Warum soll der Bundesfinanzhof das Gemeinnützigkeits-Urteil zugunsten von Attac in einer Revision verhandeln? Die im Juli 2017 vorgelegte Begründung dafür gleicht einem Orakel, das sehr interpretationsbedürftig ist. Dies fängt an bei der unklaren Autorenschaft: Wurden die 13 Seiten im Finanzamt Frankfurt geschrieben oder im Bundesfinanzministerium? Wir gehen mal vom Ministerium aus, da es im Mai 2017 angeordnet hatte, die Beschwerde einzulegen.
Postuliert hatte das Ministerium damals, dass es um die Abgrenzung von allgemeinpolitischer zu gemeinnütziger Betätigung gehe, schreibt u.a. die Hessische Landesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage im Landtag (Drucksache 19/5098 vom 31. Juli 2017). Doch in der eingereichten Begründung geht es letztlich nur um Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildung (als Unterpunkt des gemeinnützigen Zwecks „Volksbildung“) sowie um die Frage, ob in Satzungen die Zwecke wörtlich aus dem Gesetz abgeschrieben werden müssen. Es geht überraschenderweise überhaupt nicht um die Auslegung des Zwecks „Förderung des demokratischen Staatswesens“, der eine wichtige Grundlage des Urteils ist, das mit der Beschwerde angegriffen wird.
Schlagwort: BFH
Ein Urteil des Bundesfinanzhofes zu Gemeinnützigkeit, das für viel Aufregung gesorgt hat, berührt auch unsere Arbeit. Der BFH hatte bestätigt, dass eine Freimaurerloge nicht gemeinnützig ist, die nur Männer als Mitglieder akzeptiert und deren Tätigkeit vor allem darin besteht, Rituale für ihre Mitglieder durchzuführen (Entscheidung vom 17. Mai 2017 – V R 52/15, veröffentlicht am 2. August 2017). Darin geht es vor allem um den Begriff „Förderung der Allgemeinheit“. Warum ist diese Entscheidung für Organisationen wichtig, die sich in die Politik einmischen und die gemeinnützig sein wollen?
Pressemitteilung der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. vom 9. August 2017 zur BFH-Entscheidung im Fall BUND
- Bundesgericht: Keine Trennlinie zwischen Gemeinnützigkeit und Politik
- Finanzminister muss Anwendungserlass ändern
Der Bundesfinanzhof (BFH), das höchste deutsche Finanzgericht, interpretiert das Gemeinnützigkeitsrecht anders als das Bundesfinanzministerium. Während das Ministerium wiederholt behauptet, es gebe eine „steuerliche Trennlinie“ zwischen der Förderung gemeinnütziger Zwecke und politischer Betätigung, erklärt der BFH in einer aktuellen Entscheidung: „Äußerungen, die zwar in dem Sinne als ‚politisch‘ anzusehen sind, als sie das Gemeinwesen betreffen, die aber zugleich parteipolitisch neutral bleiben, stehen der Gemeinnützigkeit einer Körperschaft nicht grundsätzlich entgegen“, so lange sie dem gemeinnützigen Satzungszweck dienen.
Die Auffassung des Bundesfinanzministeriums, dass es eine „steuerliche Trennlinie“ zwischen der Förderung gemeinnütziger Zwecke und politischer Betätigung gibt, ist falsch. Um das festzustellen, braucht es nicht erst ein weiteres Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH). Der BFH hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Entscheidungen der Finanzverwaltung aufgehoben, mit denen Finanzämter die politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen unzulässig beschränkt hatten. Gemeinnützigkeits-Experten wie die Jura-Professoren Dr. Rainer Hüttemann (Universität Bonn) oder Dr. Birgit Weitemeyer (Bucerius Law School Hamburg) bestätigen, dass Gemeinnützige sich zur Verfolgung ihrer gemeinnützigen Zwecke politisch betätigen dürfen.
Der 4. Senat des Hessischen Finanzgerichts in Kassel unter Vorsitz des Richters Helmut Lotzgeselle hatte am 10. November 2016 entschieden, dass Attac gemeinnützig ist und damit der Klage von Attac stattgegeben (Az: 4 K 179/16). Die schriftliche Urteilsbegründung wurde erst im April 2017 vorgelegt. Das beklagte Finanzamt möchte eine Revision beim Bundesfinanzhof erreichen. Deswegen hat es eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. Die Entscheidung und ihre Begründung wird hier dargestellt. Das Urteil ist nicht verbindlich für andere Verfahren, aber die Begründungen können natürlich in Auseinandersetzungen verwendet werden.
- Attac hat das zugestellte Urteil hier als PDF veröffentlicht. Auf diese Fassung beziehen sich die Seitenangaben in den folgenden Hinweisen.
- Das Gericht hat eine Online-Fassung als PDF veröffentlicht.
- Zusätzlich hat das Gericht 16 Leitsätze veröffentlicht (PDF).
- Aktualisierung 18. Mai 2017: Finanzamt legte Beschwerde auf Weisung des Bundesfinanzministeriums ein
Pressemitteilung der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ vom 17. Mai 2017
- Urteilsbegründung des Finanzgerichts belegt Gemeinnützigkeit von Attac
- Finanzamt verhindert Rechtskraft durch Beschwerde beim BFH
- Politik muss Rechtssicherheit schaffen
Obwohl das Finanzgericht Kassel fundiert begründet hat, warum das globalisierungskritische Netzwerk Attac gemeinnützig ist, akzeptiert das Finanzamt Frankfurt dieses Urteil nicht und verlangt eine Revision beim Bundesfinanzhof (BFH). Für Attac und seine Spender bedeutet dies weitere Jahre Benachteiligung und Unsicherheit. Diese Unsicherheit betrifft viele Initiativen, die sich für die Demokratie und die Gesellschaft engagieren. Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, ein Zusammenschluss von 80 Vereinen und Stiftungen, fordert daher vom Bundestag gesetzliche Klarstellungen. Das Finanzgericht hatte keine Revision zugelassen. Nach Angaben von Attac hat das Finanzamt dagegen eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH eingelegt. Damit wird das Urteil des Finanzgerichts nicht rechtskräftig. Attac wartet seit drei Jahren auf eine rechtskräftige Entscheidung über seine Gemeinnützigkeit.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Fiktion der abgeschlossenen Liste gemeinnütziger Zwecke faktisch aufgehoben. In einem jetzt veröffentlichten Urteil erklären die obersten Finanzrichter, dass die Finanzverwaltung ein Anliegen als gemeinnützig anerkennen muss, wenn das Anliegen keinem der im Gesetz aufgelisteten Zwecke zuzuordnen ist, aber in gleicher Weise wie ein gesetzlicher gemeinnütziger Zweck die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet fördert. Das Gericht verwirft die Behauptung der Finanzverwaltung, dass diese Anerkennung nur möglich sei, wenn das Anliegen sich erst nach der jüngsten Gesetzesänderung neu entwickelt hat.