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Konflikte zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Finanzämtern um die Gemeinnützigkeit sind keine Einzelfälle, wie immer wieder behauptet wird. Zu politischer Einmischung, zum Schutz der Menschenrechte oder für mehr Demokratie ist die Abgabenordnung als zugrunde liegendes Gesetz nicht eindeutig und führt deshalb zu völlig verschiedenen Ergebnissen. Das belegt die Finanzamt-Studie mit dem Titel „Engagiert Euch – nicht? Wie das Gemeinnützigkeitsrecht politisches Engagement behindert“, die die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ mit Unterstützung der Otto Brenner Stiftung durchgeführt hat. Je ein Drittel aller zuständigen Finanzämter wurde mit jeweils identischen Satzungen angeschrieben. Die Hälfte der Antworten bestätigte die Gemeinnützigkeit, die andere Hälfte nicht. Je deutlicher die politische Einmischung war, desto geringer die Anerkennungsquote – aber nie so gering, dass die anerkennenden Finanzämter eine Minderheit gewesen wären.
Schlagwort: Diefenbach-Trommer
Aktuellere Texte:
- Finanzamt verhindert weiter Gemeinnützigkeit von Attac und verlangt Revision
- Schriftliche Begründung des Urteils und wichtige Sätze daraus
- Reaktionen auf das Attac-Urteil
Pressemitteilung vom 10. November 2016
Das Finanzgericht Kassel hat entschieden, dass die Aktivitäten von Attac gemeinnützig sind. Damit hat es die Auslegung des Gesetzes durch das Finanzamt als rechtswidrig aufgehoben. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit erfolgte zu Unrecht. Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 60 Vereinen und Stiftungen, erklärt dazu:
„Wer sich für die demokratische Grundordnung, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und ein gerechtes Steuersystem einsetzt und damit natürlich auf die Politik einwirkt, kann gemeinnützig sein, hat das Finanzgericht bestätigt. Damit sollte der Mythos Geschichte sein, dass das Gesetz zwischen politischen und gemeinnützigen Zwecken unterscheidet. Diese Behauptung ist durch das Gesetz nicht gedeckt. Selbstloses politisches Engagement findet auch außerhalb von Parteien und Parlamenten statt. Es nutzt der Gesellschaft, es wirkt Polarisierung entgegen. Deshalb ist es förderungswürdig.
Noch einmal zur Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion zu Gemeinnützigkeit und politische Willensbildung: In der Regierung fehlen klare Zuständigkeiten zu diesem Engagement, deshalb kommt sie zu keinen oder unklaren Positionen. Wenn die Regierung rumeiert, ist es Aufgabe des Parlaments, Klarheit zu fordern oder herzustellen. Dort muss die Debatte darüber stattfinden, welches bürgerschaftliche Engagement auf welche Weise gefördert oder geregelt werden soll. Das sollte nicht den Finanzämtern überlassen werden.
Diese Zusammenfassung gibt Stefan Diefenbach-Trommer für die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ im akutellen Newsletter des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE). Wegen der unklaren Positionen geglingt es der Regierung nicht zu begürnden, wo eine Trennlinie zwischen gemeinnützigen und politischen Organisationen verlaufen sollte. Sie trennt zu recht Parteien von gemeinnützigen Organisationen ab, denn Parteien und Wählergemeinschaften befinden sich im Wettbewerb um Stimmen. Sie ignoriert jedoch, dass ein Teil der „Vereinigungen bürgerschaftlichen Engagements“ aus dem Gemeinnützigkeitsrecht fallen, ohne sich im Wettbewerb mit Parteien zu befinden. Sie ignoriert, dass dadurch das Recht der Bürger auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung behindert sein könnte.
„Der Gesetzgeber hat … bewusst zwischen gemeinnützigen und politischen Zwecken unterschieden“, behauptet das Finanzamt Frankfurt in seinem Bescheid, mit dem es Attac die Gemeinnützigkeit aberkennt. „Wer politisch aktiv sein möchte, der wird in der bestehenden Parteienlandschaft bzw. Wählergemeinschaft sicher fündig werden“, schreibt der Bundesfinanzminister in einem Brief an die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“. Warum das so nicht stimmt, warum es im Gesetz (Abgabenordnung) keine Trennung zwischen politischen und gemeinnützigen Zwecken gibt, warum jeder gemeinnützige Zweck politisch sein kann und wie dabei Parteien von Gemeinnützigen getrennt werden, hat Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz, in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau aufgeschrieben:
- „Wenn Politik gemeinnützig ist“ – http://www.fr-online.de/gastbeitraege/attac-wenn-politik-gemeinnuetzig-ist,29976308,34326778.html
Gemeinnützig ist, Bäume zu pflanzen – und ebenso, gegen ihre Abholzung vorzugehen. Gemeinnützig ist, verarmten Menschen und Flüchtlingen Bildung, Essen und Obdach zu verschaffen – und ebenso, die Ursachen ihrer Ausgrenzung beseitigen zu wollen. Gemeinnützig ist, Entwicklungshilfe in benachteiligten Ländern zu fördern – und ebenso, unfaire Handelspolitik als Ursache der Benachteiligung zu brandmarken. Durch unsere Arbeit kommt diese Erkenntnis in der Politik an und es gibt Bewegung hin zu Anpassungen des Gemeinnützigkeitsrechts.
Für den Newsletter des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) gibt Allianz-Vorstand Stefan Diefenbach-Trommer einen Überblick über die politischen Prozesse, insbesonder über den Gesetzentwurf der oppositionellen SPD in Hessen und einer Großen Anfrage der Grünen im Bundestag. Neben positiven Ansätzen sieht er auch ein Nichtaufgreifen einzelner Probleme, die gleichwohl ebenso in diesem Kontext angegangen werden müssen. Geht es um die Ursachen, dann geht es um politische Entscheidungen.
Am Montag, 6. Juni 2016, veranstaltet die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ein öffentliches Fachgespräch zu Reformbedarf im Gemeinnützigkeitsrecht. Die Veranstaltung findet von 13 bis 16 Uhr im Bundestag statt und ist öffentlich, eine Anmeldung ist erforderlich.
Die Grünen flankieren mit dem Fachgespräch ihre Große Anfrage zu Gemeinnützigkeit und mehr. Im Fachgespräch geht es vor allem einerseits um die Abgrenzung zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien, zwischen interessengeleiteter und selbstloser Lobbyarbeit und auch zwischen demokratischem Engagement und demokratiefeindlichen Organisationen; zum anderen geht es um Transparenzforderungen an gemeinnützige und andere politische Akteure, da vor allem um Stiftungen.
Als Fachpersonen sind eingeladen:
- Stefan Diefenbach-Trommer, Koordinator der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“
- Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung im Bundesministerium der Finanzen
- Michael Ernst-Pörksen, Dipl. Volkswirt und Experte für Gemeinnützigkeitsrecht
- Prof. Dr. Sophie Lenski, Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht, Medienrecht, Kunst- und Kulturrecht an der Universität Konstanz
- Prof. Dr. Stephan Schauhoff, Fachanwalt für Steuerrecht, da vor allem für Gemeinnützigkeit, und Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen
Spannend wird vor allem die Auseinandersetzung mit Michael Sell vom Bundesfinanzministerium, denn seine Steuerabteilung ist der Auffassung, dass gemeinnützige und politische Zwecke zu unterscheiden seien. Wer sich politisch engagieren möchte, könne dies in Parteien und Wählergemeinschaften tun.
Bis in die 80-er Jahre waren „Politische Vereine“ steuerbegünstigt – und reichten die eingesammelten Spenden direkt an Parteien weiter. Um diesen Missbrauch zu stoppen, wurde damals das Spendenrecht für Parteien und für gemeinnützige Organisationen überarbeitet, wurden politische Zwecke zunächst gestrichen. Heute mischen gemeinnützige Organisationen auch politisch mit und bekommen deshalb Gemeinnützigkeits-Probleme. Könnte die neue Etablierung eines Status für „Politische Vereine“ eine Lösung sein? Nein, denn dadurch würde der gemeinnützige Sektor entpolitisiert, dabei sind Gemeinnützigkeit und (auch) politisches Engagement untrennbar. Argumente dazu hat Stefan Diefenbach-Trommer in seinem Beitrag für den Newsletter des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) notiert.