Nachdem die von der Ampel-Koalition vereinbarte Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts lange vor allem aus Ankündigungen bestand, geht es nun sehr schnell. Nach aktuellem Stand soll der Bundestag am Donnerstag, 17. Oktober, ein Paket mehrerer Steuergesetze final beschließen, die auch Änderungen am Gemeinnützigkeitsrecht enthalten. Der Koalitionsvertrag wird damit jedoch nur marginal umgesetzt.
Schlagwort: Gemeinnützigkeitsrecht
In der ersten Jahreshälfte 2024 wurden diverse Berichte zum Zustand der Rechtsstaatlichkeit und damit zusammenhängender zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume (sog. Civic Space) in der EU und Deutschland veröffentlicht – auch in Anbetracht des Trends der Shrinking Civic Spaces (siehe hierzu auch unser voriges Themen-Dossier). Zentrale Bereiche, die dabei analysiert wurden, sind unter anderem die Pressefreiheit, die Justiz, Checks and Balances (Gewaltenteilung und Kontrolle), das Verhältnis der Zivilgesellschaft zur Politik, die Versammlungsfreiheit sowie die Kontrolle und Ermöglichung der Vereinigungsfreiheit, auch mit Bezug zu unserem Thema, der Gemeinnützigkeit als Basis vieler Vereinigungen.
Pressestatement der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” e.V. zum Kabinettsbeschluss des Jahressteuergesetz II – betreffend Gemeinnützigkeitsrecht
• Das Bundeskabinett hat heute Vormittag (am 24.07.2024) den Entwurf des Jahressteuergesetz II entschieden (nun umbenannt in Steuerfortentwicklungsgesetz)
• Er bleibt deutlich hinter dem zurück, worauf sich im Koalitionsvertrag geeinigt wurde und was zum Schutz lebendiger Zivilgesellschaft nötig wäre
• ab September muss im Parlamentsverfahren vom Bundestag nachgebessert werden
Das Bundesfinanzministerium hatte Vorschläge zur Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts bis zur parlamentarischen Sommerpause angekündigt – das sind nun keine zwei Wochen mehr und ein Entwurf dafür ist nicht sichtbar. In der Verantwortung steht die gesamte Koalition, die gesamte Regierung. Die Dringlichkeit des Themas versuchen viele Akteur:innen der Zivilgesellschaft deutlich zu machen. Während einerseits um staatliche Fördermittel verhandelt wird, sind andererseits die rechtlichen Rahmenbedingungen wichtig: Als Basis für Fördermittel-Anträge, aber auch für die Selbstfinanzierung durch Spenden oder private Fördermittel. Gestern (24.6.2024) wurden zwei neue Briefe an den Bundeskanzler öffentlich.
Das Jahressteuergesetz 2024 soll die im Koalitionsvertrag versprochene Reform des Gemeinnützigkeitsrechts beinhalten. Dieses soll noch vor der Sommerpause des Bundestags ins Kabinett.
Das ist nicht mehr lang, und was bisher bekannt ist, ist ernüchternd: Im letzten veröffentlichten Entwurf war Gemeinnützigkeit gar nicht drin. Nur E-Sport soll als neuer Zweck aufgenommen werden, es gibt keine Einigung zur Klarstellung für politische Mittel für den eigenen Zweck.
Umso mehr Stiftungen, Verbände und Vereine ergreifen grade die Initiative, an Bundesfinanzminister Linder zu appellieren, an dessen Ministerium das Jahressteuergesetz hängt: Einen Abriss der Geschehnisse der letzten Wochen, in denen aus vielen Richtungen kleinerer und größerer Druck kam, haben wir hier zusammengefasst.
Pressemitteilung von Attac Deutschland mit Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V.
- Demokratische Zivilgesellschaft darf nicht weiter behindert werden
- Von Ampel-Koalition versprochene Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts steht noch aus
- Vor zehn Jahren strich das Finanzamt Frankfurt Attac den Gemeinnützigkeits-Status
Zehn Jahre ist es am kommenden Sonntag (14.4.2024) her, dass Attac Deutschland die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Das globalisierungskritische Netzwerk agiere zu politisch, begründete das Finanzamt Frankfurt seinen Bescheid vom 14. April 2014. Insbesondere der Einsatz für eine Regulierung der Finanzmärkte, eine Finanztransaktionssteuer – immerhin die Gründungsforderung von Attac – oder eine Vermögensabgabe seien nicht gemeinnützig, hieß es in dem Schreiben.
Seitdem wehrt sich Attac gegen die Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit – juristisch und politisch. Die Auseinandersetzung erfuhr dabei von Beginn an große öffentliche Aufmerksamkeit. Denn der „Fall Attac“ hat nicht nur Bedeutung für das Netzwerk selbst, sondern beeinträchtigt auch die gesamte demokratische Zivilgesellschaft.
Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Grüne und FDP ist bei demokratiepolitischen Vorhaben in den vergangenen Monaten gut voran gekommen – anders, als es oft wahrgenommen wird. Im vergangenen Jahr gab es dazu einige im Koalitionsvertrag vereinbarte Gesetzesänderungen. Regierung und Bundestag haben einiges abgearbeitet, aber kaum verknüpft. Eher unwahrscheinlich scheint, dass der Koalition bewusst war, dass sich diese Gesetzgebungen auf einem demokratiepolitischen Faden aufreihen.
Die ebenfalls vereinbarte, aber noch ausstehende Modernisierung der Gemeinnützigkeit sollte sich allerdings einreihen. Neben vielen kleinen Reparaturen und Wartungsarbeiten geht es bei der Modernisierung um demokratiepolitische Fragen, um die Funktion zivilgesellschaftlicher Organisation in der Demokratie, bei der Verteidigung von Menschenrechten, beim Schutz des Rechtsstaats. Welche Rolle will der Staat der Zivilgesellschaft zuschreiben? Was will er ermöglichen, was ausbremsen? Welche Kontrollen oder Begrenzungen sind vielleicht nötig, um andererseits Vertrauen zu schaffen?
Seit Wochen wird im ganzen Land gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit demonstriert. Die Zivilgesellschaft ist gefragt – und stolpert manchmal an den Grenzen des Gemeinnützigkeitsrechts. Darf mein gemeinnütziger Verein zu einer Demo gegen Rechtsextremismusaufrufen? So eine Demo veranstalten oder unterstützen? Dieser Text gibt dazu einige Hinweise. Dabei wird unter anderem unterschieden, ob ein Verein bei dieser Gelegenheit über seine gemeinnützigen Zwecke hinaus handelt oder ob das eine dauerhafte Tätigkeit ist.
Pressestatement der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” e.V. zur Debatte um die Gemeinnützigkeit des Bund der Steuerzahler
Zum heutigen Spiegel-Bericht zur Gemeinnützigkeit des Bund der Steuerzahler erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung”, einem Zusammenschluss von mehr als 200 Vereinen und Stiftungen:
„Die Berichte über den Bund der Steuerzahler zeigen, dass das Gemeinnützigkeitsrecht unscharf und veraltet ist. Das Recht überfordert die gemeinnützigen Organisationen ebenso wie die Finanzämter als Aufsicht, wie schon 2018 unsere Finanzamtstudie zeigte.
Dadurch wird das Gemeinnützigkeitsrecht willkürlich: Viele alltägliche Verstöße werden nie gerügt, doch in Einzelfällen werden Auseinandersetzungen über Jahre und bis hin zum Bundesfinanzhof geführt. Die Angst vor solchen Auseinandersetzungen ist Alltag und beschränkt das zivilgesellschaftliche Handeln. Das mag dazu beigetragen haben, dass vor wenigen Tagen der Status Deutschlands für Freiraum der Zivilgesellschaft von offen auf beeinträchtigt abgestuft wurde. Insbesondere der Zweck ‚Förderung des demokratischen Staatswesens‘ ist unklar und umstritten.Deshalb muss die Ampel-Koalition endlich ihr Vorhaben umsetzen und das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert bringen. Der Abstieg im Zivilgesellschafts-Ranking sollte mindestens so ernst genommen werden wie ein Abstieg im olympischen Medaillenspiegel.“
In der im Koalitionsvertrag vereinbarten Engagementstrategie des Bundes sollen sich Themen wiederfinden, „die Engagierte und ehrenamtlich Tätige in ihrem Alltag beschäftigen“; es soll um „einfache, unbürokratische und nachhaltige Rahmenbedingungen“ gehen, „um Engagement einfach und niedrigschwellig zu ermöglichen“, schreibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Das Ministerium hat ein halbes Jahr lang Ideen gesammelt, die jetzt sortiert werden, um daraus eine Strategie zu schreiben. Ab Mitte des Jahres 2024 soll ein Entwurf der Strategie innerhalb der Bundesregierung abgestimmt und spätestens zum Jahresende beschlossen werden.
In unserem Impuls zur Engagementstrategie werfen wir einen grundsätzlichen Blick auf zivilgesellschaftliches Engagement und seine Verankerung in Gesetzen und fragen nach den strategischen Zielen:
Welche Impulse sollten in diese Richtung gesetzt werden, was sind langfristige Ziele für ein modernes Recht zivilgesellschaftlicher Organisationen, und welche offenen Fragen sollten zivilgesellschaftliches Engagement betreffend einmal gestellt werden? Wir schlagen diesmal nicht konkret vor, an welchen bestehenden Schrauben im Gesetz ein bisschen gedreht werden könnte, sondern öffnen den Raum für Gedanken, wie Engagement langfristig ausgeweitet, geschützt und verbessert werden könnte, wenn wir die richtigen Grundsatzfragen stellen.