Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zur Angst vor Sozialprotesten
- Proteste gehören zu liberaler Demokratie
- Proteste haben oft Fortschritt bewirkt, auf Unrecht hingewiesen
- Für Sozialproteste fehlt gemeinnütziger Zweck
Zu Aussagen zu scheinbar drohenden Sozialprotesten erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von fast 200 Vereinen und Stiftungen:
„Die in den vergangenen Tagen mehrfach geäußerte Sorge vor Sozialprotesten irritiert mich. Proteste gehören zu einer liberalen Demokratie und sind Teil des politischen Willensbildungsprozesses. Nicht immer mag eine Demonstration die sinnvollste Form der Teilhabe sein, doch jede Diffamierung ist antidemokratisch. Gerade marginalisierte Gruppen haben oft keine andere Möglichkeit der Teilhabe.
In der jüngeren Geschichte haben Proteste auf Unrecht hingewiesen und gesellschaftliche Fortschritte gebracht. Dazu war es manchmal legitim und nötig, geltende Regeln zu übertreten. Wer heute in Russland gegen den Krieg protestiert, bricht Gesetze – zu Recht. Das taten die Bürger:innenrechtsaktivist:innen in den USA und in Südafrika ebenso, die die gesetzliche Diskriminierung Schwarzer Menschen aufzeigten. Protest beendete das rechtsstaatswidrige Regime der DDR. Der Protest von mit jüdischen Männern verheirateten Frauen im Februar 1943 in der Berliner Rosenstraße rettete vielen Menschen das Leben.
Eine liberale Demokratie sollte Protest als Beteiligung an der Willensbildung anerkennen. Regierungen sollten Protest hören, ohne ihm deshalb folgen zu müssen. Wären etwa die Proteste von Atomkraftgegner:innen früher gehört worden, wäre heute kein Atommüll zu entsorgen, wäre die Energiewende vielleicht längst abgeschlossen. Es gibt Grenzen bei den Zielen, wenn sie etwa gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausdrücken. Ansonsten gibt es Grenzen in der Form des Protests, die meist das Strafrecht zieht. Eine gesellschaftliche Debatte über Form und Sinn von Protest ist jedoch wichtiger als polizeiliche Maßnahmen.
Protest kann nicht staatlich organisiert sein, doch er braucht Anerkennung. Noch immer ist strittig, wie viele und welche politischen Mittel gemeinnützige Organisationen verwenden dürfen, ohne den für sie notwendigen Status zu riskieren. Für viele wichtige Themen fehlen zudem gemeinnützige Zwecke – etwa soziale Gerechtigkeit oder das Engagement für Grund- und Menschenrechte. Die Ampelkoalition hat vereinbart, hier Klarheit herzustellen. Protest ist Teil demokratischen Fortschritts.“
Aus Sorge um die Lücken im Gemeinnützigkeitsrecht und der Gefahr daraus für ihre Arbeit und die Arbeit vieler anderer Initiativen und Organisationen, die selbstlos auf die politische Willensbildung einwirken, haben sich fast 200 Vereine und Stiftungen in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ zusammen geschlossen, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren und die selbstlose politische Einmischung etwa für Grundrechte und gemeinnützige Zwecke abzusichern. Zu den Mitgliedern gehören unter anderem Pro Asyl, LobbyControl, Brot für die Welt, die Gesellschaft für Freiheitsrechte und das Komitee für Grundrechte und Demokratie.
Weitere Infos: https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de
Weiterführende Infos
- Zu den Aussagen im Ampel-Koalitionsvertrag zu Gemeinnützigkeit
- Die Forderungen der Allianz unter anderem zu fehlenden Zwecken und politischen Mitteln
- Empfehlung der EU-Kommission im Rechtsstaatsbericht 2022: Gemeinnützigkeitsrecht anpassen
- Recherchehinweis: Das Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) vereint Sozialwissenschaftler:innen, die einen Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Forschung zu Protesten, sozialen Bewegungen und ihrem Wechselverhältnis zur Demokratie leisten wollen. Kontakt für Presseanfragen.