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Tag der Demokratie und Woche des bürgerschaftlichen Engagements

Heute fallen der Beginn der Woche des bürgerschaftlichen Engagements und der Tag der Demokratie zusammen – eine gute Verbindung, denn Demokratie braucht eine starke, engagierte Zivilgesellschaft. Ohne Zivilgesellschaft gibt es keine Demokratie. Eine sich einmischende Zivilgesellschaft ist der Treibstoff der Demokratie. In Deutschland ist das Recht der Gemeinnützigkeit das prägende Recht für zivilgesellschaftliche Organisationen. Dieses Recht begrenzt jedoch den Raum für demokratisches Engagement. Denn wenn gemeinnützige Vereine oder Stiftungen sich für Demokratie oder Menschenrechte engagieren, wenn sie mit ihrem Engagement politische Forderungen verbinden, dann können sie existenzgefährdende Probleme mit der Gemeinnützigkeit bekommen.

Der Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ darf laut Verwaltungsanweisung nicht genutzt werden, um sich für eine Entwicklung der Demokratie oder für kritisches Beobachten ihrer Institutionen einzusetzen, sondern nur zur neutralen Darstellung. „Förderung der Menschenrechte“ steht nicht als gemeinnütziger Zweck im Gesetz – wer sich gegen Diskriminierungen einsetzen will, muss Umwege gehen und begibt sich auf unsicheren Grund. Und wenn aus der selbstlosen Verfolgung eines gemeinnützigen Zweckes politische Forderungen entstehen, halten das Finanzämter oft für nicht gemeinnützig und drohen mit dem Entzug des Status, was einer Auflösung des Vereins gleich kommt. Zwar setzen sich viele gemeinnützige Vereine und Stiftungen dennoch für die Demokratie ein und beteiligen sich an politischen Debatten; meistens von Finanzämtern unangefochten. Doch das Damoklesschwert des Gemeinnützigkeits-Entzugs schwebt über ihnen, wie eine empirische Studie zeigt.

Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit weisen an diesem Tag der Demokratie darauf hin, dass in vielen Ländern Organisationen der Zivilgesellschaft unter Druck stehen, dass die Handlungsräume der Zivilgesellschaft teilweise erheblich eingeschränkt sind – Stichwort „Shrinking Space„. Auch Parteien und Politiker*innen weisen zum Tag der Demokratie darauf hin, dass die Zivilgesellschaft unter Druck ist. Doch sie übersehen die Situation im Inland. Repressionen gegen zivilgesellschaftliches Engagement sind die Ausnahme, doch Deutschland wird einer Vorbildrolle nicht gerecht. Venro, der Verband für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe, fordert deshalb in seinem Positionspapier „Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft“ zu Recht von der Bundesregierung u.a.:

„Das Engagement der deutschen Zivilgesellschaft stärken – Die Bundesregierung muss mit gutem Beispiel vorangehen und sich mehr als bisher gegen einsetzende Diffamierung zivilgesellschaftlicher Initiativen in Deutschland aussprechen.“

Regierungskonalition hat verschiedenen Blick auf Zivilgesellschaft im In- und im Ausland

Im Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CSU schauen die Parteien völlig verschieden auf Zivilgesellschaft im In- und im Ausland (siehe im Detail dazu hier). Im Außenpolitik-Kapitel schreiben sie:

  • „Wir wenden uns entschlossen gegen die zunehmende und gezielte Einschrän­kung von Zivilgesellschaften (‚Shrinking Spaces‘), die sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen.“
  • „Wir wollen das zivilgesellschaftliche Engagement fördern und dabei insbeson­dere Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften, politische und private Stiftungen und Partnerschaften mit der Wirtschaft sowie mit Kommunen stärken.“

Doch bezogen auf das Inland wird zivilgesellschaftliches Engagement im Koalitionsvertrag eingeschränkter gemeint. Ehrenamt bezieht sich dort vor allem auf Engagement in Fa­milie, Sport, Kirche und Wohlfahrtspflege. Zivilgesellschaft wird instrumentalisiert und nicht als eigener Ak­teur anerkannt. Da drückt sich einer ein obrigkeitliches Demokra­tie-Verständnis aus.

Dieses Verständnis spricht oft auch aus der Praxis der Finanzverwaltung. Das Bundesfinanzministerium behauptet im Verfahren um die Gemeinnützigkeit von Attac, dass nur Parteien, aber nicht gemeinnützige Organisationen gesellschaftliche Alternativen entwerfen dürften. Nach seiner Auffassung dürfen offenbar nur Parteien und Wählergemeinschaften politisch tätig sein. Das verkennt, wie unsere Demokratie funktioniert und beschädigt sie. Die selbstlose politische Einflussnahme gemeinnütziger Organisationen ist wichtig für die politische Debatte über beste Lösungen für gesellschaftliche Fragen und sie ist wichtig als Gegengewicht zu eigennützigen Lobbyverbänden, die im Interesse ihrer Mitglieder politisch aktiv sind – und das steuerbegünstigt.

Im Bundestag fehlt Demokratie-Zuständigkeit

Denn Einmischen ist Engagement. Der Streit darum, was das Beste fürs Allgemeinwohl ist, ist politisch. Organisationen der Zivilgesellschaft müssen auch in Deutschland dem Staat und seinen Institutionen auf die Finger schauen, die Achtung der Menschenwürde einfordern und auf Fehlentwicklungen hinweisen. Das stärkt die Demokratie.

Wenn Politiker*innen und Parteien ihren Ruf nach Stärkung der Demokratie ernst meinen, müssen sie das Gemeinnützigkeitsrecht entsprechend anpassen. Über Transparenz und Rahmen beteiligter Akteure sollten sie u.a in der von der Großen Koalition vereinbarten Demokratie-Kommission sprechen. Und schön wäre es, wenn sie in Bundestag und Fraktionen dafür einen Platz schaffen – einen demokratiepolitischen Sprecher hat derzeit keine der sechs Fraktionen im Bundestag.

Drei Links zum Tag der Demokratie und der Gefahr des shrinking space for civil society: