Bis vor einigen Jahren galt die Liste gemeinnütziger Zwecke in §52 der Abgabenordnung als unantastbar. Gerichte und Finanzverwaltung argumentieren häufig, der Gesetzgeber habe dort festgeschrieben, was er fördern wolle; und was nicht drin steht, wolle er offenbar nicht fördern. Doch Bundestag und Bundesrat als Gesetzgeber kennen oft nicht die Details der Liste und haben Angst, dass die Wünsche an neue, zeitgemäße Zwecke überborden und die Zweck-Liste irgendwann platzen würde. Ende 2020 wurden dennoch einige neue Zwecke als Ergänzung zu bestehenden Ziffern aufgenommen. Nun soll nach dem Willen der Bundesregierung mit dem Jahressteuergesetz 2024 eine neue Ziffer 27 zu Wohngemeinnützigkeit angefügt werden. Das ist hilfreich, aber auch verwunderlich.
Schlagwort: Menschenrechte
Die „Engagementministerin“ Lisa Paus hat beim 22. Deutschen Stiftungstag in Leipzig heute (29.9.2022) früh angekündigt, dass das Gemeinnützigkeitsrecht im nächsten Jahr umfassend modernisiert wird. Die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erklärte in einer Keynote zu nachhaltiger Engagementpolitik, dass das Gemeinnützigkeitsrecht eine „wichtige Stellschraube“ in der Engagement-Strategie der Bundesregierung sei. Es sei auch eine nötige Flankierung des kommenden Demokratiefördergesetzes.
In response to a Call for Inputs from the United Nations Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association, Clément Nyaletsossi Voule for his report to be presented at the 50th session of the Human Rights Council the Alliance “Legal Certainty for political advocacy” sent a contribution to paint a comprehensive picture of the situation in Germany at the moment.
Am Dienstag, 26. Oktober, 9 Uhr, findet eine Online-Podiumsdiskussion zu nötigen Reformen des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts aus dem Blickwinkel der europäischen Menschenrechte statt, veranstaltet von Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ und weiteren Organisationen. Eine kostenfreie Anmeldung ist möglich. Anlass ist ein Gutachten der Jura-Professorin Patricia Wiater zu „Menschenrechtlichen Rahmenbedingungen für die Behandlung gemeinnütziger Organisationen“ im Auftrag der GFF.
Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. dazu, ob gemeinnützige Vereine Haltung zeigen dürfen
- Viele Vereine trauen sich nicht, Haltung zu zeigen
- Wer UEFA kritisiert, sollte Gemeinnützigkeit in Deutschland verbessern
Zur Debatte über das Verbot der UEFA, im Münchener Stadion ein Zeichen gegen Homophobie und Ausgrenzung zu setzen, erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 180 Vereinen und Stiftungen:
„Wenn Politiker*innen wie Markus Söder jetzt die UEFA kritisieren, sollten sie konsequent sein und in Deutschland Rechtssicherheit dafür schaffen, dass Vereine und Stiftungen eine durchaus auch politische Haltung haben und zeigen dürfen. Denn derzeit werden solche Tätigkeiten vom veralteten und zu rigiden Gemeinnützigkeitsrecht beschränkt. In diesem Basisrecht zivilgesellschaftlicher Organisationen klafft eine große Lücke zwischen dem, was eindeutig erlaubt ist, und dem, was politisch gewollt und gefordert wird.
Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zur Koalitions-Einigung, Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben
- Kinderrechte müssen auch gemeinnütziger Zweck sein
- Zivilgesellschaftliche Organisationen brauchen Rechtssicherhheit für ihre Arbeit
- Staat braucht Wächterfunktion zivilgesellschaftlicher Organisationen
Zur Einigung in der Regierungskoalition, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 180 Vereinen und Stiftungen:
„Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben, ist gut und überfällig, aber nicht ausreichend. Wer es mit Kinderrechten ernst meint, muss diese auch als gemeinnützigen Zweck in die Abgabenordnung schreiben und klarstellen, dass dieser und andere Zwecke natürlich auch mit politischen Mitteln verfolgt werden können, etwa mit Demonstrationen oder Forderungen an die Politik. Nur so erhalten zivilgesellschaftliche Organisationen Rechtssicherheit, um als Anwältinnen für Kinder aufzutreten und in ihrer Wächterfunktion das Handeln des Staates zu überprüfen.
Wer antirassistisches Engagement fördern möchte, muss dafür passende Zwecke in der Abgabenordnung schaffen. Wenn der Staat Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus mit Förderprogrammen wie „Demokratie leben!“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ unterstützt, muss er auch die Grundlage für dieses Engagement schaffen.
Mit der Petition „Engagement gegen Rassismus ist gemeinnützig: Der Bundestag muss dies garantieren!“ weisen wir gemeinsam mit 27 Organisationen, die sich tagtäglich gegen Rassismus engagieren, auf diese klaffende Lücke im Gemeinnützigkeitsrecht hin.
Bitte unterschreiben und teilen auch Sie. Je mehr Menschen unterschreiben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Anliegen Gehör findet. Das gilt ganz besonders jetzt. Denn nachdem verschiedene Sachverständige im Rahmen der Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages noch einmal auf bestehende Lücken im Gemeinnützigkeitsrecht hingewiesen haben und sich für eine Reform ausgesprochen haben, besteht innerhalb der Koalitionsfraktionen viel Beratungsbedarf. Nicht nur aber auch zu Gemeinnützigkeit.
Nach aktuellem Stand (10.11.2020) soll das Jahressteuergesetz in der Woche vom 16. November 2020 verabschiedet werden. Ob mit oder ohne Verbesserungen im Gemeinnützigkeitsrecht, wird sich noch zeigen. Wichtig ist jetzt die öffentliche Debatte zu nutzen, um auf die Lücken hinzuweisen.
Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zur Einigung, Rassismus und Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben
Zur Verständigung innerhalb der Bundesregierung, zeitnah das Grundgesetz zu ändern, um den Begriff „Rasse“ zu streichen und Kinderrechte aufzunehmen, erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 175 Vereinen und Stiftungen:
Alle staatliche Gewalt zu verpflichten, Kinderrechte zu schützen und rassistische Diskriminierung zu verhindern ist ein wichtiger Schritt, reicht aber nicht aus. Zusätzlich braucht es öffentliche Wächter, die Behörden auf die Finger schauen, die Forderungen an Parlamente richten und die notfalls auch Rechte Betroffener einklagen – zum Beispiel, wenn wegen einer Pandemie Spielplätze geschlossen und die Bewegungsfreiheit von Kindern massiv eingeschränkt wird.
Diese Funktionen als Wächterinnen und Themenanwältinnen gehört zu den vielfältigen Aufgaben zivilgesellschaftlicher Organisationen. Deren Basisrecht ist die Gemeinnützigkeit. Wer es mit Kinderrechten und Antirassismus ernst meint, muss daher passende gemeinnützige Zwecke in die Abgabenordnung schreiben und klarstellen, dass diese und andere Zwecke natürlich auch mit politischen Mitteln verfolgt werden können, etwa mit Demonstrationen oder Forderungen an die Politik.
In ihrer Stellungnahme zum Jahressteuergesetz 2020 werden die Bundesländer in der Bundesrats-Sitzung am Freitag, 9. Oktober, voraussichtlich erneut ihre Forderungen zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts beschließen. [Aktualisierung – zum Beschluss siehe hier.] Die Empfehlung der Bundesrats-Ausschüsse wiederholt weitgehend Forderungen der Länder vom Vorjahr, aber es gibt einige Neuerungen. Zu den Forderungen gehören neue Zwecke von Klimaschutz bis „Hilfe für Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer geschlechtlichen Orientierung diskriminiert werden“, Erleichterungen des Ausstiegs aus der Gemeinnützigkeit und der zeitnahen Mittelverwendung für kleine Organisationen sowie neu eine Klarstellung zu politischen Tätigkeiten.
Der Entwurf der Bundesregierung (der bereits am Donnerstag auch in erster Lesung im Bundestag behandelt wird) sah keine Regelungen zu Gemeinnützigkeit vor. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung sich gegen die Länder-Vorschläge ausgesprochen und auf einen kommenden, umfassenden Entwurf des Bundesfinanzministeriums zur Gemeinnützigkeit verwiesen – der bisher nicht erschienen ist. Ob Bundesregierung oder Bundestag nun den Vorschlägen folgen, ist offen. Offen ist auch noch, ob der Bundesrat die Ausschuss-Vorlage in der Form beschließt.