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Rechtsgutachten zeigt große Spielräume für politische Betätigung

Es gibt keine verfassungsrechtlichen Grenzen für die politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen zugunsten ihrer Zwecke. Auch die Aufnahme politischer Willensbildung als eigener Zweck ins Gesetz ist möglich. Eine Gleichbehandlung zivilgesellschaftlicher Organisationen mit Parteien ist verfassungswidrig, da zwischen ihnen markante Unterschiede bestehen, etwa die Teilnahme an Wahlen. Bundestag und Bundesrat haben also erhebliche Spielräume, das Gemeinnützigkeitsrecht zu erweitern – wenn sie wollen. Das sind Ergebnisse eines Rechtsgutachtens, das die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) am 2. Mai 2020 veröffentlicht hat. Darin hat Prof. Dr. Sebastian Unger, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschafts- und Steuerrecht an der Ruhr-Universität Bochum, die „Politische Betätigung gemeinnütziger Körperschaften“ untersucht.

Der Jura-Professor Sebastian Unger kommt in dem Gutachten zum Schluss, dass im Vordergrund für die verfassungsrechtliche Beurteilung das individuelle Recht auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung stehe, nicht das Recht der Parteien auf Chancengleichheit, wie oft behauptet. Er kritisiert die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in den Fällen Attac und BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Hamburg).

Wegen der markanten Unterschiede von Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen dürften Parteispenden-Regeln zu Abzugsgrenzen oder Transparenz nicht auf gemeinnützige Organisationen und deren politische Einmischung übertragen werden. Vielmehr seien entsprechende Regeln zur Absicherung der demokratischen Gleichheit aller Bürger*innen eigenständig zu entwickeln, etwa mit den drei Stellschrauben Steuerabzug, demokratische Anforderungen und Transparenz.

(Ein 20 Minuten langes Interview von Radio Corax mit Professor Unger zum Gutachten ist hier zu hören.)

Größere Spielräume des Gesetzgebers

Unger kommt in dem Gutachten zum Schluss, dass der Gesetzgeber bei der steuerlichen Förderung politischen Engagements zivilgesellschaftlicher Organisationen größere Spielräume hat als im Bereich der politischen Parteien. Das schließt er aus dem unterschiedlichen Gewährleistungsgehalt des Verfassungsrechts der Bürgerinnen und Bürger auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung. Das Verfassungsrecht stehe einem Ausbau des politischen Bewegungsraums gemeinnütziger Körperschaften nicht entgegen.

Damit widerspricht er oft gehörten Behauptungen aus Finanzministerien. Vielmehr trage das Grundgesetz der unterschiedlichen Funktion politischer Parteien und politisch tätiger zivilgesellschaftlicher Organisationen im Prozess der politischen Willensbildung Rechnung.

Die politische Betätigung zivilgesellschaftlicher Organisation sei in weiterem Umfang mit ihrem Gemeinnützigkeitsstatus vereinbar als vom Bundesfinanzhof bisher angenommen.

  • Die auf einen thematischen Katalogzweck bezogene politische Betätigung sei auch dann gemeinnützig, wenn sie andere katalogzweckbezogene Tätigkeiten der Körperschaft weit überwiegt oder gar verdrängt.
  • Die Annahme des Bundesfinanzhofs, eine „allgemeinpolitische“ Betätigung „in beliebigen Politikbereichen“ sei nach geltendem Recht nicht gemeinnützig, sei zwar vertretbar, aber nicht zwingend. Hier habe der Gesetzgeber also Spielraum.

Kritik an Urteilen des Bundesfinanzhofs

Der Verfassungsrechtler Sebastian Unger kritisiert, dass der Bundesfinanzhof Grundsätze der steuerlichen Förderung politischer Parteien auf zivilgesellschaftliche Organisationen überträgt, die zwar politisch tätig sind, aber anders als Parteien keinen parlamentarischen Vertretungsanspruch haben und nicht an Wahlen teilnehmen.

Die vom Bundesfinanzhof schon im BUND-Urteil getroffene Aussage, dass die politische Betätigung einer gemeinnützigen Körperschaft ihre anderen Tätigkeiten zur Förderung des Katalogzwecks nicht weit überwiegen dürfe, finde in den §§ 51 bis 68 AO keine Grundlage und auch nicht im Verfassungsrecht. Tatsächlich seien gemeinnützige Tätigkeiten auch außerhalb einer politischen Betätigung nicht so unpolitisch, wie es der Bundesfinanzhof in seiner Rechtsprechung nahelegt.

Kein politischer Wettbewerb zwischen Parteien und Gemeinnützigen

Zwischen parteipolitischer Betätigung und zivilgesellschaftlicher politischer Betätigung bestehen erhebliche Unterschiede, deshalb dürften diese Betätigungen nicht gleich behandelt werden.

  • Politische Parteien und politisch tätige zivilgesellschaftliche Organisationen stünden in keinem politischen Wettbewerbsverhältnis zueinander, so dass gegen eine unterschiedliche steuerliche Behandlung unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb keine Einwände bestehen, sofern sich die zivilgesellschaftlichen Organisationen parteipolitisch neutral verhalten.
  • Das Recht auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung gelte zwar für den gesamten Willensbildungsprozess und daher sowohl für parteipolitische als auch für zivilgesellschaftliche politische Betätigung. Die Gleichheitsanforderungen seien im Bereich der politischen Zivilgesellschaft geringer als im Bereich der politischen Parteien.

Zur Abgrenzung der Tätigkeit politischer Parteien von zivilgesellschaftlichen Organisationen definiert Unger:

„Gemeinnützige Körperschaften betätigen sich politisch, wenn sie auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu gestalten suchen. Ziel ist es, staatliche Exekutiv- oder Legislativorgane zu bestimmten Entscheidungen zu bewegen.“

„Verfassungsrecht steht Ausbau des politischen Bewegungsraums gemeinnütziger Körperschaften nicht grundsätzlich entgegen“

In seiner Zusammenfassung des Gutachtens empfiehlt Unger für die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts wörtlich:

„De lege ferenda steht das Verfassungsrecht einem Ausbau des politischen Bewegungsraums gemeinnütziger Körperschaften nicht grundsätzlich entgegen.

Um die demokratischer Gleichheit zu gewährleisten, stünden dem Gesetzgeber drei Stellschrauben zur Verfügung, an denen er drehen könnte, wenn er den „politischen Bewegungsraum gemeinnütziger Körperschaften“ weitet:

  • Absenkung des „gegenwärtige hohen Niveaus der steuerlichen Begünstigung von Zuwendungen„, etwa durch Höchstbeträge oder auch einem linearen Abzug von der Steuerschuld statt eines progressiven Abzugs vom zu versteuernden Einkommen.
  • Anforderungen an die demokratische Binnen-Organisation.
  • Transparenzpflichten.

Bei allen drei Stellschrauben müssten nicht die für Parteien geltenden Regeln übernommen werden.

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