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Rechtstaatlichkeit und Civic Spaces – Berichte aus 2024 (Stand August 2024)

In der ersten Jahreshälfte 2024 wurden diverse Berichte zum Zustand der Rechtsstaatlichkeit und damit zusammenhängender zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume (sog. Civic Space) in der EU und Deutschland veröffentlicht – auch in Anbetracht des Trends der Shrinking Civic Spaces (siehe hierzu auch unser voriges Themen-Dossier). Zentrale Bereiche, die dabei analysiert wurden, sind unter anderem die Pressefreiheit, die Justiz, Checks and Balances (Gewaltenteilung und Kontrolle), das Verhältnis der Zivilgesellschaft zur Politik, die Versammlungsfreiheit sowie die Kontrolle und Ermöglichung der Vereinigungsfreiheit, auch mit Bezug zu unserem Thema, der Gemeinnützigkeit als Basis vieler Vereinigungen.

Insgesamt lässt sich aus den Berichten zu Deutschland herauslesen: Trotz einer positiven aktuellen Gesamteinschätzung Deutschlands und Verbesserungen in einzelnen Bereichen (wie Transparenz) habe sich die Lage des zivilgesellschaftlichen Raums etwas verschlechtert. Einige der Berichte haben wir hier zusammengetragen und kurz zusammengefasst.

Liberties Rule of Law Report

Im März 2024 veröffentlichte die Civil Liberties Union for Europe den fünften Liberties Rule of Law Report, der über Rechtsstaatlichkeit, den Zustand der Demokratie und Grundrechte in der EU und den EU-Ländern berichtet.
Für Deutschland wurden einige Entwicklungen bezüglich Justizreformen und Transparenz, wie die Erweiterung des Lobbyregisters, als positiv hervorgehoben.

Der Bericht stellt jedoch fest, dass die Pressefreiheit weiter unter Druck gerät. Deutschland habe immer noch das Vorhaben, eine gesetzliche Rechtsgrundlage für ein Auskunftsrecht der Presse in Bezug auf Bundesbehörden zu schaffen.

Außerdem stellt der Bericht fest, seien die Fristen für die Anhörung von Interessengruppen im Gesetzgebungsverfahren oft unangemessen kurz (im Falle des Steuerfortentwicklungsgesetzes, welches diverse politisch umstrittene Themen beinhaltete, war die Verbändebeteiligung im Sommer 2024 tatsächlich nur eine (!) Woche angesetzt).

Scharf kritisiert wird im Report die exzessive Anwendung von Gewalt, pauschale Versammlungsverbote und strafrechtliche Ermittlungen gegen politische Bewegungen. 2023 seien keine Reformen zum Schutz der zivilgesellschaftlichen Beteiligung und Interessensvertretung oder die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen angelaufen. Auch die weiterhin bestehenden Rechtsunsicherheiten bezüglich der Steuerbefreiung von gemeinnützigen Vereinen wurden kritisiert – bezüglich der ermöglichenden Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft wurde insgesamt ein Rückgang festgestellt.

„Zivilgesellschaft in Deutschland: Daten, Fakten, Entwicklungen“ – Maecenata Stiftung

Der im März veröffentlichte Bericht der Maecenata Stiftung „Zivilgesellschaft in Deutschland: Daten, Fakten, Entwicklungen“ beobachtet unter anderem Hinweise und Tendenzen sog. shrinking civic spaces. Zu den untersuchten Bereichen und Hinweisen darauf zählen die Einschränkung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Überwachung, exekutive und juristische Behinderungen, SLAPPs, Bedrohungen und Beleidigungen sowie staatlicher Einfluss auf die Zivilgesellschaft.

Dem Bericht nach gibt es trotz einer positiven Gesamteinschätzung Deutschlands bezüglich der Demokratie, Repräsentation, Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit und Partizipation „Gründe zur Beanstandung von Abweichungen von der Rechtsstaatlichkeit. Im vergangenen Jahr mussten Einschränkungen für Grundrechte sowohl in Gesetzgebungen als auch in der Praxis der Exekutive festgestellt werden. Die Arbeit der Zivilgesellschaft wird außerdem (auch durch nichtstaatliche Akteur:innen) v. a. durch die Beeinträchtigung der Arbeit von Journalist:innen, unverhältnismäßige Überwachungsmaßnahmen, Einschüchterungsversuche durch die extreme Rechte und Bedrohungen gegen diskriminierte Gruppen behindert. Ein für den Gesichtspunkt des Shrinking Space weiterer wichtiger, in den letzten Jahren intensiv debattierter Aspekt ist der Status der Gemeinnützigkeit von ZGO.“

Civic Space Report – European Civic Forum & Civic Space Watch

Der Civic Space Report 2024, ein Bericht vom European Civic Forum und Civic Space Watch, wurde für Deutschland in Zusammenarbeit mit der Maecenata Stiftung verfasst und im Mai 2024 veröffentlicht. Er bietet einen Überblick über den Zustand zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume Europas, hauptsächlich in Form sog. Country Chapters.
Für Deutschland wurden die Trends hervorgehoben, dass die Versammlungsfreiheit unter Druck gerät und es weiterhin eine Leerstelle gibt im Bereich des Dialogs zwischen Zivilgesellschaft und Politik.

Herausgestellt wird auch der Trend, dass Einmischung in die Arbeit von Journalisten, rechtsextreme Einschüchterungstaktiken, exzessive Überwachung und Drohungen gegen marginalisierte Gruppen die Arbeit der Zivilgesellschaft beeinträchtigen. Auch die ausbleibende Reform der Gemeinnützigkeit trotz mehrfacher Rüge des EU-Rechtsstaatsberichts wird kritisiert.

Rechtstaatlichkeitsbericht der EU

Am 24. Juli 2024 wurde Deutschland im fünften Bericht zur Rechtsstaatlichkeit der EU für sein zu enges Gemeinnützigkeitsrecht gerügt – zum wiederholten Mal.

Der Bericht deckt allgemein vier Themenbereiche ab: nationale Justizsysteme, Rahmen für die Korruptionsbekämpfung, Freiheit und Pluralismus der Medien sowie sonstige institutionelle Fragen im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung.

Im Bericht heißt es, im Allgemeinen wurden bei der Umsetzung der in den Vorjahren ausgesprochenen Empfehlungen noch keine Fortschritte erzielt und es wurden keine konkreten Schritte unternommen, um die Unsicherheit in Bezug auf die Steuerbefreiung für gemeinnützige Organisationen zu beseitigen, sodass die sich daraus ergebenden praktischen Bedenken und Herausforderungen weiterbestehen. (Der Bericht wurde vor den Kabinettsentwürfen des Jahressteuergesetz und des Steuerfortentwicklungsgesetz fertiggestellt, in denen das Thema Gemeinnützigkeitsreform zumindest in kleinen, aber unvollständigen Teilen reformiert wird).

Weiterhin wird geschrieben, dass „die Angst vor dem Verlust der Steuerbefreiung und die sehr lange Bearbeitungszeit bis zu einer Entscheidung der Steuerbehörden […] die Bereitschaft von zivilgesellschaftlichen Organisationen, sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen, beeinträchtigen“.

Die Empfehlung im Bericht ist entsprechend sehr ähnlich wie bereits in den vorigen zwei Jahren: Den Plan zur Anpassung der Steuerbefreiung von gemeinnützigen Organisationen weiterzuverfolgen, um die Herausforderungen anzugehen, die mit den derzeit geltenden Vorschriften für deren Betrieb in der Praxis verbunden sind, wobei europäische Standards für die Finanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen zu berücksichtigen sind.
Insgesamt habe sich in Deutschland die Lage des zivilgesellschaftlichen Raums etwas verschlechtert.

Die EU-Kommis­son beschreibt in ihrem Bericht zur Rechtsstaatlichkeit ihr Verständnis von Zivilgesellschaft:
„Organisationen der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidiger sind wichtige Akteure im System der gegenseitigen Kontrolle. Sie fungieren als Kontrollinstanzen für Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und tragen aktiv zur Förderung und zum Schutz der Werte und Grundrechte der EU bei.“

Infos zu den vorigen Berichten zur Rechtsstaatlichkeit::

September: Bericht zu Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft in Deutschland

Im September 2024 veröffentlichte unser Mitglied Maecenata Stiftung den Bericht „Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft – Anspruch und Wirklichkeit“, verfasst von Vorstand Rupert Graf Strachwitz.

Der Bericht stellt nach drei Jahren Ampel-Koalition den aktuellen Sachstand bezüglich Demokratie- und Engagementpolitik dar und erklärt den weiterhin dringend notwendigen Dialog. Dabei analysiert er auch, wie sich der Sachstand in den Trend der shrinking (civic) spaces einordnet. Besonderes Augenmerk in diesem Dialog legt der Bericht entsprechend auf die zunehmende Bedrängnis der Zivilgesellschaft: Es ist „mit einem Diskurs in einer offenen Gesellschaft nicht vereinbar, wenn staatlicherseits mit Diffamierungen und Bedrängungen gegen die Zivilgesellschaft vorgegangen wird. Beispielsweise ist das Argument, Zivilgesellschaft bestehe nur aus Protestierern, in aller Deutlichkeit zurückzuweisen. Dazu mag der Hinweis dienen, daß ZGO rund um die Uhr an sozialen Brennpunkten und Krisenherden weltweit präsent sind.“
Jene Diffamierungen spielen mit in die Beobachtung, dass teilweise eine Abwertung der Zivilgesellschaft als „links-grünes Projekt“, insbesondere aus einem eher konservativen sowie FDP-Umfeld, geschieht.

Passend zum Thema gab Siri Hummel von der Maecenata-Stiftung ein ausführliches Interview zum Thema Shrinking Spaces, der Frage, wie ein unsicheres Gemeinnützigkeitsrecht darin eine Rolle spielt, sowie dem Verhältnis von Zivilgesellschaft und Staat zueinander.