Der Freiraum für zivilgesellschaftliche Betätigung ist unabdingbar für die Entwicklung der Demokratie, für die Verteidigung von Menschenrechten. Zivilgesellschaftliche Akteur:innen übernehmen wichtige demokratische Funktionen. Vereine und Initiativen können in der Öffentlichkeit Themen setzen oder auf Probleme aufmerksam machen, an die sich staatliche Stellen nicht herantrauen. Eine unabhängige und kritische Zivilgesellschaft, die sich an Menschenrechten orientiert, nimmt die Rolle einer Wächterin ein. Deshalb fördert die Bundesregierung die Zivilgesellschaft in anderen Ländern. Doch auch im Inland gibt es Lücken. Der Atlas der Zivilgesellschaft 2022 und der Amnesty-Report 2021/2022 schauen auf die Schattenseiten.
Schlagwort: Zivilgesellschaft
Krieg und militärische Gewalt sind ganz sicher die weitreichendste Beschränkung von Handlungsmöglichkeiten. Zugleich zeigt sich in kriegerischen Situationen der Wert einer engagierten Zivilgesellschaft: Als eine Kraft jenseits von verfeindeten Regierungen. Als mögliche Quelle von Begegnung und Versöhnung. Als gewaltfreie Streiterin für Menschenrechte. Als Beobachterin und Wächterin von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Und auch als humanitäre Helferin.
Dieser Text versammelt einige Beiträge zu Shrinking Spaces der vergangenen Monate, weil wir merken, dass auch ältere Berichte immer wieder aktuell werden. Shrinking Spaces ist der internationale Fachbegriff für den Versuch, den Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Organisationen zu beschränken. Meist geht es um staatliche Mittel, um unliebsame Kritik zu begrenzen oder zu verbieten. Die Mittel können mal formal legal sein wie ein Gesetz, mal illegales Handeln staatlicher Organe. Zu Shrinking Spaces gehört auch fehlender staatlicher Schutz. Insbesondere, wenn der Schutz fehlt, können auch nichtstaatliche Akteure den Handlungsraum begrenzen, unter anderem durch Diffamierungen.
Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zur Klage des DemoZ auf Gemeinnützigkeit
- Vereine und Finanzämter weiter in Unklarheit
- Bundestag muss Rechtssicherheit schaffen
- Fall DemoZ nur Spitze des Eisbergs
Zur Mitteilung des soziokulturellen Zentrums DemoZ aus Ludwigsburg, dass es in seinem Gemeinnützigkeitsstreit Untätigkeitsklage eingereicht hat, erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von fast 200 Vereinen und Stiftungen:
„Der Fall des kleinen, ehrenamtlich betriebenen soziokulturellen Zentrums DemoZ zeigt die weiter bestehenden Probleme im Gemeinnützigkeitsrecht auf. Der Fall ist lediglich die Spitze eines weitgehend verborgenen Eisberges. Die Bundesregierung muss zum Schutz von zivilgesellschaftlichem Engagement zügig die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen:
‚Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht, um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken und konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke.‘
Die neue Regierungskoalition nimmt sich mehr Fortschritt vor – auch bei Gemeinnützigkeit und der Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen. Wir stellen hier wichtigste Aussagen zusammen. Auf den Koalitionsvertrag haben sich die Spitzen der Ampel-Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP am 24. November 2021 geeinigt, die Parteien haben in Parteitagen bzw. Abstimmungen zugestimmt. Alle Seitenzahlen beziehen sich auf diese PDF (gedruckte Seitenzahlen, nicht PDF-Seiten).
Zum zweiten Mal legt die EU-Kommission einen Bericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Kommission vor. Für die EU spielt die Zivilgesellschaft (als Summe ihrer Organisationen) „eine zentrale Rolle im System von Kontrolle und Gegenkontrolle“, zusammen mit unabhängigem Journalismus. In dem Bericht schaut die Kommission besorgt auf „schwerwiegende Herausforderungen“ für die Zivilgesellschaft in einigen Ländern, hebt positive Beispiele hervor, die „ein förderliches und unterstützendes Umfeld für die Zivilgesellschaft“ stärken, und stellt im Landesbericht für Deutschland fest, dass „die Unsicherheit in Bezug auf die Steuerbefreiung zivilgesellschaftlicher Organisationen“ ein Problem ist. Die Sorge über den Verlust der Gemeinnützigkeit könne dazu führen, dass Vereine und Stiftungen „davon absehen, zu potenziell sensiblen Fragen Stellung zu nehmen“. In „erheblicher Unsicherheit“ seien vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen. Die rechtliche Unklarheit führe dazu, dass „die Androhung rechtlicher Schritte im Zusammenhang mit dem Steuerstatus auch als politische Taktik genutzt werden kann“.
Der deutsche Blick muss sich auch nach innen richten. Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie müssten stets verteidigt und entwickelt werden. Sie müssen auch Themen der Innenpolitik sein. Die Bundesregierung muss die Warnungen ernst nehmen und handeln! (Siehe auch unsere Pressemitteilung vom 21. Juli 2021)
Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zum Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU
Im gestern veröffentlichten Bericht zur Rechtsstaatlichkeit der EU stellt die EU-Kommission Probleme im deutschen Gemeinnützigkeitsrecht fest: „Die Unsicherheit in Bezug auf die Steuerbefreiung zivilgesellschaftlicher Organisationen stellt trotz einiger leichter Verbesserungen des Rahmens nach wie vor ein Problem dar.“ Dazu fordert Annika Schmidt-Ehry, leitende Referentin der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 180 Vereinen und Stiftungen:
„Die Bundesregierung muss die Warnungen ernst nehmen und handeln! Immer häufiger hören wir von Angriffen auf die Gemeinnützigkeit vermeintlich unliebsamer Organisationen. Sportvereinsvorstände hadern, ob sie zu antirassistischen Demonstrationen aufrufen. Der Bericht ist ein Instrument, um Rechtsstaatlichkeit zu fördern und Probleme zu verhindern. Wenn das Gemeinnützigkeitsrecht nicht angepasst wird, droht die Demokratie in Deutschland leiser zu werden.“
Eine Vielzahl von Vereinen und Stiftungen fühlt sich bereits seit Jahren durch das unklare Gemeinnützigkeitsrecht in seiner Arbeit beschränkt. Mehr als 180 Vereine und Stiftungen haben sich in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ zusammen geschlossen, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren und die selbstlose politische Einmischung etwa für Grundrechte und gemeinnützige Zwecke abzusichern. Zu den Mitgliedern gehören unter anderem Amnesty International, Brot für die Welt, LobbyControl und Transparency International.
Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zur Gemeinnützigkeit der Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)
Die Bundesvereinigung der VVN-BdA hat mitgeteilt, dass die Berliner Finanzverwaltung nun die Gemeinnützigkeit für das Jahr 2019 anerkannt hat. Der Aberkennungsbescheid für die Jahre 2016 bis 2018 besteht weiter. Dazu erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von mehr als 180 Vereinen und Stiftungen:
„Es ist gut, dass die Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) nun wieder gemeinnützig ist. Doch das Problem löst der Bescheid nicht.
Es darf nicht sein, dass die Gemeinnützigkeit eines Vereins von politischen Bewertungen abhängig ist. Natürlich müssen gemeinnützige Organisationen sich im Rahmen der Rechtsordnung und der Menschenrechte bewegen. Feinde der Demokratie und der Menschenrechte sind nicht gemeinnützig. Doch in Paragraph 51 der Abgabenordnung wird die Beweislast umgedreht. Demnach muss anders als bei einem Vereinsverbot nicht die Exekutive beweisen, dass ein Verein verfassungswidrig handelt, sondern die Organisation muss ihre Verfassungstreue beweisen. Das ist praktisch unmöglich und eine Umkehrung des Rechtsstaatsprinzips. Zudem weiß der betroffene Verein gar nicht, welche Beweise er widerlegen muss, da der Verfassungsschutz nur seinen Schluss veröffentlicht, aber nicht die Beweisführung.
In einem Lobbyregister würden auch zivilgesellschaftliche Organisationen erfasst, die mit direkten Kontakten auf die Bundespolitik einwirken. In der aktuellen Debatte werden verschiedene Stränge vermischt, die gemeinnützige Organisationen zum Teil betreffen.