Die Erleichterung bei Aktiven und Angestellten von Attac ist unbeschreiblich, als das Gericht verkündet: Die Arbeit von Attac ist gemeinnützig. Glückliche Gesichter bei Angestellten von Attac, Mitgliedern von Regionalgruppen und des Koordinations-Kreises, einige liegen sich in den Armen. Erst diese Erleichterung macht deutlich, unter welchem Druck, unter welcher Anspannung die vielen Attacis in den vergangenen zweieinhalb Jahren standen.
Dass Spenden für das globalisierungskritische Netzwerk nicht mehr steuerbegünstigt waren, hat die Arbeit eigentlich nicht sehr beeinträchtigt. Attac hat weiter seine Themen bearbeitet, hat daneben ordnerweise Belege für das Finanzamt zusammengestellt, hat Einsprüche und Klagen formuliert. Doch es schwebte ein Damokles-Schwert über dem Netzwerk. Das Verfahren hat viel Mühe gemacht, aber auch viel Unsicherheit gebracht.
Was heißt es, ohne Gemeinnützigkeit zu arbeiten? Wie können große Kongresse jetzt kofinanziert werden? Wie überzeuge ich die Stadtverwaltung, weiter das Bürgerhaus nutzen zu dürfen? Wie erkläre ich am Infostand, dass Attac fürs Gemeinwohl arbeitet? Und vor allem: Muss am Ende das Vermögen von Attac abgegeben werden? Wie kann dann die weitere Arbeit finanziert werden, wie kann das Bundesbüro aufrecht erhalten werden?
Das Urteil gibt wieder Sicherheit, und es bestätigt: Natürlich ist die Arbeit von Attac eine Förderung des demokratischen Staatswesens – was denn auch sonst! Eine solche Anerkennung tut einfach gut.
Gericht beurteilt nicht, ob die Arbeit von Attac gut oder schlecht ist
Es tut gut, obwohl der Vorsitzende Richter Lotzgeselle zu Beginn des Prozesses noch erklärte, dass das Gericht nicht zu beurteilen habe, ob die Arbeit von Attac gut oder schlecht, die Forderungen richtig oder falsch seien, sondern nur, ob Attac die steuerrechtlichen Anforderungen an die Gemeinnützigkeit erfüllt. Doch dann erklärt er: Natürlich sei das Engagement für ein gerechtes Steuersystem, für Rechtsstaatlichkeit und für die freiheitliche Grundordnung gemeinnützig und erfülle den gesetzlichen Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“. Denn Steuergerechtigkeit sei eine tragende Säule der Demokratie.
Dem voran gingen drei Stunden mündliche Verhandlung, eine „umfassende Verhandlung“, sagt Richter Lotzgeselle, mit einem spannenden Argumente-Austausch zwischen Gericht, Finanzamt und Attac-Anwalt Till Müller-Heidelberg. Schon früh stellt der Vorsitzende Richter fest, dass die Satzung von Attac den Anforderungen der Gemeinnützigkeit entspricht. Strittig sei nur, ob die tatsächliche Geschäftsführung der Satzung entspreche. Und darüber wird viel diskutiert: Was ist Bildung, was nicht? Sich mit Stuttgart 21 zu beschäftigen, geht es da um Kommunalpolitik oder um Grundprinzipien der Demokratie? Mehr Mitbestimmung für Betriebsräte zu fordern, ist das Auseinandersetzung mit Solidarität und dem Sozialstaatsprinzip und damit Förderung des demokratischen Staatswesens? Und internationale Solidarität, etwa mit Griechenland – gehört das zum gemeinnützigen Zweck „Völkerverständigung“?
50 Zuschauer hörten gebannt dazu, darunter auch Journalisten von Zeitungen, Agenturen und dem Hessischen Rundfunk. Viele der Zuschauer harren bis 14 Uhr aus, als das Gericht sein Urteil verkündet: Attac ist wieder gemeinnützig. Die Körperschaftssteuer-Bescheide des Finanzamtes Frankfurt für die Jahre 2010 bis 2012 sind aufgehoben. Die Anwalts-Kosten von Attac muss das Finanzamt erstatten. Es folgen Detail-Regelungen zu Gewinnfeststellungen und ein paar begründende Sätze, dann schließt der Richter die Verhandlung und im Saal wird applaudiert.
Können Spenden jetzt noch steuerlich abgesetzt werden?
Nach der Entspannung wird für Attac nun noch viel Arbeit folgen: Können sofort wieder Spendenbescheinigungen ausgestellt werden? Können die Spenderinnen und Spender der vergangenen Jahre noch eine Steuererstattung bekommen? Und dann ist bald die nächste Steuererklärung für die Jahre 2013 bis 2016 fällig. Die Entscheidung des Finanzamtes darüber wird spannend.
Das Urteil ist ermutigend auch für andere zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich selbstlos in die Politik einmischen. Doch Sicherheit gibt es ihnen nur begrenzt. Zwar sagt das Kasseler Gericht, es habe keine neuen Grundsätze für Gemeinnützigkeit aufgestellt und sich im Rahmen der bisherigen Interpretation der Zwecke bewegt. Tatsächlich jedoch hat es insbesondere den Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ weit interpretiert und dort unter anderem den Einsatz für Steuergerechtigkeit zugeordnet. Diese Interpretation ist nicht verbindlich für die Finanzämter und für andere Gerichte. Die Ämter halten sich weiter an die restriktive Auslegung des Anwendungserlasses.
Das Gericht hat betont, dass die Aktivitäten von Attac stets in ein umfassendes Informationsangebot eingebettet sind. Es ist nicht eindeutig, ob „Förderung des demokratischen Staatswesens“ alleine als Zweck für eine Auseinandersetzung mit solchen Themen ausreicht, oder ob stets korrespondierend dazu Bildungsarbeit gemacht werden muss.