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Was dürfen Vereine im Wahlkampf fordern?

Der Bundestagswahlkampf kommt in Fahrt und wird letztlich nicht nur von Parteien geführt. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind bereits seit Monaten präsent mit Forderungskatalogen, Wahlprüfsteinen oder auch lauten Kampagnen. Doch was dürfen gemeinnützige Vereine und Stiftungen im Wahlkampf tun, was gefährdet ihre Gemeinnützigkeit? Verunsichert vom Attac-Urteil und gescheiterten Klarstellungen im Jahressteuergesetz fragen seit Wochen Organisationen bei der Allianz an. Individuelle Beratung können wir nicht leisten. Eindeutige Antworten gibt es leider nicht. Aber wir geben Leitlinien, die wir hier teilen.

Das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht ist unklar zu politischen Mitteln zur Verfolgung des gemeinnützigen Zwecks. Das Gesetz erwähnt die Beteiligung an der politischen Willensbildung nicht. Der Bundesfinanzhof, das oberste Steuergericht, hat immer wieder bestätigt, dass politische Mittel erlaubt sind, wenn sie dem eigenen gemeinnützigen Zweck dienen. Einmischung in die „Tagespolitik“ sei erlaubt, soweit dies weit im Hintergrund geschehe. Im BUND-Urteil hat der Bundesfinanzhof zuletzt 2017 erklärt, die politische Einmischung dürfe andere gemeinnützige Zwecke nicht überwiegen.

Selbstprüfung

Entscheidend ist, dass die Arbeit einer gemeinnützigen Organisation auf ihre gemeinnützigen Zwecke gerichtet ist. Wäre die Arbeit auf die Unterstützung einer Partei gerichtet und der gemeinnützige Zweck nur Vehikel, wäre das nicht gemeinnützig. Wir empfehlen Vereinen und Stiftungen daher eine Selbstprüfung vor einer Veröffentlichung oder einer Kampagne:

  • Was ist unser Ziel?
  • Geht es uns eigentlich darum, Partei X zu schwächen oder Kandidatin Y zu stärken?
  • Oder geht es uns um unseren gemeinnützigen Zweck wie Schutz vor politischer Verfolgung, und deshalb kommen wir zu einer Kritik oder Bewertung einer Partei?
  • Der Ärger, der vielleicht in einem Posting zum Ausdruck kommt – ist der gespeist aus einem prinzipiellen Ärger über Kandidat Z oder aus den eigenen Forderungen, die dem gemeinnützigen Zweck dienen?

Eine kleine Hilfe für eine Unterscheidung zwischen Parteipolitik und Orientierung an eigenen Forderungen ist auch: Wer sich ärgert, dass eine Partei die Forderungen der eigenen Organisation ins Wahlprogramm schreibt oder umsetzt, ist eher auf der parteipolitischen Schiene. Welche Partei eine Forderung aufgreift, sollte egal sein – die Forderung ist politisch, die Unterstützung einer Partei aus Prinzip wäre parteipolitisch.

Die wichtigsten Leitlinien

  • Die mittelbare oder unmittelbare Förderung einer Partei ist nicht erlaubt. Das sollte ebenso für Wähler*innen-Gemeinschaften und Einzelkandidat:innen gelten – steht aber nicht ausdrücklich im Gesetz.
  • Das bedeutet, die Vereins-Arbeit darf nicht darauf gerichtet sein, eine bestimmte Partei zu fördern.
  • Dass Forderungen sich mit denen einer Partei überschneiden, ist keine Unterstützung – denn sonst wäre es ja stets schädlich, wenn eine Partei Forderungen einer zivilgesellschaftlichen Organisation übernimmt.
  • (Fast) alles, was dem gemeinnützigen Satzungszweck dient, dürfen ein Verein oder eine Stiftung tun. Die Verbindung zu den Zwecken muss hergestellt werden können. Ein Umweltschutzverein darf Forderungen zum Umweltschutz aufstellen, darf Wahlprogramme darauf analysieren, darf Parteien dazu befragen.
  • Der Verein muss nicht neutral oder unparteiisch sein, aber er sollte seine Haltung begründen können, mit dem Zweck verbinden können und offen für andere Argumente sein.
  • Ob Stellungnahmen über den eigenen Zweck hinaus erlaubt sind, ist strittig. Beispiel: Wenn der Umweltschutzverein sich zu Rassismus äußert. Wir gehen davon aus, dass dies vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist, dass deshalb auch Mittelverwendungen in geringem Umfang möglich sind. Aber das zuständige Finanzamt könnte das anders sehen. Wir hatten dazu klarstellende Gesetzesänderungen gefordert und versuchen nun, dass entsprechende Erläuterungen in den Anwendungserlass (AEAO) geschrieben werden.

Auf der Basis eigener Zwecke können politische Forderungen aufgestellt werden, können die Wahlprogramme abgeklopft werden, es können sogar die Parteien konkret bewertet werden, etwa in der Form: Unter dem Gesichtspunkt unserer Umweltschutz-Forderungen ist nur Partei A wählbar. Nicht jede und jeder findet schon die Forderungen des Vereins gut. Ob Unterstützer:innen des Vereins ihre Wahlentscheidung nur von diesen Forderungen abhängig machen, wie sehr sie andere Aspekte gewichten, ist deren mündige Entscheidung und darauf hat der Verein keinen Einfluss.

In anderen Rechtssystemen wird unterschieden zwischen Campaigning (Einfluss auf Wahlen, Unterstützung des Wahlkampfs einer Partei/konkreter Kandidat:innen), Lobbying (Forderungen an Regierung und Parlament) und Grassroots (Demonstrationen, Öffentlichkeitsarbeit). Diese Unterscheidung findet sich nicht in der Abgabenordnung und hat auch der Bundesfinanzhof nicht durchdekliniert. Es würden sich auch Abgrenzungsfragen stellen. Wir werben dagegen für eine Unterscheidung von (auch politischen) Mitteln für eigene gemeinnützige Zwecke, von einer (auch politischen) Haltung als Grundlage der gemeinnützigen Arbeit und der gelegentlichen Förderung anderer Zwecke, auch als Ausdruck der Meinungsäußerungsfreiheit, die Vereinen und Stiftungen ebenso zusteht wie Privatpersonen.

Die Allianz selbst mischt sich auch in den Wahlkampf ein. Forderungen ans Gemeinnützigkeitsrecht haben wir schon lange. Wir haben untersucht, wie die Parteien sich in ihren Wahlprogrammen dazu verhalten. Was das für die Wahlentscheidung einzelner Personen bedeutet,ist deren Sache.