend-)Bildung erleben eine Delegitimierung ihrer Arbeit verbunden mit der Angst vor dem Verlust öffentlicher Fördermittel. Die Gemeinnützigkeit sei wichtig für die Existenz zivilgesellschaftlicher Akteure, „die auf vielfältige Weise ein pluralistisches Bildungsangebot unterbreiten, das oftmals auch die wenig berücksichtigten Interessen von jungen Menschen und unterrepräsentierten Gruppen thematisiert und ihnen Gehör verschafft“.

Die Sachverständigen empfehlen „dringend die Überarbeitung der Kriterien der Gemeinnützigkeit und eine einheitliche Auslegung unabhängig vom Sitz der Organisation sowie eine Revision der bisherigen Aberkennungen gegenüber demokratischen Werten verpflichteten Nichtregierungsorganisationen und Bildungsträgern“.

Die Bundesregierung geht in ihrer Stellungnahme auf die Forderungen zum Gemeinnützigkeitsrecht nicht ein, doch sie erkennt an: „Vor dem Hintergrund eines eindeutigen Verständnisses von politischer Bildung als demokratischer Bildung widerspricht die Bundesregierung entschieden, wenn politische Bildung unter Verweis auf ein falsch verstandenes Neutralitätsgebot in Frage gestellt wird.“ Und sie deutet den Unterschied heraus: „Im Unterschied zur plural zivilgesellschaftlichen sollte sich staatlich verantwortete politische Bildung weltanschaulich und parteipolitisch nicht positionieren.“

Also: gemeinnützige Vereine dürfen Postionen haben. Der Transfer ins Gemeinnützigkeitsrecht hat offenbar noch keine Mehrheit im Kabinett. Eine Gesetzesänderung braucht es, damit der Bundesfinanzhof bei nächster Gelegenheit nicht wieder den Begriff der politischen Bildung ganz anders auslegt als Regierung und Sachverständige. Der Bundestag diskutiert gerade im Zuge des Jahressteuergesetzes Klarstellungen zur Gemeinnützigkeit – eine gute Gelegenheit, den Sachverständigen zu folgen.

Der gesamte 16. Kinder- und Jugend-Bericht ist hier zu lesen (Stellungnahme der Bundesregierung und Sachverständigen-Bericht). Weitere Infos beim Jugendministerium.

Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht, um nach dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofes politische Bildung abzusichern, hatten bereits vor einem Monat mehrere Träger politischer Bildungsarbeit bzw. deren Dachverbände in einem Brief angemahnt.

Einige Zitate aus dem Bericht

Die Sachverständigen auf Seite 84:

„Die Kommission hat festgestellt, dass politische Bildung entsprechend der substanziellen Dimension von Demokratie nicht neutral ist und nicht neutral sein kann. Sie fordert die politisch Verantwortlichen daher auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Akteure politischer (Jugend-)Bildung vor Delegitimierung ihrer Arbeit, die bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren stets mit der Angst vor dem Verlust von öffentlicher Förderung einhergeht, zu schützen.
„Die Akteure der politischen Bildung brauchen die Unterstützung von politisch Verantwortlichen und ein deutliches, sicht- und hörbares Bekenntnis, dass eine auf Demokratie und Menschenrechte gründende politische Bildung unverzichtbar ist.“

Die Sachverständigen auf  Seite 291:

„Demgegenüber ist die aktuell häufig praktizierte Aberkennung des Gemeinnützigkeitsstatus verschiedener Bewegungen, zivilgesellschaftlicher Vereinigungen und Nichtregierungsorganisationen eine unpassende Reaktion. (…) Die Kommission empfiehlt daher dringend die Überarbeitung der Kriterien der Gemeinnützigkeit und eine einheitliche Auslegung unabhängig vom Sitz der Organisation sowie eine Revision der bisherigen Aberkennungen gegenüber demokratischen Werten verpflichteten Nichtregierungsorganisationen und Bildungsträgern.“

Die Bundesregierung auf Seite 9:

„Vor dem Hintergrund eines eindeutigen Verständnisses von politischer Bildung als demokratischer Bildung widerspricht die Bundesregierung entschieden, wenn politische Bildung unter Verweis auf ein falsch verstandenes Neutralitätsgebot in Frage gestellt wird. Im Unterschied zur plural zivilgesellschaftlichen sollte sich staatlich verantwortete politische Bildung weltanschaulich und parteipolitisch nicht positionieren.“

„Unzulässig ist damit die Förderung einer einseitigen politischen Bildung. Notwendig ist jedoch eine politische Bildung, die einen an den Prinzipien des Grundgesetzes orientierten engagierten und offenen Austausch fördert, dabei antidemokratische oder menschenfeindliche Aussagen klar benennt und Kinder und Jugendliche in ihrer Resilienz gegenüber entsprechenden Strömungen stärkt.“