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Vereine schreiben wegen Gemeinnützigkeit an Bundeskanzler Olaf Scholz

Das Bundesfinanzministerium hatte Vorschläge zur Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts bis zur parlamentarischen Sommerpause angekündigt – das sind nun keine zwei Wochen mehr und ein Entwurf dafür ist nicht sichtbar. In der Verantwortung steht die gesamte Koalition, die gesamte Regierung. Die Dringlichkeit des Themas versuchen viele Akteur:innen der Zivilgesellschaft deutlich zu machen. Während einerseits um staatliche Fördermittel verhandelt wird, sind andererseits die rechtlichen Rahmenbedingungen wichtig: Als Basis für Fördermittel-Anträge, aber auch für die Selbstfinanzierung durch Spenden oder private Fördermittel. Gestern (24.6.2024) wurden zwei neue Briefe an den Bundeskanzler öffentlich.

110 lokale Vereine, die Demokratie-Arbeit vor Ort machen, ob als Sportverein, Kulturinitiative oder Zusammenschluss anderer Gruppen, beschreiben in einem am Montag (24.6.2024) veröffentlichten Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, wie das veraltete Gemeinnützigkeitsrecht ihre Arbeit erschwert, Ängste schürt und die Türen öffnet für Anschwärzungen aus Kreisen der AfD.

Das Bild zeigt die Logos von 54 Vereinen.Am gleichen Tag senden 54 überregional, meist bundesweit oder gar darüber hinaus tätige Vereine und Stiftungen einen Brief an den Bundeskanzler. Sie beschreiben, dass die von der Koalition vereinbarten Änderungen am Gemeinnützigkeitsrecht für sie hilfreich wären. Doch ohne diese Modernisierung seien sie eher von Glück als von einer klaren Gesetzeslage abhängig. Sie schreiben: „Viele von uns haben bisher Glück gehabt: Die meisten der 54 Vereine und Stiftungen, die Ihnen hier schreiben, sind weiterhin als gemeinnützig anerkannt. Sie fragen sich jährlich und mit jeder Steuererklärung, ob das so bleiben wird. Andere Unterzeichner*innen hatten Pech: Ihnen wurde die Gemeinnützigkeit bereits aberkannt.“ Und sie fordern: „Wir wollen für unsere Arbeit jetzt Rechtssicherheit und Klarheit – denn auch das Bangen mit der Steuererklärung und Begründungen gegenüber dem Finanzamt sind bürokratische Belastungen. Auf beiden Seiten. Wir wollen nicht vom Wohlwollen einzelner Finanzbeamt:innen abhängen, sondern brauchen eine verlässliche Rechtsgrundlage, mit der Finanzämter auch Anzeigen gegen unsere Arbeit leicht entkräften können.“ Der Bundeskanzler solle für klare, gute Regeln und Verlässlichkeit sorgen und damit dazu beitragen, dass tausende Vereine ihrer selbstlosen Arbeit auf sicherer Basis nachgehen können.

Mit unserer Finanzamt-Studie hatten wir bereits 2018 nachgewiesen, dass in den Finanzämtern gleiche Fälle sehr verschieden entschieden werden. Dabei wird das zu enge Gemeinnützigkeitsrecht oft positiv gebogen, um die Lücke zwischen offenbar sinnvoller, die Allgemeinheit fördernde und auch politisch gewollte Tätigkeiten einerseits, dem veralteten Recht andererseits zu schließen.

Das geltende Gemeinnützigkeitsrecht verbietet keine politischen Aktivitäten. Mit dem Attac-Urteil hatte der Bundesfinanzhof (BFH) insbesondere den Zweck der politischen Bildung massiv beschränkt. Vereine mit diesem Zweck könnten zwar Lösungen für gesellschaftliche Probleme erarbeiten, dürften aber nicht selbst für die Umsetzung werben. Dagegen wurde mit dem BUND-Urteil des BFH erneut bestätigt, dass viele gemeinnützige Anliegen ohne politische Mittel gar nicht verfolgbar seien. Unklar ist, welchen Umfang diese Mittel im Vergleich zu anderen Tätigkeiten eines gemeinnützigen Vereins haben dürfen.

Mit einer Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung hat die Finanzverwaltung Anfang 2022 klar gestellt, dass gemeinnützige Organisationen auch über ihren Zweck hinaus handeln dürfen; dass etwa ein Sportverein aus Anlass eines antisemitischen Anschlags demonstrieren darf. Doch dies sei nur „vereinzelt“ erlaubt, meint die Finanzverwaltung.

Ein weiteres Problem ist, dass konkrete gemeinnützige Zwecke im Gesetz fehlen, etwa die Förderung von Rechtsstaatlichkeit sowie Menschen- und Grundrechten. Wo kein passender Zweck im Gesetz steht, ist jedes gemeinnützige Engagement nicht möglich, ob mit politischen Mitteln oder auf andere Weise.

Durch diese Unklarheiten gefährden Vereine ihre Gemeinnützigkeit und unterlassen Aktivitäten, die gut für Demokratie und Gesellschaft werden. Wie viel erst gar nicht stattfindet, ist nicht zu sehen – jeder zwanzigste Verein beschneidet sich entsprechend selbst, hat der repräsentative ZivZ-Survey 2023 festgestellt.

Zu den Herausforderungen für gemeinnützige Vereine bei Demonstrationen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hatten wir im Januar 2024 diese Handreichung veröffentlicht – die ein klares Gesetz nicht ersetzt.

Übrigens: Mehr als 400.000 Menschen haben bereits einen Appell zur Gemeinnützigkeit an die Bundesregierung unterschrieben – sind Sie schon dabei?